Silvester 2022. Sina Alpiger, unsere ehemalige Videoreporterin, ist ausser Haus. Sie will das neue Jahr mit Freunden in den Bergen einläuten. Doch kurz vor Mitternacht erhält sie einen Anruf von der Polizei. Bei ihr zu Hause, einer Parterrewohnung in der Stadt Zürich, sei jemand eingebrochen. Ihre Nachbarinnen hätten den Einbrecher schnell vertreiben können. Gestohlen habe er darum vermutlich nichts. Gefasst sei er aber nicht.
Völlig unter Schock nimmt Sina gleich am nächsten Morgen den Zug zurück nach Zürich. Zu Hause findet sie zwei kaputte Fenster und die vom Einbrecher im Wohnzimmer zurückgebliebenen, dreckigen Fussspuren vor. «Das war ein sehr mulmiges Gefühl. Mit eigenen Augen zu sehen, dass da eine fremde Person in meiner Wohnung war. In meinem Zuhause», sagt Sina.
In der ersten Nacht alleine, in der dunklen Wohnung, bringt Sina kaum ein Auge zu. Am nächsten Tag erzählt ihr der Hausmeister, dass im ganzen Quartier Einbrecher ihr Unwesen getrieben hätten. Das ist kein Zufall. Die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr ist unter Einbrechern beliebt. Die Nächte sind lang und die Menschen ausser Haus. Optimale Bedingungen.
Gemäss der polizeilichen Kriminalstatistik, die das Bundesamt für Statistik jährlich herausgibt, sind die Einbruchs- und Einschleichdiebstähle 2022 erstmals seit zehn Jahren wieder gestiegen. Im langfristigen Vergleich wird in der Schweiz heute nur noch halb so oft eingebrochen wie noch vor zehn Jahren.
Das grösste Risiko, Opfer eines Einbruchs zu werden, hat gemäss Statistik die Bevölkerung des Kantons Basel-Stadt, wo 2022 7,7 Einbrüche pro 1000 Einwohner stattfanden. Das zweitgrösste Risiko besteht im Kanton Genf mit 6,5 Einbrüchen pro 1000 Einwohner. Mit Abstand die meisten Einbrüche fanden hingegen im Kanton Zürich mit 6935 Fällen statt. Die wenigsten im Kanton Appenzell Innerrhoden mit 20 Fällen.
Was nach dem Einbruch bei den Opfern bleibt, ist nicht nur eine zerwühlte Wohnung und der Verlust von Geld und Wertgegenständen, sondern auch eine nachhaltige Unsicherheit, wenn nicht gar grosse Angst. Denn da hat sich eine wildfremde Person gewaltsam Zugang zu ihrem Zuhause, ihrem privatesten Ort, an dem sie sich sicher fühlten, verschaffen.
Gemäss einer Studie der Basler Versicherungen von 2013 fühlen sich Einbruchsopfer durchschnittlich ein Jahr lang weniger sicher in ihrem Zuhause als vor dem Einbruch. 21 Prozent der Befragten beurteilen die psychische Belastung infolge eines Einbruchs als «eher stark» oder «sehr stark».
Frauen leiden jedoch signifikant stärker unter einem Einbruch. 28 Prozent der befragten Frauen gaben an, eine «sehr starke» bis «recht starke» psychische Belastung nach dem Einbruch empfunden zu haben. Bei Männern sind es 18 Prozent. Wie ein Mensch auf einen Einbruch reagiert, ist schlussendlich aber sehr individuell, unterstreichen die Studienautoren.
Auch Sina hat noch viele Wochen nach dem Einbruch mit Schlafproblemen zu kämpfen. Daneben schleichen sich neue Routinen ein. Bevor sie das Haus verlässt, kontrolliert sie kleinlich alle Fenster. Ist auch alles gut verschlossen? Habe ich wirklich nichts vergessen?
