Sind Sie ein schlechter Verlierer, Herr Burkart?
Thierry Burkart: Nein, weshalb?
Nach dem Ja zur 13. AHV-Rente kündigte Ihre Partei an, sie lehne jede Erhöhung von Steuern und Abgaben für die AHV ab. Eine Trotzreaktion!
Selbstverständlich gilt es den Volksentscheid ohne Wenn und Aber zu akzeptieren. Die Finanzierung war aber nicht Teil der Initiative und muss jetzt politisch ausgehandelt werden. Für die FDP steht fest: Eine zusätzliche Belastung von Mittelstand und KMU darf es nicht geben. Das Hauptargument für die 13. AHV-Rente war der Kaufkraftverlust. Deshalb wäre es widersinnig, wenn wir nach dem Volksentscheid die Kaufkraft schwächen würden.
Das heisst Nein zu höherer Mehrwertsteuer und höheren Lohnabgaben?
Richtig. Die 13. AHV-Rente sollte primär über Einsparungen im Bundesbudget finanziert werden.
Es geht um 4,1 Milliarden Franken. Wo wollen Sie sparen?
Es gibt in vielen Bereichen Spielraum. In der Verwaltung, im Asylwesen, in der Entwicklungszusammenarbeit und auch im Kulturbereich. Und: Man muss die Subventionen durchkämmen.
Sie haben früher in der Nationalliga A Handball gespielt. Konnten Sie als Sportler verlieren?
Ja, das war kein Problem. Im Sport wie in der Politik gehört das dazu. Ich sage seit Bekanntwerden des Abstimmungsresultats: Die 13. AHV-Rente muss ab 2026 ausbezahlt werden, selbst wenn die Finanzierung bis dann nicht geklärt ist.
Vor dem Verlieren kommt der Kampf. Haben die Bürgerlichen genügend gekämpft für ein Nein?
Es hat leider nicht gereicht. Aber in unserer Partei haben viele mit grossem Einsatz gekämpft, vor allem auch die Dossierspezialisten unserer Partei wie Andri Silberschmidt, Matthias Müller, Regine Sauter und Philippe Nantermod.
Ist der Erfolg der Gewerkschaften an der Urne historisch?
Ich bin zurückhaltend mit solchen Begriffen. Wir werden sehen, ob weitere Umverteilungsforderungen erfolgreich sein werden. Im Juni stimmen wir über die Prämienentlastungsinitiative ab. Bei einem Ja müsste der Bund bis 2030 nochmals bis neun Milliarden Franken gegenfinanzieren. Dann wird sich zeigen, ob wir von einer historischen Wende sprechen können oder nicht.
Die Nachwahlbefragung zeigte, dass es am Sonntag weniger um links oder rechts ging, sondern um tiefe oder hohe Einkommen. Es war ein Sieg der Armen über die Reichen. Haben die Bürgerlichen die Sorgen und Nöte der Bevölkerung falsch eingeschätzt?
Wir haben durchaus gespürt, dass in der Bevölkerung eine Grundstimmung entstanden ist, es sei für alles Geld da: Für Asyl, Entwicklungshilfe, CS-Rettung, Corona-Massnahmen. Nur für die eigenen Rentnerinnen und Rentner nicht! Ich verstehe den Volksentscheid darum auch als Auftrag an die Politik, endlich Lösungen zu finden, insbesondere bei den Krankenkassenprämien und im Asylwesen, wo sehr viel Geld hinfliesst.
Wie wollen Sie die Krankenkassenprämien-Abstimmung im Juni gewinnen?
Indem wir aufzeigen, dass die Initiative das Problem des Kostenwachstums im Gesundheitswesen nicht angeht. Sie deckelt einfach die Prämienlast. Klar ist: Nach den 5 Milliarden Franken für die 13. AHV-Rente nochmals 9 Milliarden Franken könnten wir ohne Erhöhung von Steuern und Abgaben unmöglich gegenfinanzieren. Das beträfe in erster Linie Mittelstandsfamilien und die KMU. Dagegen wehren wir uns. Stattdessen müssen wir den Kostenanstieg bremsen, etwa mit der einheitlichen Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen. Zudem gibt es bei der Prämieninitiative einen Gegenvorschlag: Den Haushalten mit tiefen Einkommen wird also geholfen.
