Schweiz
Gesellschaft & Politik

Grenzschutzinitiative: Das will die SVP damit erreichen

Die SVP legt den Text für ihre neue Asyl-Initiative vor – der Inhalt ist heikel

Am Samstag lanciert die SVP die Grenzschutzinitiative. Menschen von ausserhalb Europas könnten nur noch ein Asylgesuch stellen, wenn sie mit dem Flugzeug einreisen. Einen Bruch mit der Genfer Flüchtlingskonvention nimmt Parteipräsident Marcel Dettling in Kauf.
25.05.2024, 07:02
Kari Kälin / ch media
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Grenzkontrolle in Chiasso.Bild: Keystone

Der Ton ist gesetzt: In der Einladung zum Sonderparteitag vom Samstag in Basel spricht der neue SVP-Präsident Marcel Dettling von «Asylchaos» und «sogenannten Asylsuchenden», die «unzählige sichere Drittstaaten» durchquerten. Gut 30'000 Personen stellten letztes Jahr in der Schweiz ein Asylgesuch, knapp 6000 erhielten den Flüchtlingsstatus.

Im Februar enthüllte die SVP erste inhaltliche Details zu ihrer neuen Volksinitiative mit dem Titel «Asylmissbrauch stoppen! (Grenzschutzinitiative)». Wie bei der «10-Millionen-Schweiz» geht es auch um Obergrenzen. Jetzt liegt CH Media exklusiv der Text vor, über den das Schweizer Volk dereinst abstimmen wird. Eine Kernforderung lautet: Pro Jahr gewährt die Schweiz maximal 5000 Personen Asyl. Wäre diese Regel bereits in Kraft, hätte die Schweiz im letzten Jahr rund 1000 schutzbedürftige Menschen abweisen müssen.

In mehreren Absätzen beschreibt die SVP, wie sie dieses Ziel erreichen will: «Personen, die über einen sicheren Drittstaat einreisen, um in der Schweiz ein Asylgesuch zu stellen, wird keine Einreise und kein Asyl gewährt. Eine vorläufige Aufnahme ist ausgeschlossen. Ausgenommen von dieser Regelung sind Bürgerinnen und Bürger von angrenzenden Staaten.» Oder: «Personen ohne gültigen Aufenthaltstitel oder anderweitige Einreiseberechtigung wird die Einreise in die Schweiz verweigert.»

Faktisch bedeutet das: Der Weg über die grüne Grenze ist verbarrikadiert. Asylsuchende, die nicht aus Europa stammen, könnten nur noch mit dem Flugzeug und gültigem Visum in die Schweiz einreisen - was im letzten Jahr bloss 225 Personen taten. Weitaus die meisten Gesuchsteller gelangen mit Hilfe von Schlepperbanden über die gefährliche Mittelmeer- oder Balkanroute in die Schweiz.

Sans-Papiers müssten Schweiz verlassen

Was unter «angrenzenden Ländern» genau zu verstehen ist, müsse der Gesetzgeber definieren, sagt Dettling. Mit europäischen Staaten könne man grosszügiger sein. Fakt ist: Die SVP würde den Schutzstatus S am liebsten abschaffen. Mit einer Asylobergrenze von 5000 Personen hätte die Schweiz Zehntausende Ukrainerinnen und Ukrainer ablehnen müssen, zumal eine vorläufige Aufnahme nicht mehr infrage käme.

Dettling sagt, es sei generell sinnvoller, «wenn Flüchtlinge in umliegenden Ländern Schutz suchen, anstatt von Pontius bis Pilatus zu reisen und die Kassen der Schlepper zu füllen». Der Schwyzer Nationalrat verweist auf Zahlen der UNO-Flüchtlingsagentur UNHCR. Demnach leben von den weltweit 32,5 Millionen Flüchtlingen rund 72 Prozent in einem Nachbarstaat.

Der Initiativtext enthüllt eine Forderung, die bis jetzt nicht bekannt war. Der Bund und die Kantone müssten sicherstellen, «dass illegal eingereiste oder sich illegal in der Schweiz aufhaltende Personen die Schweiz innerhalb von längstens 90 Tagen verlassen». Dieser Passus zielt auf die sogenannten «Sans-Papiers». Naturgemäss kann nur geschätzt werden, wie viele Personen sich ohne Aufenthaltsrecht in der Schweiz aufhalten. In einer Studie aus dem Jahr 2015 kam der Bund zum Schluss, dass damals rund 76'000 Sans-Papiers in der Schweiz lebten.

