Der Bund ist grosszügig mit den Schweizer Bauern: Mit 3,7 Milliarden Franken jährlich werden sie unterstützt, respektive ihre Leistungen abgegolten. Und dennoch sind die Landwirte die Schweizer Meister in der Disziplin des Jammerns – das zeigt sich fast wöchentlich.
Derzeit beklagen sie, dass im Budget 2015 der Beitrag an die Bauern um 110 Millionen Franken gekürzt werden soll, weil der Bundesrat insgesamt 700 Millionen einsparen will. Von einem Verstoss gegen Treu und Glauben und einer bundesrätlichen Sparübung auf dem Rücken der Bauern ist die Rede.
Ob diese Worte wirken und die schlauen Bauernpolitiker die Ausgabenkürzung verhindern können, wird sich in der Wintersession zeigen. Ziemlich sicher ist hingegen, dass die Bauern im Dezember ein Steuerprivileg beim Verkauf von Bauland gegen den Willen des Bundesrates zurückerhalten. Es geht dabei um 500 Millionen Franken.
Und um ein drittes aktuelles Beispiel zu nennen: Anfang Monat beklagte der Bauernverband die negativen Folgen der neuen Agrarpolitik. Es zeige sich, dass die Betriebe bei den Direktzahlungen Einbussen von bis zu 30 000 Franken hinnehmen müssten. Was der Bauernverband in seiner Medienmitteilung nicht schrieb: Die Höhe der Direktzahlungen blieb im Rahmen der neuen Agrarpolitik gleich. Wenn es denn tatsächlich Verlierer gibt, dann gibt es ebenso viele Gewinner.
Die positive Nachricht der neuesten Nationalfondsstudie der Fachhochschule Nordwestschweiz zur Belastung der Lehrpersonen ging unter: 87,2 Prozent der Befragten gaben an, dass ihnen ihr Beruf Spass mache. Das ist doch was! Hängen geblieben ist indes, dass jeder dritte Pädagoge Burnout-gefährdet ist. Diese Studien kommen so regelmässig wie Weihnachten.
Wenn von Lehrern die Rede ist, spricht man über Probleme. Die Lehrer tragen einiges dazu bei. Sie fordern mehr Lohn. Sie würden 39 Prozent tiefer entlöhnt als Berufe mit vergleichbaren Anforderungen. Die zweite Fremdsprache auf Primarschulstufe? Eine Überforderung für Schüler und Lehrer. Die Klassen? Zu gross. Die Politik und ihre Reformen? Zu viel des Guten. Und überall in den Kantonen dieser Spardruck, dem sich auch die Schulen nicht entziehen können.
Die Haus- und Kinderärzte hatten dieses Jahr schon viel Grund zur Freude. 88 Prozent der Schweizer Stimmberechtigten haben im Mai Ja gesagt zu einem neuen Verfassungsartikel über die medizinische Grundversorgung. Die Ärzte konstatierten, dass sie zusammen mit den Patienten zu einer «politischen Macht» geworden sind. Das Lamentieren über den Hausarztmangel und die Überlastung hat sich also ausbezahlt. Der Bundesrat hat im Juni sein Versprechen gegenüber den Hausärzten eingelöst. 200 Millionen Franken hat er den Spezialisten abgezwackt, um sie den Grundversorgern zukommen zu lassen. Zudem müssen Medizinstudenten künftig obligatorische Hausarztkurse besuchen und eine Praxisassistenz absolvieren.
Die Hausärzte geniessen im Parlament und beim zuständigen Bundesrat Alain Berset viel Goodwill. Man nimmt die Probleme der Hausärzte derart ernst, dass die Apotheker mehr Kompetenzen bekommen sollen. Um die Hausärzte zu entlasten, sollen Apotheker auch impfen und rezeptpflichtige Medikamente abgeben dürfen. Und die Pharmaziestudenten sollen lernen, wie Krankheiten erkannt und behandelt werden.
Dumm nur: Diese Entwicklung macht den Hausärzten keine Freude. Doch den Zug können sie nicht mehr aufhalten.
Es war 1996: Die Schweiz steckte in einer Wirtschaftskrise. Das Parlament wollte etwas Gutes für den Tourismus tun. Der Sondersatz für die Hotellerie bei der Mehrwertsteuer wurde eingeführt – befristet. Mittlerweile wurde das Provisorium bereits fünfmal verlängert, zuletzt 2013. Damals führten die Hoteliers den starken Franken als Grund für die Weiterführung der Sonderbehandlung an. Derzeit ist nicht abzusehen, ob das Provisorium irgendwann ein Ende hat.
Die Restaurantbesitzer hätten natürlich auch gerne ein solches Mehrwertsteuerprivileg, schliesslich leiden sie unter Rauchverboten und der Senkung der Alkoholpromillegrenze. Das Volk sagte aber Njet. Doch die Gastronomen und die Hoteliers haben gemeinsame Verbündete: Die Tourismusförderer im Parlament sorgen gleich für alle. Um nur ein Müsterchen zu nennen: Im Ständerat ist derzeit eine vom Nationalrat angenommene Motion hängig, die vom Bund eine Schneesportoffensive verlangt. Alle Kinder sollen einmal in ihrer Schulkarriere eine Schneesportwoche erlebt haben. Auf dass wir eine Skination bleiben.
