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Charles Poncet – der ehemalige Gaddafi-Anwalt und Älteste im Nationalrat

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Ex-Nationalrat Yves Nidegger (links), Neuankömmling Charles Poncet (Mitte) und SVP-Bundesrat Albert Rösti an einer Wahlkampfveranstaltung der SVP Genf, 21. August 2023.Bild: KEYSTONE

«Ich gehe nicht zum SRF, das der woken Linken dient»: Das ist der älteste Nationalrat

Der Genfer Anwalt Charles Poncet wurde im Alter von 76 Jahren in den Nationalrat gewählt. Der ehemalige Liberale, der zur SVP wechselte, versichert, dass er während seiner gesamten Amtszeit nicht im Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) auftreten wird. Wird der «Feuerteufel» auch auf den Bänken des Parlaments sein Temperament spielen lassen? Ein Porträt.
27.10.2023, 20:03
Alexandre Cudré
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Im September trat der Waadtländer SVP-Mann Jean-Pierre Grin im ehrwürdigen Alter von 76 Jahren aus der Bundesversammlung aus. Der neue Älteste ist der 76-jährige Charles Poncet, ebenfalls SVP, ein Genfer Anwalt, der in der Calvin-Stadt für seine Unverblümtheit und seinen scharfzüngigen Stil bekannt ist.

Der Genfer Anwalt hat insbesondere während der «Gaddafi-Affäre» im Jahr 2007 für Aufsehen gesorgt. Hannibal Gaddafi, der Sohn des libyschen Despoten, hatte das Personal eines Hotels so schwer misshandelt, dass er von der Polizei abgeführt wurde. Im weiteren Verlauf der Affäre verteidigte Charles Poncet die libysche Regierung, die die Genfer Tageszeitung «Tribune de Genève» wegen Verleumdung verklagt hatte.

Die SVP ging auf ihn zu

Charles Poncet antwortet von seinem Auto aus. Von Genf aus fährt er zu seiner Partnerin nach Mailand, wo er Stammgast ist, insbesondere im Scala-Theater. «Nutzen wir die Gelegenheit, dass ich in der Schweiz bin, damit wir miteinander reden können, danach kommen die Tunnel», sagt er. Wir sprechen über seine Rückkehr in den Nationalrat. Der Genfer war bereits zwischen 1991 und 1995 für ein Mandat im Nationalrat vertreten, damals noch für die Liberale Partei.

A droite: Charles Poncet lors de son mandat de 1991-1995. A gauche: pour la campagne de 2023.
Links: Charles Poncet während seiner Amtszeit von 1991–1995. Rechts: Während der Kampagne 2023.Bild: wikimedia commons / keystone

«Seit 2000 hatte ich aufgehört, aktiv Politik zu machen, auch wenn ich durch meine politischen Meinungsäusserungen weiterhin präsent war», erklärt er bereitwillig. Er war übrigens nie Mitglied der FDP, da ihm die Fusion der Liberalen und der Freisinnigen nicht gefiel. Was hat ihn dazu gebracht, in die Politik zurückzukehren? Ganz einfach: Man hat ihn zurückgeholt. «Die Genfer SVP und ihre Präsidentin Céline Amaudruz waren so freundlich, mir zu sagen, dass ich einen Beitrag zu ihrer Kampagne leisten könnte», erklärt er.

«Fest steht, dass ich nicht zwölf Jahre beim Nationalrat mitmachen werde. Wenn ich ein gesundheitliches Problem habe, gehe ich.»
Charles Poncet
Le conseiller federal Albert Roesti, centre, plaisante avec le candidat au Conseil National Charles (dit Carlo) Poncet, gauche, et Celine Amaudruz, conseillere Nationale UDC, lors du lancement de la c ...
Charles Poncet, Albert Rösti und Céline Amaudruz, die ihn für die SVP «rekrutiert» hat.Bild: keystone

«Er ist eine enorme Bereicherung für die SVP, sie können sich glücklich schätzen, ihn zu haben», meint der nun ehemalige Nationalrat Christian Lüscher (FDP/GE), der in derselben Anwaltskanzlei tätig war und schon viele Male mit seinem Mentor vor Gericht gestanden hat. Er zögert nicht, von einem «geistigen Vater» zu sprechen. Das Profil von Charles Poncet hat sich jedoch weit nach rechts verschoben, meint der kürzlich aus dem Nationalrat geschiedene Lüscher.

