Wenn am 20. Dezember um 12.30 Uhr zwei Techniker das Atomkraftwerk Mühleberg für immer abschalten, geht das nicht still und leise über die Bühne. Der Berner Energiekonzern BKW begleitet diesen Akt mit nicht weniger als vier Anlässen.
Auf die Frage nach den Gründen für diese Aktivitäten sagt René Lenzin, Leiter Media Relations und Newsroom der BKW, die Abschaltung des Kernkraftwerks vor den Toren Berns sei ein einmaliges Ereignis. Das Interesse Medienschaffender an der Abschaltung sei riesig.
Am 20. Dezember über Mittag werde das Schweizer Fernsehen aus dem Kommandoraum des 47-jährigen Atomkraftwerks live die Abschaltung des zweitältesten AKW der Schweiz übertragen.
Auch für die BKW selbst sei die Stilllegung des Kernkraftwerks sehr bedeutend. Sie sei das grösste Projekt des Berner Energie- und Infrastrukturunternehmens seit dem Bau der Anlage. Erstmals in der Schweiz werde ein Atomkraftwerk abgeschaltet. Deshalb sei auch das Interesse der Öffentlichkeit gross.
Es gelte, diesen historischen Moment würdig zu begehen. «Natürlich ist die Abschaltung für die BKW auch eine positive Geschichte», sagt der Mediensprecher.
Die beiden Anlässe für Anwohner und Angestellte seien auch als Dankeschön zu begreifen. Die Einladung zum Anwohneranlass ging an 12'000 Haushalte in 26 Ortschaften rund um Mühleberg. Unter anderen wird sich BKW-Chefin Suzanne Thoma in einer Ansprache an sie wenden. Für die Anlässe vom 20. und 21. Dezember stellt die BKW ein Zelt auf den Parkplatz vor dem AKW.
Wie die AKW-Betreibergesellschaft schon früher bekanntgab, wird in Mühleberg am Morgen des 20. Dezember die Leistung zuerst nach und nach reduziert. Dies, indem Steuerstäbe zwischen den Brennstoff gefahren werden. Um 12.30 Uhr werden manuell zwei Knöpfe gedrückt, um das AKW für immer abzuschalten.
Danach wird der Druck im Reaktor abgebaut. Innerhalb von sieben Stunden fällt die Reaktor-Wassertemperatur von 280 auf unter 100 Grad Celsius. Bis am 22. Dezember soll das Herunterfahren abgeschlossen sein. Unmittelbar nach den Feiertagen, am 6. Januar 2020, beginnen die Rückbauarbeiten.
Die BKW leistet mit dieser Stilllegung Pionierarbeit. Stilllegen ist mehr als abschalten: Durchschnittlich 200 eigene Leute und je nach Phase bis zu 80 zusätzliche Arbeitskräfte werden bis 2030 mit dem Rückbau beschäftigt sein. Erst im Jahr 2034 wird das Areal in Mühleberg wieder landwirtschaftlich oder industriell genutzt werden können.
Die Kosten für die Stilllegung belaufen sich gemäss aktuellen Zahlen auf 927 Millionen Franken. Dazu kommen Entsorgungskosten von 1.427 Milliarden Franken, vor allem ab 2040.
Mit der Abschaltung von Mühleberg reduziert sich die Stromproduktion der BKW um einen Viertel. Eine Versorgungslücke entstehe nicht, versichert die BKW. Dank ihres Produktionsparks im In- und Ausland, dem Handelsgeschäft und ihrer europaweiten Vernetzung werde sie ihre Kunden weiterhin zuverlässig mit Strom beliefern.
Im Jahr 1967 begann der Bau des AKW Mühlebergs, 1972 wurde der kommerzielle Betrieb aufgenommen. Damals galt Atomkraft landläufig als saubere Energie.
Gegen die Nutzung der Atomkraft formierte sich in der Schweiz seit den späten 1950-er Jahren eine pazifistische Antiatombewegung. Mit Demonstrationen, Mahnwachen und dem in den 1970er und 80er Jahren bekannten, gelben «Atomkraft? Nein danke»-Button verschaffte sich die Bewegung Gehör.
Es sollten aber noch zwei verheerende Reaktorunfälle in Tschernobyl 1986 und in Fukushima 2011 geschehen, bevor sich der Gedanke einer Energiewende politisch durchsetzen sollte.
Nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima ordnete die Atomaufsichtsbehörde Ensi an, dass die Schweizer Kernkraftwerke bei der Sicherheit nachbessern müssen. So hätte die BKW etwa bis 2017 die Zuganker ersetzen sollen, welche den Kernmantel stabilisieren. Dieser weist seit längerem Risse auf. Auch wollte das Ensi – als Lehre nach Fukushima – eine zweite, von der Aare unabhängige Kühlung.
2013 kündigte die BKW an, den Betrieb des Kernkraftwerks Mühleberg aus wirtschaftlichen Gründen im Jahr 2019 einzustellen.
(dsc/sda)
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