Die böse Überraschung kam am 28. August 2021. An jenem Tag überrumpelte Christoph Blocher die Mitglieder der Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns). Nach 40 Minuten Rede kam er an der Polit-Tagung plötzlich auf die Zukunft der Auns zu sprechen.
In einer «nüchternen Beurteilung» bilanzierte er: Mit der Auns ist eine Europa-Volksabstimmung nicht zu gewinnen. Nach 35 Jahren zeigt sie «Stillstandschäden». Ganz anders fällt Blochers Urteil aus zum Komitee «Nein zu einem schleichenden EU-Beitritt» (EU-No): Mit der Beerdigung des Rahmenabkommens hat es seine Aufgabe erfüllt.
Kein Wunder: Blocher ist Vizepräsident von EU-No. Da kann er seinen eigenen Job gar nicht kleinmachen. An jenem 28. August 2021 deutet Blocher eine Fusion von Auns und EU-No an. Er kündigt eine Arbeitsgruppe an – und setzt sich selbst als Präsidenten ein.
Inzwischen hat die Arbeitsgruppe mehrmals getagt und den Vorständen von Auns und EU-No einen provisorischen Endbericht vorgelegt. Es zeigt sich: Blocher will Auns und EU-No auflösen und daraus die neue Organisation «Pro souveräne Schweiz» (PSS) mit Sitz in Bern aufbauen. Der Name ist provisorisch – und juristisch geht es um eine Kombinationsfusion.
Christoph Blocher (81), der Doyen der SVP, greift damit einmal mehr wie ein Verwaltungsratspräsident messerscharf strategisch in die Geschäfte von SVP, Auns und EU-No ein. Schon 2019 hatte er nach einer Wahlschlappe der Zürcher SVP Konrad Langhart als Präsidenten abgesetzt – den gesamten Vorstand inklusive. Als neuen Präsidenten inthronisierte er Benjamin Fischer.
Als bei den Nationalratswahlen 2019 auch die SVP Schweiz eine Schlappe erlitt, drängte Blocher auch Präsident Albert Rösti aus dem Amt. Er zog persönlich Marco Chiesa aus der Auns ab als Rösti-Nachfolger. Chiesa hatte bei der Auns eigens einen Vizepräsidenten-Titel erhalten, obwohl es schon drei Vizepräsidenten gab. Weil er als designierter Nachfolger von Auns-Präsident Lukas Reimann aufgebaut wurde.
Mit der neuen Organisation «Pro souveräne Schweiz» will Blocher das rechte Lager neu ordnen. PSS soll sich internationaler ausrichten, wie das auch die Aufgabe der Auns war. Nicht nur die EU gefährde die Unabhängigkeit der Schweiz, glaubt die Arbeitsgruppe. Auch internationale Organisationen und Grossmächte könnten das Land institutionell oder ideologisch unterwandern.
Blocher erhofft sich, mit der strategischen Ausweitung die klare Führung zu übernehmen in einem Feld, in dem zuletzt Kompass/Europa um Alfred Gantner (Mitgründer der Partners Group) und Autonomiesuisse um Hans-Jörg Bertschi (Verwaltungsratspräsident der Bertschi Group) eine zunehmend wichtige Rolle spielten.
Die neue Organisation soll sich stärker mit Wissenschaft und Bildung vernetzen. Sie ist in zweifacher Hinsicht wichtiger geworden. Einerseits, weil die EU die Schweiz beim Forschungsprogramm Horizon Europe nur noch als nicht-assoziierten Drittstaat betrachtet. Andererseits, weil die liberale Forschung auf privater Basis in der Schweiz Auftrieb erhält, etwa mit dem Center for Research in Economics, Management and the Arts (Crema).
Mitbegründer und Direktor des Crema-Instituts ist der Freiburger Wirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger, der oft im Rahmen von SVP-Anlässen auftritt. Er konnte den konservativen Schweizer Historiker Oliver Zimmer, der an der Oxford University lehrte, für einen Lehrstuhl gewinnen.
Es ist vor allem die Auns, die in der Analyse von Blochers Arbeitsgruppe auffallend schlecht wegkommt. Sie sei «nicht referendumsfähig», sei mit dem 17-köpfigen Vorstand zu schwerfällig geworden und zu stark mit sich selbst beschäftigt. Zudem fehle strategisches Denken und Netzwerkarbeit.
