Die Zürcher Regierungs- und Kantonsratswahlen waren spannend – die Hochrechnungen für die Kantonsratssitzverteilung änderte sich stündlich. Die des Regierungsrates blieben konstant und bewahrheiteten sich schlussendlich: Der gesamte Regierungsrat wurde – entgegen vieler Vermutungen – wiedergewählt.
Für den Kantonsrat schwankten die Hochrechnungen: Die SVP war anfänglich die grosse Gewinnerin, konnte am Schluss aber doch nur einen Sitz mehr holen. Wer sich aber freuen kann, ist die Mitte, sie konnte final drei Sitze holen, bleibt jedoch mit dem 6. Platz die unbeliebteste der grossen Parteien.
Die Verlierer dieser Wahlen waren die Grünen – sie verloren drei Sitze und haben somit nur noch 19 Vertreter und Vertreterinnen im Kantonsrat.
watson hat die wichtigsten Ergebnisse mit Pierre Lüssi besprochen, er ist wissenschaftlicher Assistent an der Universität Bern und doktoriert in Schweizer Politik.
Die Kantonsratswahlen in Zürich sind ein erster Indikator für die nationalen Wahlen. Pierre Lüssi sagt: «Die grossen Veränderungen sind in Zürich ausgeblieben. Es gab keinen Rutsch, wie durch die Klima-Allianz 2019, der sich dann auch im Parlament abzeichnete. Deshalb erwarte ich auch für die nationalen Wahlen keine riesigen Umbrüche.»
Die Themenfelder für den Wahlkampf seien dieses Jahr diverser als bei den Wahlen vor vier Jahren: «Die grünen Anliegen stehen nicht mehr so fest in der Öffentlichkeit. Aber es gibt gewisse Dinge, die sich bis im Oktober noch entwickeln können: Wie geht es weiter mit der möglichen Strommangellage und den -preisen? Auch die Ergebnisse der Untersuchungen bezüglich der Corona-Leaks könnten einen gewissen Einfluss haben, diese sind aktuell noch nicht bekannt.»
Dieses Jahr fiel Lüssi, auch in Anbetracht der Baselbieter Landratswahlen, etwas auf: «Die Mitte hatte in den vergangenen Jahren tendenziell Sitze eingebüsst. Heute konnte sie in Zürich und auch in Baselland neue Sitze gewinnen. Zwei kantonale Wahlen sind nicht extrem aussagekräftig, aber es könnte sein, dass die Mitte auch national wieder besser abschliesst oder zumindest den bisherigen Abwärtstrend aufhalten kann.»
In den vergangenen Wochen und Monaten wurde viel über eine mögliche Abwahl von Silvia Steiner spekuliert. Heute wurde sie trotz der negativen Prognosen wiedergewählt. Ihre grösste Konkurrentin, SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf, hatte schlussendlich rund 26'000 Stimmen weniger als Steiner.
Lüssi erklärt das folgendermassen: «Seiler Graf hat im Wahlkampf viele Probleme angesprochen, die die Wähler und Wählerinnen umtreiben, etwa den ‹Bildungsnotstand›. Deshalb schien ihre Kandidatur so vielversprechend. Steiners Wahlkampf hingegen wirkte auf den ersten Blick nicht so überzeugend.»
Lüssi geht davon aus, dass die SP insgesamt, trotz der Niederlage, von Seiler Grafs Wahlkampf profitiert habe: «Seiler Graf hat essenzielle Probleme aufgezeigt und als national bekannte Politikerin Aufmerksamkeit auf den Wahlkampf um den Regierungsrat gelenkt. Damit hat sie der SP vermutlich geholfen, einen Sitz im Kantonsrat zurückzuerobern.»
Doch Steiner habe gegenüber Seiler Graf ein Ass im Ärmel gehabt: «Steiner ist schon seit Jahren im Regierungsrat. Studien zeigen, dass die Personen, die bereits im Regierungsrat sind, rund 20–25 Prozent der Wählerstimmen holen aufgrund ihres ‹Bisherigen-Bonus›. Die Wählerschaft entscheidet sich also vermehrt für die Kandidatinnen und Kandidaten, die sie schon kennt.»
Bei den restlichen Kandidatinnen und Kandidaten sticht für Lüssi eine heraus: Natalie Rickli. Er sagt: «Rickli wurde 2019 in den Regierungsrat gewählt. Damals war sie noch auf dem 7. Platz. Bei diesen Wahlen erhielt sie rund 180'000 Stimmen und schaffte es so auf den 2. Platz. Das ist ein starkes Resultat.» Lüssi vermutet, dass Rickli sich mit ihrem Handeln während der Coronapandemie bei den Wählerinnen und Wählern beliebt gemacht habe und sich so etablieren konnte.
Die Grünen haben während diesen Kantonsratswahlen die meisten Sitze eingebüsst. Nachdem sie 2019 neun Sitze gewinnen konnten, mussten sie dieses Jahr drei wieder abgeben. Lüssi sagt: «Die bürgerlichen Parteien profitieren vermutlich eher von den vergangenen Krisen. Auch gelang es den Grünen während diesem Wahlkampf nicht, mit ihren grossen Themen, also Klimakrise und nachhaltige Energie, so viele Wähler zu mobilisieren wie 2019 noch.»
Die aktuelle Inflation könnte auch eine Rolle gespielt haben: «Wir befinden uns in einer eher unsicheren Wirtschaftslage. Die Menschen verbinden grüne Energie traditionell eher mit höheren Ausgaben und grösseren Investitionen. Es könnte sein, dass sie der Gedanke an grössere Ausgaben abgeschreckt hat.»
watson fragt, weshalb dann die GLP einen Sitz gewonnen habe: «Die GLP ist eine gemässigtere Partei als die Grünen, denn die GLP ist keine klassische Links-grün-Partei. Für die Wähler steht die GLP beispielsweise auch für klassische Wirtschaftsthemen und weniger für hohe Ausgaben und Umverteilung.»
Ja, da haben die Klimakleber dem Klima einen Bärendienst erwiesen