... wollen wir ein bisschen kreuz und quer durch die Schweizer Frauenhistorie wandern.
Ihre Tante schrieb den Kinderbuchbestseller «Heidi» und noch ganz viele andere, extrem düstere Geschichten. Emilie hingegen will nicht schreiben, sie will Anwältin werden.
Und sie wird es. Sie immatrikuliert sich 1883 an der Uni Zürich als erste Schweizerin an der Juristischen Fakultät und ist vier Jahre später Europas erste Doktorin der Rechte.
Ihren Ehemann als Anwältin vor Gericht vertreten darf sie allerdings nicht. Sie darf überhaupt niemanden vor Gericht vertreten, weil die Zulassung zum Beruf ans Aktivbürgerrecht – also ans Wahlrecht – geknüpft war, das den Frauen in Zürich noch 83 Jahre verwehrt bleiben wird.
Und so zog sie vors Bundesgericht, argumentierte mit dem generischen Maskulinum, dass in anderen Gesetzen die Frauen ja auch stets mitgemeint seien, dann gelte dies ja wohl auch für den Artikel 4 der Bundesverfassung – «Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich».
Doch das Gericht befand ihre Argumentation als «eben so neu als kühn» – und wies die Klage ab.
Und Emilie kämpfte weiter um ihre Zulassung. Ihr ganzes Leben lang, bis sie darob krank wurde. 1896 kam die Scheidung von ihrem Mann. Ein Jahr später wurde sie wegen «Geisteskrankheit» in eine psychiatrische Heilanstalt eingewiesen, 1898 gar entmündigt.
1901 starb sie, einsam und verarmt, an Gebärmutterhalskrebs.
Ihr Kampf war nicht vergebens; 1898 wurde im Kanton Zürich ein neues Anwaltsgesetz eingeführt, das Frauen trotz fehlendem Aktivbürgerrecht erlaubte, den Anwaltsberuf auszuüben. Bundesweit durften Anwältinnen erst 1923 als solche arbeiten.
Lauterbrunnen, ca. 1940:
Das Plakat hat Grafikerin Agnes Weber designt. Zehn Jahre alt war der Gleichstellungsartikel zu diesem Zeitpunkt, und viel mehr als die Bundesverfassung zieren tat er nicht.
Deshalb hatte der Schweizerische Gewerkschaftsbund zum Protest aufgerufen. Auf dass die Umsetzung endlich voranschreite, auf dass die anhaltenden Ungleichheiten in zahlreichen Bereichen von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik endlich, endlich eingeebnet würden.
Die Hauptforderung war gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit.
Es war nach dem Landesstreik von 1918 der grösste Streik, den die Schweiz je erlebt hatte.
Bern, 1928:
Das Schneckentempo in Frauenbelangen war schliesslich nichts Neues. Bereits an der ersten Saffa, der schweizerischen Ausstellung für Frauenarbeit, prangerten die Frauen die ständig verzögerte Einführung ihres Stimmrechts symbolisch mit dem lahmen Tier an.
Ziel jener Ausstellung war es, die Leistungen der Frauen aufzuzeigen, ihren Anteil an der gesellschaftlichen, aber auch der volkswirtschaftlichen Arbeit sichtbar zu machen, blieb und bleibt doch noch immer ein grosser Teil der Haus- und Familienarbeit im Schatten. Würde man sie gebührend anerkennen, sollte dies, so die Logik der Organisatorinnen, längerfristig zur politischen Gleichstellung und zum Recht auf Erwerbsarbeit führen.
Doch das sollte noch eine ganze Weile dauern. Frauen zogen mit Fackeln durch die Nacht, mit Ballonen und Pins durch den Tag ...
... bis sie nach und nach an die Urne treten durften.
Ab dem 30. April 1989 auch im Kanton Appenzell Ausserrhoden.
Erleichterte Gesichter, nachdem die Landsgemeinde in Hundwil das Frauenstimmrecht beschlossen hatte. Zwar nicht mit überwältigendem, aber immerhin mit erkennbarem Mehr stimmten die Ausserrhoder Männer Ja.
18 Jahre nach dem Schweizer Stimmvolk war Ausserrhoden der zweitletzte Kanton, der das Stimmrecht für Frauen auf Kantonsebene einführte.
Das Schlusslicht bildete sein Halbbruder, Appenzell Innerrhoden, der mittels einer Beschwerde ans Bundesgericht dazu gezwungen werden musste, seine Frauen in den Ring steigen zu lassen.
Und zwei Jahre später, am 26. April 1992, sah man auch schon das erste Paar Frauenbeine auf dem Podest der Innerrhoder Landsgemeinde: Kaethi Kamber wurde als erste Frau ins Kantonsgericht gewählt.
