Der Nationalrat will die Laufzeit von Atomkraftwerken nicht beschränken. Ab 40 Betriebsjahren sollen die Betreiber aber Langzeitbetriebskonzepte vorlegen müssen, die Sicherheit gewährleisten. Und für die ältesten AKW soll nach 60 Jahren Schluss sein - für Beznau I im Jahr 2029.
Damit hat sich jene Version durchgesetzt, welche die vorberatende Nationalratskommission vorgeschlagen hatte - in leicht abgeänderter Form und gegen den Willen der SVP, der FDP sowie des Bundesrates. Der Bundesrat hält die heutige Regel für ausreichend, wonach die AKW so lange laufen dürfen, wie die Aufsichtsbehörde ENSI sie als sicher einstuft.
Die bestehenden AKW sollten nicht mit einem politischen Enddatum versehen werden, sagte auch Energieministerin Doris Leuthard. Sie warnte vor Entschädigungsforderungen der AKW-Betreiber. Alles, was nach Befristung rieche, könnte Folgen haben für die Steuerzahler. Ausserdem brauche es Zeit, die erneuerbaren Energien auszubauen.
Für die strengeren Regeln setzten sich die Vertreter der SP, der Grünen, der Grünliberalen und der CVP ein. In der Schweiz stünden die weltweit ältesten AKW, gaben sie zu bedenken. Sie stammten aus einer anderen Zeit und seien nicht für einen Betrieb über 50 Jahre gebaut worden. Das Risiko steige mit dem Alter, daher müssten auch die Sicherheitsanforderungen steigen.
Das ENSI selbst wünscht sich präzisere Regeln. Es möchte ab 40 Betriebsjahren von den Stromunternehmen Langzeitbetriebskonzepte mit den geplanten Sicherheitsinvestitionen einfordern.
Die Nationalratskommission schlug daher vor, dass die Betreiber spätestens zwei Jahre vor Ablauf von 40 Betriebsjahren ein Langzeitbetriebskonzept vorlegen müssen, das eine steigende Sicherheit gewährleistet. Ein AKW sollte nur dann weitere 10 Jahre laufen dürfen, wenn das ENSI dieses Konzept bewilligt.
Nach Ablauf der Frist sollten die Betreiber jeweils erneut ein Konzept vorlegen dürfen. Im Gesetz sollte ausserdem verankert werden, dass die AKW-Betreiber keine Entschädigung verlangen können, wenn das ENSI sie auf Basis dieser Regeln zum Abschalten zwingt.
Der Nationalrat sprach sich aber für eine abgeschwächte Version aus. Die Langzeitbetriebskonzepte sollen nicht «steigende Sicherheit», sondern lediglich «Sicherheit» gewährleisten. Ausserdem strich der Rat den Passus, wonach die AKW-Betreiber keine Entschädigungen verlangen können.
CVP-Bundesrätin Leuthard zeigte zwar Verständnis für das Anliegen des ENSI, äusserte sich aber skeptisch. Die Regeln würden so während des Spiels geändert, gab sie zu bedenken. Die genaue Formulierung müsse im Ständerat nochmals überdacht werden.
Chancenlos blieb ein Antrag aus den Reihen der SP und der Grünliberalen, AKW spätestens nach 60 Jahren vom Netz zu nehmen. Der Nationalrat setzte aber eine Beschränkung für die ältesten AKW - jene, die bereits mehr als 40 Jahre in Betrieb sind, wenn das Gesetz in Kraft tritt: Sie sollen höchstens 60 Jahre laufen dürfen.
Die ältesten AKW sind Beznau I und II (1969 und 1971) sowie Mühleberg (1972). Sie laufen seit 45, 43 und 42 Jahren. Für Mühleberg hat die Betreiberin BKW die Stilllegung allerdings angekündigt, das AKW soll 2019 vom Netz gehen.
Damit würden neue Regeln in erster Linie die Beznau-Betreiberin Axpo betreffen. Benzau I müsste damit 2029 vom Netz gehen, Beznau II 2031.
Weniger zu diskutieren als die Laufzeiten gab das Verbot neuer AKW. Der Nationalrat will im Gesetz verankern, dass keine neuen Atomkraftwerke gebaut werden dürfen. Er bestätigte damit den Entscheid, den er im Herbst 2011 im Grundsatz getroffen hatte.
Die SVP und ein Teil der FDP wehrten sich vergeblich gegen ein «Technologieverbot», die Ausstiegsallianz der Mitte- und Linksparteien blieb in dieser Frage stabil.
Ausserdem soll im Gesetz verankert werden, dass abgebrannte Brennelemente nicht wiederaufbereitet oder zur Wiederaufbereitung exportiert werden dürfen.
In der Gesamtabstimmung hiess der Nationalrat das erste Massnahmenpaket zur Energiestrategie 2050 nach 20 Stunden Beratungen mit 110 zu 84 Stimmen bei 1 Enthaltung gut.
Am Dienstag wird sich der Nationalrat noch mit der Atomausstiegsinitiative der Grünen befassen. Diese verlangt, dass alle Schweizer AKW höchstens 45 Jahre laufen dürfen. Beznau I müsste ein Jahr nach Annahme der Initiative vom Netz gehen.
Über die Initiative wird in jedem Fall das Volk entscheiden, sofern sie nicht zurückgezogen wird. Über die Gesetzesänderungen entscheidet das Volk nur, wenn dagegen das Referendum ergriffen wird. (sda)