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Wer kann es sich leisten, zu politisieren? Kantonsrätin löst Debatte aus

Ronahi Yener veröffentlicht auf LinkedIn den Lohnausweis von ihrem Kantonsratsmandat.
Ronahi Yener veröffentlicht auf LinkedIn den Lohnausweis von ihrem Kantonsratsmandat. Sie möchte damit eine Debatte darüber starten, ob es sich jeder leisten kann, zu politisieren.Bild: Keystone/watson/zVg

Kantonsrätin veröffentlicht ihren Lohn – und löst damit eine hitzige Debatte aus

«Kann sich jeder Mensch leisten, ein politisches Amt auszuüben?» Diese Frage wird unter einem Post von der Zuger Kantonsrätin Ronahi Yener diskutiert. Stefanie Bailer, Politologin, und Yener selbst erklären, warum die Parlamente in der Schweiz aus einer homogenen Personengruppe bestehen.
02.02.2023, 12:3203.02.2023, 10:12
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Die Zuger SP-Kantonsrätin Ronahi Yener hat sich vergangene Woche dazu entschieden, ihren Lohnausweis von ihrem Kantonsratsmandat auf LinkedIn zu posten. Yener hat 2022 für die Teilnahme an über 30 Sitzungen netto 6'672 Franken erhalten.

Sie stösst mit dem Post eine Debatte an: Kann es sich jeder und jede leisten, Politik zu machen?

Yener sagt klar: «Nein, vielen Menschen wird ein solches Mandat aufgrund ihrer finanziellen Lage verwehrt. Für Menschen, die mit ihrer Lohnarbeit nicht genug verdienen und ihre Arbeitszeiten nicht flexibel gestalten können, ist es praktisch unmöglich, ein Kantonsratsmandat anzunehmen.» Sie fügt an: «Auch ich musste es mir doppelt und dreifach überlegen. Denn ich kann es mir als Teilzeitangestellte und Vollzeit-Studentin nur schlecht leisten, so viel Zeit in die Politik zu investieren.»

Ronahi Yeners LinkedIn-Post

Bild
screenshot: linkedin

Yener hat für ihre Offenheit über 460 Likes erhalten. Einige Leute hätten ihr unter ihrem Post aber auch vorgeworfen, sie würde sich nur des Geldes wegen politisch engagieren. Diesem Vorwurf entgegnet sie: «Ich möchte den Diskurs darüber anregen, ob Politik für alle leistbar ist. Ich will nicht darüber sprechen, ob man durch Politik reich werden kann. Denn diese Frage kann ich ganz einfach beantworten: Nein, wird man nicht. Schliesslich habe ich selbst die ersten sechs Jahre, also von 15 bis 21, ehrenamtlich Politik betrieben und mache es heute immer noch.»

Yeners Werdegang

Yener erzählt watson ihren Werdegang: Schon bevor sie den Kantonsratssitz annahm, musste sie sich mit Budgetfragen auseinandersetzen. Die Frage, ob das Geld reichen würde, stand im Raum. Trotz ihrer Bedenken hat sich Yener im Mai 2021 entschieden, das Kantonsratsmandat anzunehmen, sie konnte damals auf einen freien Platz nachrücken. Zudem wurde sie Präsidentin der SP Baar.

Sie erklärt: «Kurz bevor ich diese zwei Ämter übernahm, hatte ich nebst meinem Volkswirtschaftsstudium an der HSG auch einen neuen Job begonnen. Ich war voller Elan und wollte alles miteinander anpacken.»

Ihr Fazit nach zwei Jahren Kantonsrat

Jetzt, zwei Jahre später, schreibt Yener: «Politisieren ist ein Privileg.» Das musste sie am eigenen Leib erfahren: «Ich möchte mein Studium eigenständig finanzieren, dafür muss ich rund 40 Prozent arbeiten. Mit dem Kantonsratsmandat und meinem weiteren politischen Engagement arbeite ich bis zu 60 Prozent.» Sie fügt an: «Das ist eine Herausforderung, denn ich möchte das Studium in der regulären Zeit abschliessen und nicht unzählige Semester anhängen.»

