Die Zahl ist eindrücklich: Rund 1.8 Millionen Menschen mit einer Behinderung leben laut Bund in der Schweiz. Dazu zählen auch ältere Personen, die in der Mobilität eingeschränkt sind. Im Alltag sind Menschen mit Behinderungen noch immer benachteiligt, wie der Bund festhält. «Die Schweiz hat Fortschritte gemacht, vor allem beim Zugang zu Gebäuden und zum öffentlichen Verkehr», sagte Innenminister Alain Berset am Freitag vor den Medien. «Aber es bleiben Lücken.»
Mit einer Gesetzesrevision will der Bundesrat diese nun angehen. Ins Visier nimmt er zum einen den Arbeitsmarkt: Er will Arbeitgebende verpflichten, «zumutbare Massnahmen» zu treffen, damit Mitarbeitende mit Behinderungen gleichgestellt einer Arbeit nachgehen können. Zudem sollen sie explizit vor Diskriminierung geschützt werden.
Zum andern setzt der Bundesrat bei den privaten Dienstleistungen an, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Darunter fallen beispielsweise Bankfilialen, Bäckereien, Coiffeure und Restaurants, aber auch Onlineshops. Viele Dienstleistungen seien für Menschen mit Behinderung schlecht oder nicht zugänglich, sagte Berset. Der Bundesrat will die privaten Dienstleister daher verpflichten, «angemessene Vorkehrungen» zu treffen, damit Menschen mit Behinderung diese Dienstleistungen in Anspruch nehmen können. Heute gilt für private Dienstleister einzig die Vorgabe, dass sie Menschen nicht aufgrund ihrer Behinderung diskriminieren dürfen. Was «zumutbare Massnahmen» und «angemessene Vorkehrungen» konkret bedeuten, blieb am Freitag unklar.
Bis Ende Jahr will der Bundesrat einen Vorschlag für eine entsprechende Revision des Behindertengleichstellungsgesetzes in die Vernehmlassung schicken. Teil davon soll auch die Anerkennung der drei schweizerischen Gebärdensprachen sein, welche das Parlament beschlossen hat.
Offen ist, ob weitere Anpassungen dazukommen. Das Innendepartement muss unter anderem prüfen, ob auch das selbstbestimmte Wohnen von Menschen mit Behinderung im Gesetz verbessert werden kann. Behindertenorganisationen kritisieren seit langem, die Schweiz fokussiere beim Wohnen zu stark auf institutionelle Wohnformen. Laut Bund leben rund 150'000 Menschen mit Behinderungen in einem institutionellen Rahmen, etwa in Wohn- und Altersheimen.
Inclusion Handicap, der Dachverband der Behindertenorganisationen, sprach am Freitag von einem «erfreulichen Teilerfolg». Die Vorschläge des Bundesrats seien eine wichtige Reaktion auf einige drängende Probleme. Handlungsbedarf gebe es aber weiterhin in sämtlichen Lebensbereichen, der Druck der Behindertenverbände sei daher weiterhin nötig. Und dieser bleibt hoch: Die Behindertenverbände haben im Januar die Lancierung der «Inklusionsinitiative» beschlossen, um die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung in der Verfassung zu verankern. (aargauerzeitung.ch)