«Mit zunehmendem Alter neigen die Menschen dazu, nach rechts zu rücken, und das ist bei ihm der Fall.»
Christian Lüscher (FDP/GE)

«Ich fühle mich in dieser Partei sehr wohl, die eine kohärente Linie verfolgt, insbesondere in Bezug auf Sicherheit und Verteidigung, unsere Beziehung zu Brüssel und gegen die Masseneinwanderung – wir denaturieren unser Land, indem wir es mit Menschen füllen, die von anderswo kommen», erklärt Charles Poncet, für den die Kontroversen um bestimmte Positionen der Partei völlig fremd sind:

«Es gibt eine absurde Dämonisierung der SVP.»
Charles Poncet

Unter welchem Vorzeichen wird er in Bern tätig sein? «Ich bin sehr Law & Order-orientiert. Ich gehe nach Bern, um die Polizei zu schützen und für unverjährbare Strafen zu kämpfen, insbesondere für Gewaltverbrechen, denen Frauen zum Opfer fallen.» Hält er sich also für einen Feministen? Das kommt für den Mann nicht in Frage:

«Nein, überhaupt nicht, ich kümmere mich nicht um diese Etiketten.»
Charles Poncet

Provozieren oder nicht provozieren?

Es gibt noch eine weitere Bezeichnung, die der Genfer nicht akzeptiert, nämlich die eines Provokateurs. Alain Jeannet, ehemaliger Chefredakteur des Mediums l'Hebdo, in dem Charles Poncet regelmäßig seine kontroversen Kolumnen veröffentlichte, sagt:

«Es gab immer eine Vorliebe für Provokation bei ihm.»
Alain Jeannet

«Das ist nicht wahr!», ruft Charles Poncet in seinem Auto irgendwo zwischen Lausanne und Vevey aus. «Als Anwalt war es logisch, dass ich die Leute, die mich engagiert hatten, hart verteidigte, auch die Regierung von Gaddafi. Und im Parlament waren meine Stellungnahmen in den 1990er Jahren gemässigt. Ich habe mich dort nie grossartig geäussert. Dann sagt er doch:

«Aber es ist wahr, wenn ich zum Stift greife, um zu schreiben, dann nicht, um ihn in Vaseline zu tauchen.»
Charles Poncet

Die politische Korrektheit scheint an ihm abzuperlen wie an den Federn einer Ente am Genfersee. Von der Progressivität der 2020er Jahre, die er seit etwas mehr als einem Jahr in seiner regelmässigen Kolumne auf dem Sender Léman Bleu, Poncet en liberté, nach Herzenslust zerpflückt, wollen wir gar nicht erst reden.

Charles Poncet
Charles Poncet in einer seiner Kolumne auf «Léman Bleu».Bild: léman bleu

Der Genfer Anwalt, der in einem tadellosen Anzug mit dickem Krawattenknoten auftritt, liefert darin seine kritischen Analysen der heutigen Gesellschaft. Diese würden wohl nicht unbedingt den Geschmack der Aktivisten von Operation Libero oder der Jungsozialisten treffen. Vor einigen Monaten holte Léman Bleu so beispielsweise eine Kontroverse ein, wegen Aussagen, die Poncet zu gesetzlichen Bestimmungen zu Trans-Personen gemacht hatte:

«Es ermöglicht eine allzu einfache Geschlechtsumwandlung auf dem Standesamt. Und dann ist da noch die Frage des Zugangs zu den Umkleidekabinen. Meine Töchter und Enkelinnen, die ins Fitnessstudio gehen, stellen Sie sich vor, wenn sie nach dem Sport unter der Dusche auf eine «Frau mit Phallus» stossen. Das will ich nicht.»
Charles Poncet

Wie wird sich der Redner im Nationalrat zu liberalen Gesellschaftsthemen verhalten? Ist der Anwalt nicht gerade von der Liberalen Partei zur SVP gewechselt? «Das hat nichts miteinander zu tun. Die SVP und die FDP haben nicht die gleiche Position zu gesellschaftlichen Fragen. Aber gesellschaftliche Fragen sind für das Funktionieren des Staates nicht von Bedeutung.»

