Mit meiner Kamera durfte ich eine Verwandlung begleiten. Um 14 Uhr habe ich Michel begrüsst, um 22:30 Uhr habe ich mich von Paprika verabschiedet. Normalerweise lasse ich in diesen Storys die Bilder für sich sprechen. Beim Schminken hat sich aber ein Gespräch ergeben, das ich mit euch teilen möchte.
Wie definierst du Drag?
Michel von Känel: Drag ist eine – oft politische – Kunstform, die ohne Regeln mit dem Geschlecht spielt. Wir setzen der echten Welt einen Spiegel vor. Wir zeigen, wie ein Mann in unserer Gesellschaft sein soll oder glaubt, sein zu müssen. Und dass er das eben nicht muss. Wir nehmen das, was da ist, übertreiben und verpacken es in die Kunstform Drag.
Was ist Paprika? Eine Rolle oder eine Identität?
Eine Mischung aus beidem. Ich identifiziere mich als Mann, aber Paprika ist die übertragene feminine Seite in mir. Auf der Bühne ist es eine Rolle, dann liefere ich eine Show ab.
Und fernab der Bühne?
Da hat Paprika auch Platz. Wenn ich hohe Schuhe trage, zum Beispiel. Aber sicher weniger als auf der Bühne. Ich glaube aber, wir alle nehmen viele Rollen ein im Leben. Im Schulzimmer bin ich Lehrer. Im Lehrerzimmer bin ich Arbeitskollege. Paprika ist einfach eine zusätzliche. Eine, die sich optisch stärker von den anderen unterscheidet.
Durch den ganzen Glitzer, die Kostüme und das Make-up wirkt die Dragwelt ziemlich glamourös. Wie sieht es in der Realität aus?
Du machst dir die Füsse und den Rücken kaputt. Du folterst deine Haut. Und dann die Leute – die stecken dich natürlich in eine Schublade, haben Vorurteile. Manchmal ist es dann auch als Lehrer nicht einfach. Aber beim aktuellen Lehrpersonenmangel können sie nicht so wählerisch sein (lacht).
Was sind die Vorteile vom Mann- beziehungsweise Frausein?
Als Drag erlebe ich einen Bruchteil von dem, was Frauen in der Gesellschaft erleben. Die Leute fassen mir teilweise ungefragt an den Hintern. Und die Schönheitsideale – die sind so unrealistisch. Ich habe aber das Privileg, dass ich diese negativen Seiten bis zu einem gewissen Grad ablegen kann.
Was ist deine Botschaft als Paprika?
Dass Femininität nichts Schwaches oder Beschämendes ist. Es ist eine Stärke, auf die man stolz sein darf. Auf keinen Fall sollte man sie verstecken oder unterdrücken müssen. Das wäre das Ideal, das strebe ich an.
Tokyo
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Greta