Doch gab es davor auch schon Zeiten, in denen zumindest die Stadt Zürich von Frauen regiert wurde. Von adligen Frauen. Von Fürstäbstissinnen. Elisabeth von Wetzikon war eine von ihnen. Sie stand von 1270 bis 1298 dem Fraumünsterkloster vor – und war somit die Herrin der Stadt und ihre oberste Richterin. Als solche verfügte sie über das Begnadigungsrecht, hatte also die Macht, Urteile aufzuheben. Jegliche Verfassungs- und Gesetzesänderungen bedurften ihrer Zustimmung. Sie ernannte den Bürgermeister und die Pfarrer der Stadtkirchen. Sie verlieh das regionale Münzrecht und entschied über Mass und Gewicht der Münzen.
So kam es auch, dass sich nicht allein die Stadtheiligen Felix und Regula auf den Pfennigen befanden, sondern auch die Porträts der Fürstäbtissinnen selbst.
Elisabeth von Wetzikon verpachtete die Zölle von Zürich, kaufte und verkaufte Höfe und ganze Dörfer und empfing selbst den König des Heiligen Römischen Reiches, Rudolf von Habsburg, höchstpersönlich.
Die Frage ist also eher: Was tat diese Elisabeth von Wetzikon eigentlich nicht?
Die städtische Kanzlei führen? Nope. Auch das lag im Aufgabenbereich des Fraumünsters, da es keinen Stadtschreiber gab.
Die Gotik nach Zürich bringen eventuell? Nein, auch das tat sie, ersichtlich im Querschiff des Fraumünsters, wo in einem der Chorpfeiler die folgende Inschrift prangt:
«(FROW EB)TISCHENNE ELI/S(ABETH VO)N WEZZINGKON/ I(N DEM IAR) NACH GOTTES GE/B(URT IM) MCCXCVIII IAR.»
Doch dann kam die Reformation. In Zürich in Gestalt Huldrych Zwinglis, der 1522 mittels eines Räucherwurstessens bei seinem Buchdruckerfreund Christoph Froschauer demonstrierte, dass man nicht gleich von Gottes Zorn niedergestreckt wurde, wenn man das katholische Fastengebot missachtete. Es war am Ende nur eine der vielen katholischen Scheinheiligkeiten, mit denen man die Leute in klerikaler Leibeigenschaft hielt. Zwingli wollte da raus. Und jene Provokation half ihm dabei. Denn während der Bischof von Konstanz tobte, schlug sich der Zürcher Rat am Ende auf seine Seite.
Der Katholizismus hatte ausgedient. Er hatte mit dem schmutzigen Geschäft des Ämterkaufs, dem sündigen Ablasshandel und dem Schacher der Päpste den Herrn zu lange in irdische Geschäfte verstrickt.
Katharina von Zimmern (1478 – 1547) wusste das. Und so beschloss sie am 8. Dezember 1524, nach 28 Jahren als Äbtissin, ihr Amt aufzugeben. Damit legte sie das über Jahrhunderte von fürstlichen Frauenhänden regierte Kloster mitsamt seinen dazugehörigen Rechten, Ämtern und Einkünften in die Hände der reformierten Stadt. Und sie tat dies aus freiem Willen, wie sie selbst betonte. Ihr Gewissen gebe ihr diesen Entscheid ein, um Zürich und seinen Bürgern «grosse Unruhe und Ungemach» zu ersparen.
Die Verwaltung der Stadt solle vor Gott rechtens sein, vor niemandem sonst, schrieb sie und ging fort, um mit 47 noch einmal ein ganz neues Leben anzufangen: Sie heiratete einen in Zürich in Ungnade gefallenen Ritter und brachte zwei Kinder zur Welt.
Die Schweizerische Damen-Fussball-Liga (SDFL) wurde erst 1970 gegründet. Was aber natürlich nicht heisst, dass die Schweizerinnen davor keinen Fussball spielten. Sie mussten es einfach inoffiziell tun, nicht in organisierten Clubs, sondern in zusammengewürfelten Trüppchen an Grümpelturnieren und «mit Humor gewürzten Veranstaltungen».
Frauenfussball gehöre schon «eher in die Kategorie einer Schaustellung oder Zirkusdarbietung» und dürfe nicht in Basel stattfinden, hiess es in der Schweizer Zeitung «Sport» vom 28. August 1957. Und wenn man sich dann doch dazu herabliess, ein solches Spiel zuzulassen oder gar darüber zu berichten, so wie über jenes in Wohlen im Frühling 1967, dann lautete die Schlagzeile: «Fussball-Amazonen machen ernst» (Sport). Und ja, der Aargauer FC Goitschel machte ernst. Und gewann gegen ein gemischtes Zürcher Team mit 6:0. Muss wohl an den «besonders Hübschen, Grossgewachsenen und Kleingewachsenen, Jüngeren und Älteren, Schlanken und Vollschlanken, Schwarzen und Blonden» (Sport) gelegen haben.