Vor lauter AHV ging fast unter, dass die FDP am Sonntag auch drei kantonale Wahlen verloren hat - St. Gallen, Uri und Schwyz. Was läuft falsch?
Es stimmt, wir haben verloren am Sonntag. Als ich das Präsidium übernahm, musste ich direkt in den Wahlkampfmodus schalten. Nach der Wahlanalyse haben wir verschiedene Arbeitsgruppen geschaffen. Bis Ende Jahr wollen wir besser aufgestellt sein.
Es ist ja nicht so, dass es am Sonntag einen Linksrutsch gegeben hätte, im Gegenteil: Überall legte die SVP zu.
Die SVP profitiert von der grossen Unzufriedenheit mit der Migrations- und Asylpolitik. Für uns ist es anspruchsvoller, unsere Asylpolitik verständlich zu machen, die seit zehn Jahren durchaus konsequent ist nach dem Motto «hart, aber fair». Wir müssen mehr Profil gewinnen.
Die SVP ist das Original. Sie wollen die SVP auf ihrem eigenen Terrain schlagen?
Wir sind eine Volkspartei und bearbeiten alle Themen. Asylpolitik ist wichtig für die Schweiz und die Schweizer Bevölkerung, also haben wir als Partei den Auftrag, uns neben vielen anderen auch um dieses Thema zu kümmern.
Sie haben eben bekannt gegeben, für weitere zwei Jahre als FDP-Präsident zu kandidieren. Haben Sie keine Angst, als derjenige Parteichef in die Geschichte einzugehen, der den zweiten Bundesratssitz verliert?
Angst wäre ein schlechter Ratgeber. Mein Eindruck ist, dass die Partei in der aktuellen Situation Kontinuität benötigt. Wenn die Delegierten der Auffassung sind, dass ich die Aufgabe zusammen mit einem starken Team fortführen soll, dann stelle ich mich gern zur Verfügung.
Mussten Sie angesichts der Niederlagenserie lange überlegen?
Ich bin keiner, der in schwierigen Situationen davonläuft. Mein Auftrag ist noch nicht zu Ende, ich möchte ihn so gut wie möglich erfüllen.
Kommen manchmal Zweifel auf, ob dieser Auftrag zum Erfolg führen kann?
Zweifel gehören zur politischen Arbeit, und es ist eine Tatsache, dass wir bei den Wahlen im Herbst verloren haben. Aber der Kampf für eine liberale Schweiz und für die Entlastung der Bürgerinnen und Bürger sowie der KMU geht weiter. Natürlich habe ich mich nach den Wahlen auch gefragt, liegt es an mir? In der Partei höre ich eigentlich nur: Die FDP hat nicht wegen, sondern trotz meiner Person verloren.
Der Trainer ist unbestritten, aber dass der Klub zurück zum Siegen findet, glaubt kaum jemand.
Ich habe ein sehr gutes Team, auf das ich mich verlassen kann. Wir glauben an das Erfolgsmodell Schweiz, dafür müssen wir aber den Mittelstand und unsere KMU entlasten!
Zu diesem Team gehört neu der frühere «Arena»-Moderator Jonas Projer. Er wird Generalsekretär, obwohl er noch nie politische Arbeit geleistet hat.
Er hat als langjähriger Redaktionsleiter der Arena, EU-Korrespondent und Chefredaktor sehr wohl ein Verständnis für die Politik und viele Jahre Führungserfahrung. Und nicht zuletzt ist er ein Kommunikationstalent.
Dann hätten Sie ihn besser zum Kommunikationschef gemacht.
Jonas Projer kann nicht nur kommunizieren, sondern verfügt über ein grosses Politikverständnis. Zudem freut er sich darauf, nun in den Hintergrund zu treten und die Partei zu unterstützen. Er wird ein starker Generalsekretär sein.
Projer war zuletzt wenig erfolgreich Chefredaktor der «NZZ am Sonntag». Wie steht es eigentlich um das Verhältnis von FDP und NZZ?
In der NZZ hat es immer noch einzelne sehr gute und liberal denkende Journalisten. Aber sie waren auf der Redaktion schon zahlreicher vertreten.
