Die EU-Innenminister haben in Mailand über die Flüchtlinge im Mittelmeerraum diskutiert. Viele Minister sprachen von Solidarität mit Italien, das mit der Situation überfordert ist. Doch bei der konkreten Hilfe hapert es. Vor Ort war auch Bundesrätin Sommaruga.
Seit Jahresbeginn strandeten gegen 70'000 Flüchtlinge an der Küste Italiens. Angesichts der hohen Flüchtlingszahlen müssten sich die anderen Staaten solidarisch zeigen, sagte Simonetta Sommaruga gegenüber der Nachrichtenagentur SDA. «Aussergewöhnliche Situationen brauchen aussergewöhnliche Massnahmen. Europa muss mehr tun», forderte sie.
Die Schweiz jedenfalls sei bereit, Italien gemeinsam mit anderen Staaten zu unterstützen – etwa beim Empfang und bei der Registrierung ankommender Flüchtlingen. Dies hatte sie auch dem italienischen Innenminister Angelino Alfano versichert. Als Schengen-Mitglied nimmt die Schweiz an informellen EU-Innenministertreffen teil.
Italien sieht sich mit der hohen Flüchtlingszahl überfordert. Daher stellte Alfano klar, dass die Operation «Mare Nostrum» zeitlich begrenzt sei und Italien den Einsatz «so schnell wie möglich» an die EU-Grenzschutzagentur Frontex übergeben wolle.
«Mare Nostrum» war nach dem Bootsunglück vor der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa mit über 360 Toten im letzten Oktober ins Leben gerufen worden, um das Mittelmeer mithilfe der italienischen Marine zu überwachen und Flüchtlinge aufzugreifen.
Alfanos Ankündigung stiess jedoch auf wenig Gegenliebe. EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström bremste umgehend: «‹Mare Nostrum› ist eine sehr grosse und teure Operation. Frontex ist eine kleine Agentur und kann nicht morgen übernehmen.» Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière lehnte den Vorschlag ebenfalls aufgrund fehlender Mittel als «unrealistisch» ab.
De Maizière mahnte ausserdem Italien, Flüchtlinge nicht einfach in andere Staaten weiterziehen zu lassen. Unterstützt wurde er vom schwedischen Einwanderungsminister Tobias Billström. Denn laut EU-Recht ist das Land, in dem jemand ankommt, für die Prüfung eines Asylantrags zuständig.
Die Schweiz gewährte seit dem vergangenen Herbst bisher rund 3000 Flüchtlingen aus Syrien die erleichterte Einreise. «Wir sind das einzige europäische Land, das so etwas gemacht hat», sagte Sommaruga.
Ausserdem nimmt die Schweiz innert drei Jahren 500 anerkannte Flüchtlinge auf. «Und wir sind weiterhin bereit, besonders verletzlichen Menschen Schutz zu gewähren», sagte die Justizministerin. Dies habe sie gegenüber ihren Amtskollegen deutlich gemacht.
Entgegen verschiedenen Medienberichten gibt es derzeit laut der Bundesrätin jedoch kein zusätzliches neues Programm zur Aufnahme von Flüchtlingsgruppen aus Syrien.
Angesichts des Streits innerhalb der EU über Solidarität und Verteilung der Flüchtlinge wollen sich die EU-Mitgliedstaaten nun darum bemühen, dass gar nicht erst so viele Flüchtlinge nach Europa kommen.
So wollen sie den Kampf gegen Schlepperbanden verstärken und enger mit Nachbarstaaten wie Marokko, Algerien und Tunesien zusammenarbeiten. Für Hilfe vor Ort hat die Schweiz bis anhin rund 80 Millionen Franken investiert.
Besonders schlimm ist die Situation für Flüchtlinge im Krisenstaat Libyen. Flüchtlingsorganisationen prangern an, dass es in Auffanglagern in Libyen zu Menschenrechtsverletzungen komme.
Mit Blick auf Libyen bezeichnete Sommaruga den Vorschlag der österreichischen Innenministerin Johanna Mikl-Leitner als «prüfenswert», europaweit Resettlement-Programme einzuführen. Dabei sollen die EU-Staaten künftig Flüchtlinge aufnehmen, die direkt vom UNO-Flüchtlingshochkommissariat an «Hotspots» in Nordafrika ausgewählt werden.
Sie sollten nach einem fixen Schlüssel auf die EU-Staaten aufgeteilt werden, proportional zur Bevölkerungszahl und «unter Rücksichtnahme auf die bereits jetzt vorhandene ungleiche Verteilung».
Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl kritisierte die Politik der EU-Innenminister. «Der kleinste gemeinsame Nenner heisst, die Festung Europa bereits vor den Toren Europas dicht zu machen.» (viw/sda/dpa/afp)