Ein bedrückt dreinblickendes Mädchen, ein schreiender Bub, dazu die Überschrift: «Schulzwang für 4-Jährige?». Mit diesem Plakat stiegen überparteiliche Komitees rund um die SVP in den Abstimmungskampf gegen Harmos – in einigen Kantonen, etwa Luzern, mit Erfolg. Das politische Gezerre um den Harmos-Beitritt liegt mehr als zehn Jahre zurück.
Doch eine Frage von damals, die viele Eltern gerade in den Tagen vor dem Schulstart umtreibt, ist auf der Agenda geblieben: Ist mein Kind mit vier Jahren bereit für den Kindergarten? Oder noch viel zu verspielt und zu jung? Letzteres denken ein Drittel der Eltern, wie eine Umfrage von Bildungsökonom Stefan Wolter zeigt. Das schlägt sich in den Zahlen zu Einschulungen nieder. Jedes fünfte Kind tritt später in die 1. Primarklasse ein, als es eigentlich sollte. Viele davon haben den Kindergarten verzögert besucht.
In den 15 Harmos-Kantonen sowie Aargau und Thurgau ist der zweijährige Kindergarten ab vier Jahren obligatorisch. In den meisten Kantonen ist der Stichtag Ende Juli. Die jüngsten Kindergärtler sind somit vier Jahre und wenige Wochen alt, wenn sie erstmals mit Leuchtstreifen und Znünitäschli in Richtung Schulgebäude losmarschieren, die ältesten fast fünfjährig.
Das ist eine grosse Differenz in einem Alter, in dem Kinder innert weniger Monate grosse Entwicklungssprünge machen. Je nach Kanton haben die Eltern mehr oder weniger Mitspracherechte, wenn es darum geht, den Kindergarteneintritt um ein Jahr zu verschieben.
Bräuchte es alternative Lösungen? Aus Sicht des Zürcher Kantonsrats ist das der Fall. Anfang Jahr hat es einen Vorstoss angenommen, in dem Parlamentarier der FDP, SVP und GLP dafür plädieren, die Zurückstellung um ein halbes Jahr zu ermöglichen. Das bedeutet: Ein Kind soll auch im Februar anstatt im August in den Kindergarten eintreten können – und eineinhalb Jahre später trotzdem die erste Primarklasse besuchen.
Kantonsrat Marc Bourgeois (FDP) argumentierte, ein Teil der spätgeborenen Kinder einer Klasse sei nicht oder bloss knapp bereit für den Kindergarten. Dies führe zu einer höheren Belastung für die Kindergartenlehrpersonen. Ein anderes typisches Hindernis: Manche Vierjährige mögen intellektuell bereit sein, benötigen aber noch Windeln. Gemäss dem Remo-Largo-Klassiker «Babyjahre» sind 10 Prozent der Kinder zu Beginn des 5. Lebensjahres noch nicht trocken. In der Vergangenheit hielt der Verband Kindergarten Zürich in einem Positionspapier die Forderung fest: «Lehrpersonen wickeln keine Kinder.»
Die Zürcher Regierung muss nun gegen ihren Willen die Möglichkeit eines flexibilisierten Kindergarteneintritts prüfen. Sie befürchtet unter anderem, ein späterer Kindergarteneintritt bringe Unruhe in eine Klasse.
In den Nicht-Harmos-Kantonen entschärft sich die Problematik des zu frühen Kindergartenstarts insofern, als das erste Jahr freiwillig und der Eintritt erst mit fünf Jahren obligatorisch ist. In Graubünden sind sogar beide Jahre fakultativ. Die allermeisten Kinder besuchen indes beide Kindergartenjahre.
Eine Umfrage von CH Media bei den Kantonen zeigt: Mitten im Schuljahr den freiwilligen Kindergarten zu starten, ist nur in den Kantonen Obwalden, Appenzell Ausserrhoden und Luzern möglich. Natürlich höre man ab und zu, es sei aufwendig, die Kinder in die Gruppe zu integrieren, sagt Aldo Magno, Leiter der Dienststelle Volksschulbildung des Kantons Luzern. «Aber das ist Teil des schulischen Auftrags.» Zudem gehöre es zum sozialen Lernen, dass Kinder einen Umgang mit geänderten Konstellationen in einer Gruppe fänden. Im letzten Schuljahr begann die Bildungskarriere für 205 Kinder im Februar. Das entspricht 2.5 der Lernenden auf dieser Stufe.
