Spätestens seit dem frontalen Angriff von SVP-Nationalrat Thomas Aeschi auf SP-Energieministerin Simonetta Sommaruga in den Tamedia-Zeitungen ist klar: Die Parteien schenken sich im Vorfeld der nationalen Wahlen 2023 nichts - im Gegenteil: Es wird gestichelt, was das Zeug hält. Zwar dauert es noch mehr als ein Jahr, bis die Schweizer Bevölkerung ihr Parlament neu wählt. Doch bereits jetzt bringen sich die Parteien in Stellung. Sie alle wollen an Wähleranteil zulegen - setzen dafür aber auf unterschiedliche Themen.
Es sind nicht allein die Schutzsuchenden aus der Ukraine, die heuer zu einem Zuwanderungsrekord in der Schweiz beitragen dürften. Auch durch die «reguläre» Migration wandern jährlich Zehntausende Menschen in die Schweiz ein. Die vom Bund erstellte Prognose, wonach hierzulande bis Ende des Jahres über 200'000 Personen mehr leben könnten, spielt der SVP unmittelbar in die Hände. Der Dauerbrenner der Volkspartei dürfte auch 2023 ihren Wahlkampf prägen.
Deren Wahlkampfleiter Marcel Dettling spricht in diesem Zusammenhang von einem «Versagen der links-grünen Politik» und sagt: «Wir können nicht die ganze Welt aufnehmen. Denn schon jetzt zeigt sich, dass die masslose Zuwanderung zu immer mehr Problemen führt.» Das sehe man beispielsweise beim Stau, den hohen Kosten, der zubetonierten Landschaft und auch an den Schulen. Dort würden die fremdsprachigen Kinder das Bildungsniveau gefährden. Für SVP-Nationalrat Dettling ist klar: «Es kann nicht sein, dass jeder Asylmigrant einfach hier bleiben kann und auf Kosten der Allgemeinheit lebt.»
Gewerkschaftspräsident und SP-Nationalrat Pierre-Yves Maillard erwartet «einen rabenschwarzen Herbst», wie er jüngst in einem Interview mit dem Blick sagte. Tatsache ist: Die Inflation liegt seit vergangenem Monat auch in der Schweiz über 3 Prozent - erstmals seit 14 Jahren. Für die Sozialdemokraten ist das Wahlkampfthema damit gesetzt. Sie wollen die «Kaufkraft stärken», wie Co-Präsidentin und Nationalrätin Mattea Meyer sagt. Schliesslich seien die Ausgaben der Haushalte im Vergleich zu den Löhnen und Renten deutlich stärker gestiegen in den vergangenen Jahren.
Aussergewöhnlich heiss und extrem trocken - die aktuelle Wetterlage macht zwar vielen Sorgen, hält auf politischer Ebene aber auch wirkungsvoll als Beispiel für die Folgen des Klimawandels hin. Allen voran kämpfen die Grünen. Deren Wahlkampfleiterin, Ständerätin Lisa Mazzone, spricht von einer «Schlüssellegislatur fürs Klima», die einen Wendepunkt markieren werde: «Wir sind die erste Generation, welche die Folgen der Klimaerhitzung erlebt und die letzte, die verhindern kann, dass es noch schlimmer wird.» Zwar hätte ihre Partei in der aktuellen Legislatur bereits einige Meilensteine hin zu mehr Klimaschutz gesetzt, doch: «Die konservative Mehrheit am Gängelband der Erdöl- und Gaslobby hat weitergehende, dringend nötige Schritte verhindert.»
Gemeinsam mit der SP wird die Partei im September die Klimafonds-Initiative lancieren. Diese sieht vor, dass der Bund jährlich zwischen 0.5 und 1 Prozent des BIP in einen staatlichen Fonds einlegt. Damit sollen Massnahmen zum Schutz von Klima und Biodiversität finanziert werden - beispielsweise der Ausbau der erneuerbaren Energien, die Dekarbonisierung oder natürliche Karbonsenken.
Die steigenden Gesundheitskosten stehen bei der Mitte und der SP weit oben auf dem Wahlkampf-Programm. Die Sozialdemokraten haben dazu bereits vor zweieinhalb Jahren eine Initiative eingereicht. Zusammen mit der Mitte brachten sie schliesslich den vom Bundesrat erarbeiteten indirekten Gegenvorschlag im Nationalrat durch. Im Gegenzug unterstützte die SP den Gegenvorschlag zur Kostenbremse-Initiative der Mitte.
Die Gesundheitspolitik hat auch die FDP zu einem ihrer drei Schwerpunkte für den Wahlkampf 2023 erkoren. Etwas verklausuliert lässt das Generalsekretariat der Freisinnigen mitteilen, die Partei setze sich für eine «qualitativ hochstehende und bezahlbare Gesundheitspolitik» ein.
Die Blockade im Europa-Dossier beschäftigt die Parteien. Während die Grünliberalen betonen, dass es hier «griffige und rasche Lösungen brauche, da der Handlungsbedarf nach wie vor sehr gross» sei, sieht sich die Mitte auch in der Europapolitik als Brückenbauerin: «Die politische Polarisierung der letzten Jahre hat dazu geführt, dass wichtige Reformen gescheitert sind. Wir sehen es als unsere Aufgabe, Lösungen anzubieten, die im Sinne der Bevölkerung sind.» Mit Ausnahme des EU-Positionspapiers der SP blieben konkrete Vorschläge bislang allerdings aus. Wohl auch, weil sich keine der Parteien am Europa-Dossier die Finger verbrennen will. So scheint denn auch bei der GLP unklar, welches Thema sie für den Wahlkampf in den Vordergrund rücken will. Die Partei wolle ihre «Kernwahlthemen» erst im kommenden Jahr kommunizieren, heisst es auf Anfrage.