Die Autofahrer pflegen das Image der Milchkuh der Schweiz: Sie werden gemolken, sprich von der Allgemeinheit abgezockt. Ihre Abgaben und Gebühren steigen – und trotzdem stehen sie ständig im Stau. Mit diesem Lamento bodigten die Strassenverbände erfolgreich die Preiserhöhung für die Autobahnvignette. Und für die Abstimmung über ihre «Milchkuhinitiative» sind sie gerüstet: Alle Einnahmen aus dem Strassenverkehr sollen nur noch in die Strassenfinanzierung gesteckt werden. Schliesslich finanziere sich der Strassenverkehr selbst – wenn man denn alle externen Kosten ausnimmt, ist man versucht anzufügen.
80 Prozent der Schweizer besitzen ein Auto, das macht die Autofahrer zu einer starken Kraft. Es sind denn auch die Autofahrer und ihre politischen Vertreter, welche in diversen Kantonen gegen die Senkung des Pendlerabzuges bei der Einkommenssteuer mobil machen. Schon wieder fühlen sie sich als Milchkuh, diesmal der Kantone, die ihre Finanzen sanieren müssen. Der Pendlerabzug betrifft zwar auch die Benutzer des öffentlichen Verkehrs, doch sie profitieren eben in weit geringerem Ausmass als die Autofahrer.
Zugegeben: Öffentlich jammern ist nicht die Sache der höchst erfolgreichen Schweizer Pharmafirmen – im Unterschied etwa zum Bauernverband. Ein Aufmucken gibt es hin und wider bei den Medikamentenpreisen. Die Pharmaindustrie wählt in der Regel aber den diskreten Weg: Sie setzt ihre Interessen direkt im Parlament durch, ohne ein öffentliches Aufheben zu machen – das allenfalls sogar kontraproduktiv wäre. Die Parlamentarier haben ein Gehör für die Probleme der Pharma. So hat man bei der Zulassung der Parallelimporte für die Medikamente eine Ausnahme gemacht. Und beim Heilmittelgesetz, das derzeit im parlamentarischen Prozess steckt, sieht es so aus, als ob das Parlament entgegen der Absichten des Bundesrates den Schutz des geistigen Eigentums bei Medikamenten gegen seltene Krankheiten stark ausweiten wird.
Gewiss: Das Geschäft der Gewerkschaften ist es, sich für die Interessen von Arbeitnehmenden einzusetzen und auf Probleme hinzuweisen. Einige Gewerkschaften machen das etwas polemischer als andere. Spitzenreiterin im Jammern ist zweifelsohne die Unia. Des Öfteren bekommt man das Gefühl, die Schweiz stehe unmittelbar am Abgrund, sei das Land mit den schlechtesten Arbeitsbedingungen überhaupt. Das kann so weit gehen, dass man die Diskussion um die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten zu einer Grundsatzfrage um «Sinn und Wert der Demokratie» hochstilisiert, weil es ohne den sozialen Zusammenhalt keine Demokratie mehr gibt.
Nun gut. Unser Lieblingsmüsterchen stammt aber aus der 1.-Mai-Rede 2013 von SP-Nationalrat und Unia-Geschäftsleitungsmitglied Corrado Pardini: «Wollen unsere Unternehmer und Banker und Regierer wirklich dahin? Zu Tode gesparte Staaten? Dumpinglöhne? Sinkende Kaufkraft? Hunger? Malaria?»
Wahrlich, die Schweiz steht vor dem Abgrund.
Die aktuelle Abstimmung über die Initiative zur Abschaffung der Pauschalbesteuerung führt uns wieder vor Augen, wie schlecht es unseren Bergkantonen geht.
In St. Stephan im Obersimmental BE ist im Falle einer Annahme gar die Schule von einer Schliessung bedroht. Das sollten sich die Städter und Mittelländer doch bitte vor Augen führen, bevor sie ihr Abstimmungscouvert in die Urne legen. Solidarität fordern die Bergkantone immer wieder vom Rest der Schweiz ein. Die Solidarität spielt tatsächlich in vielen Fällen – mal abgesehen von der Annahme der Zweitwohnungsinitiative.
Doch auch hier scheinen die Berggebiete einen Ausweg gefunden zu haben: Der Ständerat zumindest will die Initiative so umsetzen, dass sie mit dem Verfassungsartikel nichts mehr zu tun hat. Das erfolgreiche Lamentieren der Bergler zeigt sich nicht nur im Grossen, sondern auch im Kleinen.
So hat das Parlament beispielsweise die Pistenfahrzeuge teilweise von der Mineralölsteuer befreit. Solche Müsterchen gibt es zuhauf. Dass es mit der Solidarität im Grundsatz nicht schlecht steht, zeigen im Übrigen Zahlen von der eidgenössischen Finanzverwaltung: 5830 Franken pro Kopf erhalten die Bündner aus Bundesbern, 5842 Franken gar die Urner. Am anderen Ende der Skala steht der Kanton Aargau mit Einnahmen von 1457 Franken pro Kopf aus Bundesgeldern.
Zugeben, auch die Journalisten klagen gerne. Doch an dieser Stelle verzichten wir darauf: Es ist genug gejammert.