Was vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre, ist gestern Abend Tatsache geworden: Der Nationalrat stimmte mit deutlicher Mehrheit für die Einführung des automatischen Informationsaustausches mit ausländischen Steuerbehörden. Ein erster Schritt zur Abschaffung des Schweizer Bankgeheimnisses für internationale Kunden ist damit gemacht.
Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf hatte in der Debatte mit erstaunlich wenig Widerstand zu kämpfen. Die SP sah sich in ihrer Haltung bestätigt, dass die Schweiz viel zu lange «an einer verpönten Finanzmarktpolitik» festgehalten habe.
Der Fraktionssprecher der Grünliberalen appellierte an seine Ratskollegen, nicht «in völliger Ignoranz der internationalen politischen Realität das Rad der Zeit zurückzudrehen».
Sogar die FDP äusserte kaum Vorbehalte. Dabei muss man bedenken: Noch 2008 sagte der damalige freisinnige Bundesrat Hans-Rudolf Merz in aller Öffentlichkeit, die Gegner des Bankgeheimnisses würden sich daran «noch die Zähne ausbeissen».
Gestern nun erklärte FDP-Nationalrat Ruedi Noser, seine Fraktion hätte zwar «auf den automatischen Informationsaustausch verzichten können».
Einen solchen Alleingang könne sich die Eidgenossenschaft indes nicht leisten: «Der Schweizer Finanzplatz ist international aktiv: Wir machen Transaktionen in die ganze Welt, in alle Länder.»
Wenn die Schweiz als Strafe für unlautere Steuerpraktiken von Organisationen wie der OECD auf schwarze Listen gesetzt werde, treffe dies nicht nur den Finanzplatz, sondern den gesamten Werkplatz.
Nur die SVP wehrte sich hartnäckig gegen die Annahme des multilateralen Abkommens und der gesetzlichen Grundlagen für die Einführung des Informationsaustausches. Ihre Rückweisungs- und Minderheitsanträge wurden jedoch grösstenteils abgelehnt.
Die SVP-Finanzpolitiker Thomas Matter (ZH) und Thomas Aeschi (ZG) opponierten denn auch hauptsächlich gegen jene Bestimmungen in Abkommen und Gesetz, die ihrer Meinung nach das Bankgeheimnis im Inland tangieren. Zentraler Streitpunkt: Sollen die Schweizer Steuerbehörden Daten aus dem Ausland über die Konten von Schweizern auf ausländischen Konten verwenden dürfen?
Matter und Aeschi argumentierten, wer der Verwendung zustimme, öffne der Aufhebung des Inland-Bankgeheimnisses Tür und Tor. Personen im Inland müssten alle gleich behandelt werden, unabhängig davon, woher ihre Daten stammten.
Obwohl dies viele Freisinnige ähnlich sahen, folgte die grosse Kammer mit knapper Mehrheit Finanzministerin Widmer-Schlumpf. Diese betonte, es sei unsinnig, die Informationen nicht zu verwenden. Unbescholtene Bürger hätten nichts zu befürchten. Allen anderen bleibe mehr als ein Jahr Zeit, um ihre Vermögen vom Ausland in die Schweiz zu transferieren.
Ebenfalls knapp scheiterte die SVP mit ihrem Antrag, Daten über Ausland-Bankkonten von Schweizern nicht direkt an die kantonalen Steuerbehörden weiterzuleiten, sondern diese bei einer «unabhängigen Stelle» zwischenzulagern, bis ein Verdacht auf Steuerbetrug oder schwere Steuerhinterziehung besteht.
Nur in einem Punkt setzte sich die CVP durch: Wer bei einem Schweizer Finanzinstitut falsche Selbstauskünfte macht, soll nur dann mit einer Busse bis zu 10'000 Franken bestraft werden, wenn er dies vorsätzlich getan hat.
Trotz vieler Niederlagen gab es nach der Debatte für SVP-Nationalrat Thomas Matter auch Grund zur Zuversicht: Die Abschaffung des Inland-Bankgeheimnisses ist im Parlament offensichtlich weiterhin hoch umstritten. Die Chancen seiner Volksinitiative «zum Schutz der finanziellen Privatsphäre» sind damit intakt.
Noch keinen Entscheid gefällt hat der Nationalrat zum neuen Geldwäschereigesetz. Darin will der Bundesrat den Banken besondere Sorgfaltspflichten im Umgang mit Kunden auferlegen, mit deren Ländern die Schweiz Bankinformationen nicht automatisch austauscht.