Charles Poncet
Charles Poncet zur Thematik des Burkinis und der Nacktheit in Schwimmbädern.Bild: léman bleu

Wenn es zu Debatten kommen sollte, dürfte er nicht weit sein. «Er ist ein gefürchteter Rhetoriker», kommentiert Alain Jeannet. Christian Lüscher ergänzt:

«Mit der Redekunst ist er mehr als vertraut, ebenso wie mit der Geschichte und der Verfassung. Er ist einer der kultiviertesten Menschen, die ich kenne. Und er spricht sehr gut Deutsch, so gut wie kein anderer Genfer Abgeordneter.»
Christian Lüscher, bisheriger Nationalrat (FDP/GE)

«L'Hebdo hatte ihm diese Kolumne angeboten, die ein offener Brief war. Er war sehr aufbrausend und es gab manchmal Beschwerden», erklärt sein ehemaliger Chefredakteur. «Aber er hatte Stil, war immer sehr lustig und setzte sich regelmäßig für Witwen und Waisen ein. Er hat Menschen in Machtpositionen nie verschont». Für das progressive und offen pro-europäische Medium «trug diese Kolumne zur Meinungsvielfalt bei».

«Eines ist sicher: Er hat Feuer gelegt.»
Alain Jeannet

Er will nicht zu SRF

Der ehemalige Kolumnist von L'Hebdo und Berichterstatter von Léman Bleu sagte, als sein Wagen durch das Chablais fährt: «Ich bin ein Anhänger der vollen Pressefreiheit». Und im selben Atemzug fügt er hinzu: «Aber man muss klar sehen: Journalisten sind entweder zu Abschreibern von Meldungen oder zu Partisanen geworden.»

Und als man ihn darauf hinweist, dass er sich an einen Journalisten wendet, sagt er: «Ja, aber Sie sind die privaten Printmedien, das hat nichts miteinander zu tun.»

«Aber nehmen Sie das SRF: Das ist eine Propaganda-Agentur für die Woke-Linke.»
Charles Poncet

Wird der Anwalt in den nächsten Jahren die Rolle des Polemikers oder reaktionären Onkels auf «Forum» oder «Infrarouge» (zwei Formate im RTS) übernehmen? «Vielleicht ist sein Einstieg in die Politik eine Möglichkeit, wieder in die öffentliche Debatte einzusteigen», sagt Alain Jeannet. Doch der Betreffende, der in den 1990er und 2000er Jahren ein regelmäßiger Gast des öffentlich-rechtlichen Rundfunks war, dementiert und behauptet sogar:

«Ich habe beschlossen, dass ich in den nächsten vier Jahren nicht auf den Sets oder Radiowellen von RTS zu sehen oder zu hören sein werde.»
Charles Poncet

Die Sozialisten sind ihm die liebsten Feinde

Während er sich mit der Frage des «Wokismus» auseinandersetzt, sprechen wir über den Absturz der Grünen bei den Nationalratswahlen: Was hat er aus seinen Jahren im Parlament gelernt, insbesondere als die Grünen viel schwächer waren? Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen:

«Die Grünen waren immer eine Recyclingfirma für die extreme Linke.»
Charles Poncet

«In den letzten vier Jahren hat man sehr gut gemerkt, dass die Grünen die Leute in die Sackgasse führen», fährt der Anwalt fort. «Bei den Sozialisten ist das anders. Das sind ernsthafte Leute, die sich an Kompromisse halten.»

«Nehmen Sie Carlo Sommaruga, den ich gut kenne. Wir stimmen bei so gut wie nichts überein, aber er ist ein Profi, mit dem man sich einigen kann.»
Charles Poncet

Das Telefonat ist zu Ende. Ein Walliser Tunnel folgt dem anderen, und bald wird Poncet den Tunnel des Grossen Sankt Bernhard in Richtung Italien passieren. In Bern wird man sicherlich noch einiges von Charles Poncet hören.

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130 Kommentare
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the Wanderer
27.10.2023 20:22registriert Mai 2014
ein Glück, müssen wir den nicht im TV bei SRF sehen...
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Janster
27.10.2023 20:20registriert März 2021
Die Grünen führen die Leute in eine Sackgasse...Ah ja. Nach meinem letzten Kenntnisstand haben die Grünen keinen Bundesrat, haben wenig Sitze in Beiden Kammern. Aber die Politik macht die SVP und die FDP....Wer führt hier wen irgendwo hin. Wäre Mal Spannend zu sehen wo die Reise hingehen würde wenn Grün 30% hätte.
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Janster
27.10.2023 20:14registriert März 2021
Also wenn man mit dem Alter nach Rechts rückt muss ich mich langsam auf den Weg machen....denn DER Weg wird lang ...
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