In den Schweizerischen Fussballverband wurden sie dennoch nicht aufgenommen. Aber die Frauen durften sich fortan als Schiedsrichterinnen ausbilden lassen, während ein zwölfjähriges Mädchen am 15. September 1965 Fussballgeschichte schrieb.
Als sie mit den C-Junioren des FC Sion das Vorspiel des UEFA-Cup-Spiels gegen Galatasaray Istanbul bestritt. Und mit 5:1 siegte.
Das Mädchen, das weder singen noch etwas in der Kirche machen wollte und darum mit den Jungs Fussball spielte, mit ihnen zum Training ging – und eine Lizenz erhielt. Weil der zuständige Sachbearbeiter sie für einen Jungen hielt.
Und plötzlich kannten alle Madeleine Boll.
Der SFV reagierte mit dem sofortigen Rückzug der Spielerlizenz und es sollte noch weitere 28 Jahre dauern, bis der Frauenfussball in den SFV integriert wurde.
Ein ganz anderes männlich dominiertes Feld betrat Marie Vögtlin ein Jahrhundert früher. Jenes der Medizin. Das ging nur mit der Fürsprache ihres Vaters, eines Pfarrers in Bözen, für den sie den Haushalt besorgte, nachdem die Mutter gestorben war. Und der Vater sagte Ja zu den Plänen seiner Tochter, die sie, von der Liebe zu ihrem Cousin Fritz Erismann erfasst, gefasst hatte. Er war Arzt und Sozialist und das wollte auch sie sein. Die beiden verlobten sich, doch als Marie an Typhus erkrankte, ging Fritz zurück nach Zürich und lernte da die Russin Nadeschda Sulslowa kennen. Sie wird die erste Frau sein, die an der Medizinischen Fakultät der Universität Zürich promoviert. Und sie wird 1868 Fritz' Frau.
Mit gebrochenem Herzen lernt Marie Latein, Mathematik und Naturwissenschaften. Immatrikuliert sich und schliesst sieben Jahre nach Nadeschda, als erste Schweizerin, ihr Medizinstudium ab. Ihre Dissertation schreibt sie «über den Befund der Genitalien im Wochenbett».
Dann, endlich, kann sie ihre eigene frauenärztliche Praxis an der Hottingerstrasse 25 in Zürich eröffnen.
Und da trifft sie ihn, ihren eigentlichen Mann fürs Leben: den Geologen Albert Heim, den leidenschaftlichen Bergsteiger und Naturkenner, der seine Frau ebenso selbstverständlich wie sich selbst als Pionierin auf ihrem Gebiet verstand. Ihre Ehe sollte dafür der Stützpfeiler sein.
Marie Heim-Vögtlin wird Tag und Nacht gebraucht. Auch über Zürich hinaus ruft man sie in Notfällen – und sie ist da.
1882 wird das erste Kind, Arnold, geboren. Die Tochter Helene kommt 1886 zur Welt. Marie Rosa stirbt wenige Wochen nach der Geburt an Hirnhautentzündung. Das Paar nimmt eine Pflegetochter namens Hanneli auf und alle wohnen sie im «Hüsli», einem einfachen Chalet ohne Heizung, elektrisches Licht oder fliessendem Wasser auf dem noch kaum bebauten Zürichberg, bewacht von einem von Marie gesund gepflegten Kolkraben.
Hier werden die Kinder mit demselben reformatorischen Arbeitsethos erzogen, mit welchem Marie bereits aufgewachsen war. Sie ist streng, puritanisch, am Ende gar konservativ. Vielleicht darum betonte sie gern, dass sie, obwohl sie sich für das Frauenwahlrecht einsetzte, keine Frauenrechtlerin sei.
«Wenn ich wieder von vorne anfangen könnte – ich wollte, ich könnte es –, so würde ich wahrscheinlich nicht mehr Arzt werden, weil jetzt nicht mehr die Notwendigkeit besteht wie damals – ich würde gründlich geschulte Krankenpflegerin, und dann versuchen, eine wahre Gattin und Mutter zu werden, Schritt haltend so viel wie möglich mit dem Beruf des Mannes und mich vertiefen in die seelische und intellektuelle Entwicklung der Kinder – vieler Kinder, wenn die Gesundheit reicht. Wäre das nicht der höchste weibliche Beruf?»
Marie Heim-Vögtlin an ihren Sohn Arnold, 1911
1901 eröffnet sie mit ihrer Freundin Anna Heer die «Pflegerinnenschule». Sie übernimmt die Leitung der Kinderabteilung, während Anna Heer Chefärztin wird.
15 Jahre später stirbt Marie an Tuberkulose.