Der Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer befürworte den halbjährlichen Kindergarten im Grundsatz. Geschäftsleitungsmitglied Ruth Fritschi weist darauf hin, flexible Eintritte auf das zweite Halbjahr bedeuteten auf jeden Fall Mehraufwand.
Unterstützung gibt es auch von wissenschaftlicher Seite. Margrit Stamm, emeritierte Professorin für Erziehungswissenschaften und Leiterin des Forschungsinstituts «Swiss Education» mit Sitz in Aarau, findet es zwar richtig, wenn Kinder früh, auch schon mit vier Jahren, im Kindergarten gefördert werden. Dass relativ viele Kinder später den Kindergarten besuchen als sie es gemäss dem Stichtag müssten, betrachte sie als «Achillesferse» des Systems.
Stamm sagt: «Vielleicht ist ein Kind im August noch sehr verspielt und noch nicht trocken. Doch dann macht es einen Entwicklungsschub und im Februar sieht die Welt ganz anders aus.» Bleibe es dann ein weiteres halbes Jahr daheim, könne Unterforderung drohen. Und:
Stamm könnte sich vorstellen, den Kindergartenstart mit einer Eingewöhnungsphase wie in der Kita zu flankieren. Sie plädiert dafür, den Kindergartenlehrpersonen Klassenassistenzen zur Entlastung zur Seite zu stellen. Stamm denkt dabei an Studierende von Pädagogischen Hochschulen.
Auch Kinderarzt Oskar Jenni, Leiter der Abteilung Entwicklungspädiatrie am Kinderspital Zürich, unterstützt einen flexibilisierten Kindergarteneintritt. Ein rigider Stichtag werde der grossen Entwicklungsvielfalt der Kinder nicht gerecht und führe dazu, dass die jüngeren Kinder häufiger als schwächer und unreifer wahrgenommen würden als die Älteren. In der Tat hat Bildungsökonom Wolter diesen relativen Altersvorteil auch in einer laufenden Studie für die Schweiz festgestellt.
Jenni sagt, die Einstufung der Kinder solle unter Berücksichtigung des Entwicklungsstandes anstatt nach Jahrgang erfolgen. Für ihn und Margrit Stamm lautet die Frage nicht, ob die Kinder bereit für die Schule seien, sondern die Schule bereit für die Kinder. Sie plädieren für einen Unterricht, der sich am individuellen Entwicklungsstand der Kinder orientiert.
Für Lehrer bedeutet das eine didaktische Herausforderung. «Der Umgang mit Vielfalt ist eine komplexe Arbeit, die nicht einfach so gelingt», sagt Stamm. Die Lehrpersonen packten dies unterschiedlich an. Stamm würde sich wünschen, dass gerade in den unteren Stufen vermehrt im Team unterrichtet würde, um besser auf die einzelnen Schüler eingehen zu können. Doch das scheitere politisch an der Kostenfrage.
Nicht alle Pädagogen begrüssen den halbjährlichen Kindergarteneintritt. Auf den ersten Blick, sagt Carl Bossard, töne die Idee zwar bestechend. Auch der Gründungsrektor der Pädagogischen Hochschule Zug betont, das Bildungssystem müsse dem individuellen Entwicklungsstand der Kinder Rechnung tragen.
Doch Bossard befürchtet, der halbjährliche Eintritt störe die Stabilität und Harmonie in einem Klassengefüge. Es brauche sie, damit sich Kinder individuell und gemeinsam entwickeln könnten. Sein Vorschlag:
Das Modell also, das in Nicht-Harmos-Kantonen vorherrscht.
Wir fanden das zu früh und haben sie ein Jahr zurück behalten. Die Kindergärtnerin hat uns später bei jedem Elterngespräch bestätigt, dass wir den richtigen Entscheid getroffen hatten.
Aber ja, ein Kind das in den Kindergarten geht, gjbt den Eltern ein Stück Freiheit zurück. Es sollten aber nicht die Eltern oder Harmos im Vordergrund stehen, sondern das Kind!
Besser ist es, wenn die Gemeinden die Spielgruppe für alle Kinder möglich machen.
Bei uns ist das so und wir sind sehr froh um die gute Arbeit, welche die Spielgruppe leistet. Da gibts auch flexible Einstiegsmöglichkeiten... Gruppen, die im Februar neu starten.