Der Liberalismus steckt in der Krise. Von den Linken bis hin zu Donald Trump werden teure Versprechungen gemacht. Die FDP Schweiz ist weltweit bald die letzte Partei, die für Sparsamkeit und einen schlanken Staat plädiert.
Vielleicht, aber das ist unsere DNA. Es ist leider so: Das liberale Staatsmodell – unser Erfolgsmodell! – wird untergraben. Gewisse Manager haben dazu beigetragen, dass das Vertrauen geschwunden ist und stets nach dem Staat gerufen wird. Meine Aufgabe sehe ich darin, aufzuzeigen, dass unser Wohlstand auf Eigenverantwortung und verlässlichen Rahmenbedingungen für alle gründet.
Selbst Unternehmen suchen inzwischen die staatlichen Geldtöpfe: Der Schweizer Zementkonzern Holcim spaltet sein US-Geschäft ab, um von amerikanischen Subventionen zu profitieren.
Die Schweiz wurde als Standort attraktiv, weil sie eben gerade nicht Industriepolitik machte, sondern als Standort hervorragende, freiheitliche Rahmenbedingungen bot, wozu tiefe Steuern gehören. Der wirtschaftliche Erfolg gibt uns recht. Unser Wohlstand wird zerfallen, wenn wir diese Philosophie preisgeben. Und das passiert schleichend. Wir haben den Staat gigantisch ausgebaut. Das Bundesbudget lag vor 30 Jahren noch bei rund 36 Milliarden Franken, jetzt bei rund 86 Milliarden Franken.
Und Sie wollen bei den Subventionen ansetzen?
Ich stelle fest, dass es viele Unternehmen gibt, die ihr Geschäftsmodell auf das Einheimsen möglichst vieler Subventionen ausgerichtet haben. Wir haben ein Dickicht an Subventionen, das wir lichten müssen. Ich könnte ihnen Dutzende Beispiele nennen.
Am Freitag hat der Bundesrat das Mandat für Verhandlungen mit der EU verabschiedet. Die Europapolitik ist wichtig, aber für die FDP ein Feld, auf dem sie fast nur verlieren kann.
Das nicht, aber es ist für die FDP historisch gesehen ein anspruchsvolles Thema. Wir haben immer die Auffassung vertreten, dass die Schweiz in Europa und in der Welt vernetzt sein muss. Das eint uns. Über die konkrete Umsetzung gibt es verschiedene Auffassungen. Wir werden das Ergebnis der Verhandlungen beurteilen, wenn es vorliegt - bis dahin gilt es, dem Bundesrat den Rücken zu stärken.
Das Rahmenabkommen scheiterte nach langen Verhandlungen kurz vor der Ziellinie. Kommt der Übungsabbruch diesmal schon in einer frühen Phase?
Das hängt davon ab, ob die positiven oder die negativen Aspekte überwiegen. Das wissen wir noch nicht. Wir wollen in der FDP aber den parteiinternen Entscheidungsprozess abändern. Normalerweise geht das Dossier nach der Vernehmlassung zuerst in die parlamentarischen Kommissionen, dann in die Fraktion, nach dem parlamentarischen Prozess in die Parteigremien und erst am Schluss an die Delegiertenversammlung der Partei.
Das wollen Sie ändern?
Ja, wir möchten den Prozess gewissermassen umdrehen, also so schnell wie möglich die Parteibasis zum Verhandlungsergebnis befragen. Entweder an einer Delegiertenversammlung oder an einem Parteitag. Es soll breit diskutiert und eine klare Position bezogen werden.
Noch bevor das Parlament darüber debattiert?
Ja. Die Parteibasis soll entscheiden, so wissen wir FDP-Vertreterinnen und Vertreter im Parlament, wie die Basis denkt.
Auch gegen den Willen des eigenen Bundesrats, FDP-Aussenminister Ignazio Cassis?
Wir sind eine demokratische Partei. Bundesrat Cassis wird selbstverständlich seine Sicht prominent einbringen können.
Anders als in der Europapolitik ist die FDP in der Sicherheitspolitik ziemlich geeint. Allerdings verhält sie sich widersprüchlich: Für die Armee will sie mehr Geld ausgeben, zugleich aber den Bundeshaushalt runtersparen.
