Ein weiteres schwarzes Wochenende für die FDP. Vier Parlamentssitze verloren in den Solothurner Wahlen. Einbussen in der Stadt Freiburg. Ein Debakel in Genf: Der FDP-Kandidat liegt hinter Pierre Maudet, der in erster Instanz verurteilt worden ist wegen Vorteilsnahme. Die Genfer FDP ist im freien Fall.
Und Bundesrätin Karin Keller-Sutter, freisinnige Galionsfigur, verliert an einem Sonntag gleich zwei Abstimmungsvorlagen. Keller-Sutter hatte sich eingesetzt für den elektronischen Identitätsnachweis. Er fiel mit 64 Prozent Neinstimmen durch.
Einziger Lichtstrahl ist die Walliser FDP, die im Kantonsparlament einen Sitz hinzugewinnt. Aber das beruhigt die Bundesparlamentarier der Partei nicht. «Die Situation ist langsam kritisch», sagt eine Nationalrätin.
In einer Organisation, die in eine Krise rutscht, wird früher oder später die Führung infrage gestellt. Bei den Freisinnigen ist es nun so weit. «Es wird in dieser Partei strategisch zu wenig Arbeit geleistet», sagt ein Nationalrat, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will.
Beispiel Rahmenabkommen. Die Fraktion spricht sich klar dafür aus. Dann scheren einige Mitglieder aus. FDP-Ständerat Thierry Burkart fordert gar den Abbruch der Verhandlungen. Parteipräsidentin Petra Gössi und Fraktionschef Beat Walti wirken überrumpelt. Ihre Verteidigung ist halbherzig. Man fragt sich: Was will die FDP nun mit dem Vertrag? Der freisinnige Bundesrat Ignazio Cassis sagt in einem Interview, nicht nur die Coronakrise mache müde, auch das Rahmenabkommen.
Eine Anlaufstelle für besorgte Freisinnige ist der frühere Parteipräsident Philipp Müller. Der Aargauer, der in seiner Amtszeit den Niedergang der FDP stoppen konnte, hält sich mit Ratschlägen zurück. Es gehöre sich nicht, den Nachfolgern dreinzureden, sagt er.
Müller seufzt, wenn man ihn fragt, wie er den Zustand der FDP beurteile. Nur einen Satz lässt er sich entlocken:
Damit spricht er wohl auch auf Aussagen aus den eigenen Reihen an, etwa von Altbundesrat Johann Schneider-Ammann, der in der NZZ den Vertrag als Gefahr für die Souveränität bezeichnete.
Die FDP hat sich das Heft aus der Hand nehmen lassen. Die Parlamentarier wünschen klarere Stellungnahmen der Parteileitung. Petra Gössi wartete am Samstag mit einer deutlichen Einlassung auf: Sie werde an der Universität St.Gallen einen Executive Master in Business Administration absolvieren, teilte sie mit. 16 Kurswochen plant sie dafür ein.
Die FDP setzt sich für das sogenannte lebenslange Lernen ein. Aber einige Freisinnige fragen sich, warum Gössi gerade jetzt den Kurs absolviert. Sie vermuten, dass sich die Schwyzerin auf die Zeit nach dem Präsidentenamt vorbereitet. «Hört sie in einem Jahr auf oder in zwei? Das fragte ich mich, als ich vom MBA hörte», meint ein Nationalrat.
FDP-Sprecherin Karin Müller dementiert solche Pläne. «Neben ihrer Funktion als FDP-Präsidentin und Nationalrätin hat Petra Gössi noch einen anspruchsvollen Job in der Privatwirtschaft», sagt sie. Durch ihre Weiterbildung profitiere Petra Gössi auch als Politikerin. Führungswissen sei immer gefragt, und das zeige sich gerade in der Krise besonders deutlich.
Die FDP-Sprecherin meint wohl die Coronakrise, nicht die Krise der Partei. Die Grünliberalen nehmen der FDP Stimmen weg. Die Freisinnigen sind nun ökologischer ausgerichtet, aber elektoral zahlt sich das bisher nicht aus. Das Problem der Partei ist, dass sie auch auf keinem anderen Feld richtig punktet. «Irgendwann ist die grüne Welle vorbei, dann rappeln wir uns auf», sagt ein Nationalrat. Geschieht das nicht bald, dürfte die Partei in zwei Jahren einen ihrer zwei Sitze im Bundesrat verlieren. (aargauerzeitung.ch)
Wer hätte das nur gedacht?