Bei mehr als der Hälfte davon handelt es sich um Touristen, die nach Ablauf des Visums im Land geblieben sind. Laut Schätzungen sind 86 Prozent der Sans-Papiers erwerbstätig, mehr als die Hälfte davon als Haushaltshilfen. Sie führen ein Schattendasein, schlagen sich irgendwie durch und müssen aufpassen, nicht auf dem Radar der Behörden aufzutauchen. Sie haben grundsätzlich die Möglichkeit, ihren Aufenthalt via Härtefallgesuch zu legalisieren.

Die SVP will sodann wieder systematische Grenzkontrollen einführen. Um Staus zu verhindern, sollen Schweizer, Ausländer mit gültigem Aufenthaltstitel und Grenzgängerinnen die Grenze einfacher passieren, zum Beispiel mittels elektronischer Kontrolle. Täglich überqueren 1,1 Millionen Fahrzeuge und 2,2 Millionen Menschen die Schweizer Grenze.

«Kriminalität wiegt schwerer als ein paar Minuten Wartezeit»

Wie soll eine lückenlose Kontrolle stattfinden, ohne ewige Wartezeiten zu provozieren und die Wirtschaft zu lähmen? Und woher soll das Personal für die flächendeckende Grenzüberwachung rekrutiert werden? Dettling sagt, die SVP wolle bloss zum früheren Regime zurückkehren - und damit die Sicherheit erhöhen. «Die Kriminalität wegen der offenen Grenzen wiegt für die Wirtschaft schwerer als ein paar Minuten mehr Wartezeit am Zoll.» Und wenn dank Grenzkontrollen die Kriminalität sinke, brauche es weniger Polizisten.

Dettling kann nicht verstehen, weshalb Justizminister Beat Jans nicht Deutschland und Österreich nacheifert und wieder Grenzkontrollen einführt. Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser hält daran fest, weil die irreguläre Migration zurückgegangen sei und man Erfolge im Kampf gegen die Schlepper erzielt habe. Auch der österreichische Innenminister Gerhard Karner vermeldete neulich einen deutlichen Rückgang der illegalen Migration. Derzeit setzen acht Schengen-Staaten auf diese Massnahme, die in der EU mit Einführung der Personenfreizügigkeit eigentlich Geschichte hätte sein sollen.

Nimmt das Volk die Initiative an, würde dies das Aus für das Schengen/Dublin-Abkommen bedeuten. Die SVP nimmt auch einen Bruch mit der Genfer Flüchtlingskonvention in Kauf, wie Dettling gegen über dem Schweizer Radio- und Fernsehen sagte. Der Bundesrat betonte etwa in der Antwort auf einen Vorstoss, eine Obergrenze für Asylgewährungen verstosse gegen das Non-Refoulement-Prinzip. Es besagt, dass die Schweiz niemanden in ein Land zurückweisen darf, in dem der Person Folter und unmenschliche Behandlung droht.

Schon jetzt steht fest: Die SVP wird praktisch allein auf weiter Flur für die Initiative kämpfen. Nationalrätin Greta Gysin (Grüne, TI) sprach von einer «Schande», während FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen mit der Initiative den «Anfang für ein Asylchaos» sieht. Es sei «gar keine gute Idee», Dublin zu kündigen. (aargauerzeitung.ch)

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180 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Fuchs76
25.05.2024 07:12registriert September 2021
Das ist ja ein ganz Schlauer, dieser Dettling. In einem Zug Schengen/Dublin kippen, die Genfer Menschenrechtskonventionen (offensichtlich hält die SVP nichts davon), und die Grundlagen für einen Überwachungsstaat etablieren ("zum Beispiel mittels elektronischer Kontrolle").

Man ist fast versucht zu sagen, ruhig Brauner.
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Frank Kraschinsky-Rickenbacker
25.05.2024 07:21registriert Mai 2024
Wann endlich wird die SVP die Probleme gelöst haben? Seit Jahrzehnten die stärkste Partei, fixiert auf Migration, doch gemäss ihren eigenen Aussagen wird das Problem stets grösser. Dies offenbart eine Dialektik der Unfähigkeit, in der das System selbst zur permanenten Krise wird! Die SVP verkörpert das regressive Denken, unfähig, die Komplexität der sozialen Verhältnisse im Ansatz zu verstehen.
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Kommentar*innen
25.05.2024 07:28registriert Juni 2018
Ein internationales, riesiges Problem will der rechte Helvetier nun im Alleingang lösen. Dafür wird der Bruch von Völkerrecht in Kauf genommen und btw. die internationale Zusammenarbeit mit Schengen-Dublin beendet.
Nun weiss jeder, wieso ein SVP Bundesrat nie das EDI wählen wird. Wäre ja zu Schade, wenn man auf den eigenen Bundesrat dann dauernd eindreschen müsste. Hat die SVP eigentlich noch andere Themen als Ausländer und Genderstern?
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