Eltern haben Kinder ohne Anwendung von Gewalt zu erziehen. Dieses Prinzip wird jetzt ausdrücklich im Schweizer Zivilgesetzbuch (ZGB) verankert. Nach dem Nationalrat hat sich auch der Ständerat dafür ausgesprochen.
Die kleine Kammer hiess am Dienstag ohne grosse Diskussion und mit 33 zu 4 Stimmen bei 7 Enthaltungen eine vom Bundesrat eingebrachte Ergänzung des Zivilgesetzbuchs gut. Der Nationalrat hatte der Vorlage schon im Mai zugestimmt. Die Änderung muss noch in die Schlussabstimmungen der beiden Räte am Ende der Herbstsession, bevor sie in Kraft treten kann.
Im Ständerat sagte Heidi Z'graggen (Mitte/UR), die Sprecherin der vorberatenden Rechtskommission, zu viele Kinder erführen in der Schweiz körperliche oder psychische Gewalt in der Familie. Diese Gewalt beeinträchtige sie in ihrer Entwicklung massiv.
«Das ist unhaltbar. Wir müssen aktiv für die Gesundheit unserer Kinder sorgen.» Die Vorlage sende ein klares Signal: «Gewalt ist keine Erziehungsmethode», so Z'graggen.
Im Mai stiess die Vorlage im Nationalrat bei der SVP-Fraktion auf Widerstand: Sie sei unnötig, weil sich alle nötigen Bestimmungen bereits im Strafgesetzbuch befänden, hiess es aus deren Reihen. Die SVP-Fraktion wollte nicht auf die Vorlage eintreten.
Wie SVP-Vertreter sagte auch der Bundesrat im Vorfeld der Debatten, eigentlich sei Gewalt gegenüber Kindern im Rahmen der elterlichen Erziehung bereits nach geltendem Recht nicht erlaubt. Namentlich das Strafrecht und der zivilrechtliche Kindesschutz schützten Kinder vor Gewalt in der Familie.
Der Bundesrat sagte aber auch, die explizite Erwähnung des Prinzips der gewaltfreien Erziehung im Gesetz hätte Leitbildcharakter. Sie würde klar signalisieren, dass beispielsweise körperliche Bestrafungen und andere Formen von erniedrigender Behandlung von Kindern nicht toleriert würden.
Das bekräftigte Bundesrat Beat Jans im Ständerat. Mit der Vorlage gehe es darum, vorzubeugen und zu verhindern, dass Eltern Gewalt in der Erziehung einsetzten. «Vorbeugen ist besser als heilen», so Jans.
Im Ständerat sprach niemand der SVP-Vertreter gegen die Vorlage, doch zeigte ein Blick auf die Abstimmungstafel, dass drei der Nein-Stimmen und drei Enthaltungen von SVP-Vertreterinnen und -Vertretern stammten.
Die Bundesratsvorlage sieht zwei neue Sätze im Zivilgesetzbuch vor. Im ersten wird die Gewaltfreiheit im Gesetz verankert. Laut dem zweiten müssen die Kantone dafür sorgen, dass sich die Eltern und das Kind bei Schwierigkeiten in der Erziehung gemeinsam oder einzeln an Beratungsstellen wenden können.
Pirmin Schwander (SVP/SZ) und Mauro Poggia (MCG/GE) scheiterten mit dem Antrag, ausser Eltern auch «die weiteren sorge- und obhutsberechtigten Personen» von der ZGB-Änderung zu erfassen.
Jedes fünfte Kind in der Schweiz erfährt regelmässig psychische Gewalt und jedes dritte war bereits Zeuge psychischer Gewalt zwischen Eltern. Das zeigte eine im November 2024 von der Organisation Kinderschutz Schweiz vorgestellte Studie, die sich auf die Befragung von 1264 Eltern stützt.
Laut dieser Studie haben Kinder, die unter regelmässig angewendeter psychischer Gewalt leiden, ein stark erhöhtes Risiko für Depressionen, Lernstörungen, aggressives und gewalttätiges Verhalten oder Bindungsstörungen. Mit Verweis auf solche Erkenntnisse bezeichnete die Organisation Pro Juventute in einer Mitteilung den Entscheid des Ständerats als «überfälligen Durchbruch» und «historischen Schritt».
Die Vorlage geht auf eine Motion der Freiburger Mitte-Nationalrätin Christine Bulliard-Marbach zurück, welcher National- und Ständerat 2021 respektive 2022 zustimmten. Im Sommer 2023 eröffnete dann der Bundesrat die Vernehmlassung für die geplante Änderung des Zivilgesetzbuchs.
Kantone und Organisationen, die an der Vernehmlassung teilnahmen, begrüssten laut Parlamentsunterlagen den Vorentwurf im Grundsatz. (rbu/sda)