Yener engagiert sich politisch, seit sie 15 ist. Hier ist sie bei einer Standaktion vor den Zuger Kantonsratswahlen zu sehen.
Yener engagiert sich politisch, seit sie 15 ist. Hier ist sie bei einer Standaktion vor den Zuger Kantonsratswahlen zu sehen.Bild: zVg

Auf die Frage hin, warum sie nicht bis nach dem Studium warten würde, um ein Kantonsratsmandat auszuüben, antwortet sie: «Auch die Perspektive meiner Generation, viele von uns noch in Ausbildung, soll im Rat repräsentiert sein. Diversität ist wichtig, auch bei der Herkunft, dem Geschlecht und der sozialen Schicht, denn diese bestimmt die Gewichtung der Themen, die besprochen werden.»

Yener macht nicht nur wegen ihrer Situation als Studentin auf die Problematik aufmerksam: «Die Kommissionssitzungen sind immer zu unterschiedlichen Zeiten, das heisst, für alleinerziehende Mütter oder Personen, die im Tieflohnbereich arbeiten, die keine flexiblen Arbeitszeiten haben, ist ein solches Mandat praktisch unmöglich. Das sieht man auch bei den Berufen der Menschen, die im Kantonsparlament sitzen, denn diese bilden eine homogene Masse von Menschen, die meist einen gut bezahlten und flexiblen Job ausüben.»

Das sagt die Politologin

Stefanie Bailer, Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Basel stimmt ihr zu: «Frau Yener hat recht mit ihrer Aussage, dass bestimmte Berufsgruppen wie Anwälte, Landwirtinnen und Lehrer besser und weniger gut Verdienende deutlich schlechter vertreten sind. Dies liegt auch daran, dass sie ein Mandat mit diesen Berufen einfacher verbinden können. Diese Übervertretung führt nachweislich zu Verzerrungen bei der Gesetzgebung, etwa beim Geldwäschegesetz oder bei Landwirtschaftsregelungen.»

«Studien zeigen zudem, dass Politikinhalte sich verändern, wenn ein Parlament aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen besteht», sagt Bailer.

Sie erklärt: «Tatsächlich setzen sich etwa Frauen mehr für Frauen ein und Parlamentarier und Parlamentarierinnen mit Migrationshintergrund für die betroffene Bevölkerungsgruppe. Damit ist eine Gesellschaft in ihrer Breite und Unterschiedlichkeit besser repräsentiert, als wenn sie aus einer homogenen Gruppe von Parlamentsmitgliedern besteht.»

«Die parlamentarische Vertretung der Gruppe der Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund hat sich in der Vergangenheit deutlich verbessert. Doch gerade bei jungen Menschen und Menschen aus tieferen sozialen Schichten besteht noch sehr grosser Nachholbedarf», so Bailer.

Wie könnte man solche Ungleichheiten im Parlament beheben? Bailer sagt: «Eine Möglichkeit wäre, eine einkommensangepasste Entlöhnung für das Mandat. Ebenfalls anbieten würde sich eine zusätzliche Unterstützung in den Parlamentssekretariaten oder durch die Parteien.»

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297 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Biene_Maja
02.02.2023 12:40registriert Oktober 2017
Können wir grundsätzlich mal damit aufhören das Thema Geld so zu tabuisieren?
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stevemosi
02.02.2023 12:57registriert April 2014
Parlementarierlohn rauf, dafür lobbyismus und Nebenmandate verbieten
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Steibocktschingg
02.02.2023 13:49registriert Januar 2018
Wenn man knapp einen leicht unterdurchschnittlichen Monatslohn als Bezahlung für ein Jahr Sitzungen bekommt, so macht man es kaum fürs Geld...

Daher: Wenn man nicht so oder so schon gut bezahlt oder reich ist, wird es schwierig, so ein Mandat auszuüben und als Konsequenz davon sind die immer gleichen Bevölkerungsgruppen in öffentlichen Ämtern übervertreten. Die haben dann auch gut reden, wenn sie fordern, ein politisches Amt soll nebenamtlich und nicht als "Beruf" ausgeübt werden, sie haben ja die Zeit und das Geld, andere nicht.

Ergebnis: Eine eher egoistische und elitäre Politik.
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