Die Auns war 1986 gegründet worden. Sie zählt heute 20'000 Mitglieder und steht finanziell sehr solide da. Alleine mit Mitgliederbeiträgen und Spenden nimmt sie über eine Million Franken ein pro Jahr. Die noch nicht publizierte Rechnung 2021 zeigt, dass sie über ein Vermögen von 1.25 Millionen Franken verfügt. Davon liegen 384'000 Franken in einem Sonderfonds «EU-Kampf».
Den grössten Coup hat die Auns mit dem Nein zum EWR-Beitritt 1992 gelandet. Seither etablierte sie sich als politische Opposition in der Aussenpolitik. 2014 und 2016 hielten Nigel Farage, später Mitgründer der Brexit-Partei in Grossbritannien, und Frauke Petry, damals Parteisprecherin der Alternative für Deutschland, viel beachtete Ansprachen an Auns-Mitgliederversammlungen.
In den letzten Jahren wurde es aber ruhiger um die Auns. Nach dem Nein zum Rahmenabkommen sass die Auns zum allerersten Mal in ihrer Geschichte an einem runden Tisch des Aussenministeriums (EDA), zusammen mit anderen Vertretern der Zivilgesellschaft. Thema: die Schweiz und die EU.
«Der Vorstand der Auns hat einstimmig eingewilligt, über eine Fusion von Auns und EU-No nachzudenken», sagt Präsident Lukas Reimann. «Der Brand Auns muss aber bestehen bleiben. Die Auns ist alles in allem eine 36-jährige Erfolgsgeschichte. Sollte der Name Auns wegfallen, gäbe es Widerstand.»
Deutlich positiver fällt das Urteil von Blochers Arbeitsgruppe zum EU-No-Komitee aus. Die Rede ist von einer jungen, agilen Organisation, die auf schlanke Entscheidungsstrukturen und eine präsente Führung zurückgreifen könne. EU-No habe das Geschehen um das Rahmenabkommen mit strategischer Arbeit und informellen Netzwerken prägen können.
Blocher hatte das EU-No-Komitee 2013 gegründet, als Speerspitze gegen das Rahmenabkommen, weil sich die Auns in seinen Augen zu wenig intensiv um dieses kümmerte. Der EU-No sind 130 Organisationen mit insgesamt 200'000 Mitgliedern angeschlossen, darunter sogar Tierschützer. Die EU-No hat aber kaum eigene Mitglieder und bei weitem nicht die finanzielle Schlagkraft der Auns.
«Mit EU-No ist ähnlich wie die Political Action Comitees aus den USA eine schlanke Dachorganisation gegründet worden, die sich über alle Parteigrenzen hinweg nur einem Thema widmete – dem Nein zum Rahmenabkommen», sagt Urs Vögeli, EU-No-Geschäftsführer. «Damit hat Christoph Blocher 2013 ein modernes Polit-Campaigning vorweggenommen.»
Mit der Unternehmervereinigung gegen den EU-Beitritt will sich eine weitere SVP-nahe Organisation der Kombinationsfusion anschliessen. Sie war 1992 gegründet worden und umfasst heute 1200 Mitglieder und Sympathisanten. Präsident ad interim ist Benjamin Fischer, der von Blocher auch als Präsident der Zürcher SVP eingesetzt worden war.
Jetzt soll alles Schlag auf Schlag über die Bühne gehen. Am Montag, 21. Februar, verabschiedete der Vorstand von EU-No den Fusionsbeschluss für seine Generalversammlung vom 24. März. Am Montag, 28. Februar, ist der Vorstand der Auns an der Reihe. Seine Mitgliederversammlung findet am 2. April statt.
Die erste Mitgliederversammlung von «Pro souveräne Schweiz» ist in der zweiten Jahreshälfte geplant. Sie soll die Statuten verabschieden und die personelle Erneuerung beschliessen. An der Spitze wird weder Lukas Reimann noch Roger Köppel stehen. Die Blocher-Arbeitsgruppe sucht einen Präsidenten mit viel - nebenamtlicher - Zeit.
Das haben weder Reimann noch Köppel. Zu hören ist, dass Blocher an einen pensionierten Politiker denke. Gerüchteweise tauchen zwei Namen von Ex-SVP-Nationalräten auf: Adrian Amstutz und Caspar Baader.
Und was sagt Christoph Blocher selbst? Er sei abwesend und erst wieder ab 1. März erreichbar, lässt er ausrichten.
PISS (Pro Inkompetente Sünneli Schwurbler)