Schweiz
Gesellschaft & Politik

Menschen mit Behinderung: Bundesrat nimmt Arbeitgeber in Pflicht

Menschen mit Behinderungen: Der Bundesrat will rechtlich für sie nachbessern

Menschen mit Behinderungen seien in ihrem Alltag nach wie vor benachteiligt, hält der Bundesrat fest. Er will das ändern und dafür Arbeitgeber sowie private Dienstleister in die Pflicht nehmen.
11.03.2023, 15:44
Maja Briner / ch media
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Die Zahl ist eindrücklich: Rund 1.8 Millionen Menschen mit einer Behinderung leben laut Bund in der Schweiz. Dazu zählen auch ältere Personen, die in der Mobilität eingeschränkt sind. Im Alltag sind Menschen mit Behinderungen noch immer benachteiligt, wie der Bund festhält. «Die Schweiz hat Fortschritte gemacht, vor allem beim Zugang zu Gebäuden und zum öffentlichen Verkehr», sagte Innenminister Alain Berset am Freitag vor den Medien. «Aber es bleiben Lücken.»

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Im öffentlichen Verkehr stossen Menschen mit Behinderungen auf weniger Hürden als früher.Bild: KEYSTONE

Mit einer Gesetzesrevision will der Bundesrat diese nun angehen. Ins Visier nimmt er zum einen den Arbeitsmarkt: Er will Arbeitgebende verpflichten, «zumutbare Massnahmen» zu treffen, damit Mitarbeitende mit Behinderungen gleichgestellt einer Arbeit nachgehen können. Zudem sollen sie explizit vor Diskriminierung geschützt werden.

Auch Restaurants und Bankfilialen sollen reagieren

Zum andern setzt der Bundesrat bei den privaten Dienstleistungen an, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Darunter fallen beispielsweise Bankfilialen, Bäckereien, Coiffeure und Restaurants, aber auch Onlineshops. Viele Dienstleistungen seien für Menschen mit Behinderung schlecht oder nicht zugänglich, sagte Berset. Der Bundesrat will die privaten Dienstleister daher verpflichten, «angemessene Vorkehrungen» zu treffen, damit Menschen mit Behinderung diese Dienstleistungen in Anspruch nehmen können. Heute gilt für private Dienstleister einzig die Vorgabe, dass sie Menschen nicht aufgrund ihrer Behinderung diskriminieren dürfen. Was «zumutbare Massnahmen» und «angemessene Vorkehrungen» konkret bedeuten, blieb am Freitag unklar.

Bis Ende Jahr will der Bundesrat einen Vorschlag für eine entsprechende Revision des Behindertengleichstellungsgesetzes in die Vernehmlassung schicken. Teil davon soll auch die Anerkennung der drei schweizerischen Gebärdensprachen sein, welche das Parlament beschlossen hat.

So leben Menschen mit Behinderung ihre Sexualität

Video: watson/Aya Baalbaki, Sina Alpiger

«Erfreulicher Teilerfolg»

Offen ist, ob weitere Anpassungen dazukommen. Das Innendepartement muss unter anderem prüfen, ob auch das selbstbestimmte Wohnen von Menschen mit Behinderung im Gesetz verbessert werden kann. Behindertenorganisationen kritisieren seit langem, die Schweiz fokussiere beim Wohnen zu stark auf institutionelle Wohnformen. Laut Bund leben rund 150'000 Menschen mit Behinderungen in einem institutionellen Rahmen, etwa in Wohn- und Altersheimen.

Inclusion Handicap, der Dachverband der Behindertenorganisationen, sprach am Freitag von einem «erfreulichen Teilerfolg». Die Vorschläge des Bundesrats seien eine wichtige Reaktion auf einige drängende Probleme. Handlungsbedarf gebe es aber weiterhin in sämtlichen Lebensbereichen, der Druck der Behindertenverbände sei daher weiterhin nötig. Und dieser bleibt hoch: Die Behindertenverbände haben im Januar die Lancierung der «Inklusionsinitiative» beschlossen, um die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung in der Verfassung zu verankern. (aargauerzeitung.ch)

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18 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Butschina
11.03.2023 17:38registriert August 2015
Es gibt noch viel Arbeit. Im 2011 startete ich die KV Lehre. Im Herbst 12 kamen Spätfolgen den Unfalls und ich musste unterbrechen. Im Sommer 14 wollte ich wieder einsteigen. 50, allerhöchstens 60% waren das max. Zumutbare für mich. Die IV war einverstanden, ebenso der Arbeitgeber. Nur das Berufsbildungsamt forderte mind. 80%. Die Folge war, dass ich die Lehre nicht machen konnte. Das tragische am Ganzen ist die Tatsache, dass es für Sportler ein Sportkv gab im 60% Pensum. Es hätte also sogar ein existierendes Gefäss gegeben. Keine Ahnung wie es heute ist, aber das gab mir schwer zu Denken.
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