Die Schweiz hat 30 Jahre lang von der Friedensdividende in Europa gelebt und die Armee zusammengespart. So weit, bis sie ihre Verteidigungsfähigkeit verloren hat. Nun hat sich die Bedrohungslage in Europa gravierend verändert. Mir scheint es manchmal, als dass die Schweiz das letzte Land in Europa ist, dass das noch nicht gemerkt hat!
Wie meinen Sie das?
Das Risiko eines Krieges schien lange inexistent, nun liegt es wohl wieder so hoch wie zuletzt im Jahr 1962 bei der Kuba-Krise. Überall sonst in Europa ist unbestritten, dass mehr in die Sicherheit investiert werden muss. Selbst bei den Grünen …
… bei den Grünen?
Bei den Grünen in Österreich. Ich bin neu in der Schweizer Delegation bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Kürzlich an der Versammlung in Wien sagte mir ein Österreichischer Nationalrat der Grünen, es sei klar, auch ein neutrales Land wie Österreich müsse 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Armee investieren. In der Schweiz reden wir davon, wie wir von 0,7 Prozent auf 1 Prozent hochgehen können. Wir müssen aber auch klar sagen, dass für unsere Sicherheit eine Zusammenarbeit mit der Nato nötig ist. Kein Beitritt – ich stehe zur Neutralität. Aber eine engere Kooperation.
Wollen Sie eine Nato-kompatiblere Armee?
Eine engere Zusammenarbeit im Sinne einer Option im Kriegsfall. Wenn die Schweiz bedroht sein sollte, sind höchstwahrscheinlich auch weite Teile Europas bedroht. Das bedingt Kooperation im Kriegsfall. Darauf muss man sich vorbereiten und gemeinsam trainieren. Weiter gibt es Gefahren, wie zum Beispiel Langstreckenraketen, die wir im Alleingang gar nicht abwehren können. Und: Die Schweiz hat teilweise den Raum gar nicht mehr, um gross angelegte Übungen abzuhalten. Damit meine ich nicht die Teilnahme an Nato-Übungen an der Ostflanke von Europa. Sondern so wie es die Luftwaffe bereits macht, müssten unsere Bodentruppen mindestens auch im Schweizer Vorgelände zusammen mit Nato-Partnern trainieren können.
Die SVP plädiert für eine komplett eigenständige, autarke Armee ohne Nato-Anbindung.
Wenn Europa bedroht ist, sind Landesgrenzen weniger relevant. Dann ist die Schweiz ein operativer Raum im militärtaktischen Sinn. Dann tun wir gut daran, über eine Option zur Zusammenarbeit mit der Nato zu verfügen.
Das wäre dann die Schweizer Zeitenwende?
Gar nicht. Die Schweizer Armee war nie isoliert. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg hat die Schweiz mit den Franzosen die Option zu einer Zusammenarbeit im Fall eines deutschen Angriffs erarbeitet. Das war niemand anders als General Guisan. (aargauerzeitung.ch)
Der verantwortungsvolle Liberalismus, Staatstragend und Inklusiv.... ist endgültig Tod seit ihm.
Zurück blieb ein "alle anderen sind schuld" und fürs reichste % optimierte Partei von Neolibertären und Neoliberalen Konservativen, die statt Liberalismus nur einen Pseudo-Kulturkampf gegen jede Veränderung führen, der eigentlich einfach zelebrierter Egoismus ist..
Ich war lange stolzer FDP'ler, mittlerweile schäme ich mich für die Partei.
Staatstragender Liberalismus war mal ein Ideal!
"Es gibt in vielen Bereichen Spielraum. In der Verwaltung, im Asylwesen, in der Entwicklungszusammenarbeit und auch im Kulturbereich. Und: Man muss die Subventionen durchkämmen."
Da werden nicht etwa alle Kostenstellen erwähnt sondern nur die die die FDP kürzen möchte. Das ist unredlich, nebst der Tatsache dass man doch auch einmal die Steuern prüfen sollte, nicht mit Erhöhungen, sondern mit strengeren Kontrollen und weniger larger Interpretation der Hinterziehung, die all zu oft eher Betrug darstellt.