Es war 14:20 Uhr, als Maria von Känel, Kampagnenchefin des Ja-Lagers für die «Ehe für alle», nicht ganz korrekt in den Raum schrie: «Wir haben ein Ständemehr!» Ein Ständemehr brauchte sie nicht, um die Abschaffung der Ehe-Diskriminierung für gleichgeschlechtliche Paare durchzuboxen. Es war ein Referendum, angestrebt von erzkonservativen Kräften, über das abgestimmt wurde. Und bald schon war am Sonntagnachmittag klar: Die Nein-Sager waren chancenlos.
Im Vorfeld der Abstimmung hofften viele Befürwortende auf ein deutliches Ja. Noch am Abend davor war in den Stadtberner Beizen bei Gesprächen gehofft worden, dass es doch mindestens 60 Prozent annehmende Stimmen geben soll. Es soll ein wuchtiges Zeichen sein, war etwa an einem Tisch im Berner Kulturzentrum Progr zu hören. Und das wurde es: Das Volk erlaubt bald schwulen und lesbischen Paaren, ihre Liebe als Ehe anerkennen zu lassen.
Das wurde in der Grossen Schanze oberhalb des Berner Bahnhofs gebührend gefeiert. Das Lokal hielt die Covid-Zertifikatspflicht brav ein: Wer rein wollte, musste geimpft, getestet oder genesen sein. Oder halt eine Maske tragen. Einige Gäste trugen regenbogenfarbene Masken, wohl eher um ein symbolisches Zeichen zu setzen. Und die Feier gestaltete sich so, wie es zuvor der Abstimmungskampf war: bunt, laut, liebevoll und freudig.
Etwas mehr als hundert Personen aus allen politischen Lagern fand sich auf der Grossen Schanze ein, schlürften Prosecco, Weisswein, Bier und anderes. Sie warteten draussen, rauchten und diskutierten, als Minute für Minute weitere Resultate aus den Gemeinden und Kantonen dem Bund gemeldet wurden. Je länger der Nachmittag dauerte, desto mehr wurde klar: Die Kantonskarte wird komplett in blauer Farbe gefärbt sein. Kein einziger Kanton stimmte dagegen.
Das kam auf der grossen Schanze gut an. «Noch vor nicht wenigen Jahren wurden wir als krank eingestuft», sagte Daniel Stolz, als das Ja definitiv war. Olga Baranova, Kampagnenleiterin der Romandie, deutete etwa: «Die bisherigen Resultate zeigen uns: Die Schweiz ist viel weiter als vor zehn Jahren.» Der Zürcher SVP-Politiker Michael Frauchiger, im Abstimmungskampf sehr laut auf Twitter, blieb stoisch und meinte nur: «Ich freue mich!» Das Ja wertete er so, dass die Schweiz nun wieder ein «liberaler Rechtsstaat» sei. Seine Begründung: «1848, als die Schweiz gegründet wurde, war die Eidgenossenschaft das liberalste Land von Europa. Mit der Zeit gab sie diesen Status ab.»
Politische Deutungen und Analysen waren den meisten Feiernden aber egal. Sie wollten anstossen, singen und tanzen. Von der nach Zürich ausgewanderten Schaffhauser Drag-Queen-Künslerin Mona Gamie gab's ein Ständchen, in dem «Pour l'amour» gesungen wurde. Aus den Lautsprechern lief das Kampagnen-Lied «Ja, ich will, zäme simmer starch», als die «Ehe für alle»-Torte angeschnitten wurde.
Die war übrigens aussen weiss, mit je einem männlichen und weiblichen gleichgeschlechtlichen Paar. Angeschnitten präsentierte sich die Torte in den klassischen Regenbogenfarben.
Detaillierte und tiefgründige politische Analysen waren mit steigendem Alkoholpegel nicht herauszukitzeln. So auch nicht eine Antwort auf die Frage, bis wann der Bundesrat denn die «Ehe für alle» gesetzlich in Kraft treten lassen soll. «Wir heiraten, sobald es möglich ist!», sagte etwa ein feiernder Mann, als «Mama mia» von der schwedischen Kultband ABBA aus den Lautsprechern gespielt wird.
Klar ist: Hier wird noch länger gefeiert werden. Gründe dazu haben die Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Anderssexuellen zu genüge: Nach über sieben Jahren politischer Arbeit ist ihr Kampf gegen die eherechtliche Diskriminierung gewonnen.