Ist sie zu Hause, lässt sie die Tür nicht mehr einfach offen, so wie vor dem Einbruch, sondern schliesst ab und lässt den Schlüssel stecken, «damit niemand das Schloss knacken kann». Im Sommer schläft sie nicht mehr mit komplett geöffnetem Fenster, wie noch im Jahr davor. Sina sagt:
Inzwischen geht es Sina – vielleicht auch wegen dieser neuen Routinen – besser. Nachhaltig traumatisiert sei sie nicht vom Einbruch, sagt sie. Immerhin konnte sie kürzlich ohne schlechtes Bauchgefühl umziehen. Wieder in eine Parterrewohnung in der Stadt Zürich.
Auch unsere Kulturredaktorin Simone Meier sagt, sie sei von ihren Erfahrungen als Einbruchsopfer nicht traumatisiert. Das ist erstaunlich, wenn man ihr zuhört. Drei Mal ist bei ihr schon eingebrochen worden.
Beim ersten Mal fand sie beim Heimkommen eine völlig zerwühlte Wohnung wieder, verlor aber nur Bargeld, Schmuck und komischerweise Räucherstäbchen.
Beim zweiten Mal erwachte Simone aus dem Schlaf und entdeckte am Fussende ihres Bettes einen fremden Mann. «Ich war völlig im Schock. Ich schaffte es gerade noch, mit aller Autorität, die ich aufbringen konnte, ganz laut zu brüllen: Raus!», sagt Simone.
Es sei Sommer gewesen und kurz vor dem Einbruch hatte sie wegen der Hitze die Fenster ihres Schlafzimmers in der Parterrewohnung geöffnet. Durch dieses Fenster sei der Einbrecher hereingestiegen.
Simone vermutet, dass er ein Junkie war. Er sei von ihrem «Raus!» mindestens ebenso erschrocken gewesen wie sie von ihm. «Er stammelte eine Entschuldigung und etwas von wegen, ob er kurz hierbleiben könne, weil er sich vor der Polizei versteckte. Ich sagte natürlich ‹Nein›.» Zu ihrem Glück flüchtete der Einbrecher daraufhin umgehend aus dem Fenster nach draussen. Simone fügt an:
So wie Sina begann auch Simone nach ihrem ersten Einbruchserlebnis mit neuen Routinen. Sie kontrollierte vor dem Verlassen der Wohnung penibel, ob alle Fenster geschlossen sind, schloss häufig gleich auch die Storen. Und wenn sie in die Ferien ging, befestigte sie diese Storen sogar noch zusätzlich mit Draht.
Nach dem zweiten Einbruch legte sie sich zudem eine «Waffe» in die Nachttischschublade. «Ich hatte mal ein Jesuskreuz aus Kupfer geschenkt bekommen. Es war sehr schwer und handlich.» Mit diesem Kreuz würde sie sich das nächste Mal wehren können, wenn jemand in der Wohnung stand, glaubte sie. Als Wurfwaffe oder Schlagstockersatz konnte es dienen. Vor dem dritten Einbruch schützte sie das Kreuz allerdings auch nicht.
Simone war inzwischen umgezogen. Wohnte nicht mehr im Parterre, sondern im dritten Stock. Am Tag des Einbruchs arbeitete sie den ganzen Tag von zu Hause aus. Nur für den Zmittag verliess sie ihre Wohnung kurz. Wirklich nur kurz.
40 Minuten war sie auf der anderen Strassenseite in einem Restaurant. Als sie zurückkam, empfing sie eine aufgebrochene, zersplitterte Wohnungstür und eine zerwühlte Wohnung. Diesmal kam vieles weg: Bargeld, Schmuck und sehr viel Elektronik. Ganz besonders schmerzte Simone, dass die Einbrecher Erbstücke, die ihr viel bedeuteten, mitnahmen.
Zu dieser Trauer schlich sich aber ein weiteres Gefühl: tiefes Unbehagen. «Mir wurde bewusst, dass mich diese Einbrecher sicher den ganzen Morgen beobachtet haben. Sonst hätten sie ja nicht gleich im richtigen Moment zuschlagen können.» Dass sie nichts davon bemerkt hatte, beschäftigte sie noch viele Monate. Und:
Diese Angst konnte Simone glücklicherweise überwinden. Ein weiterer Umzug wird da wohl geholfen haben. Simone wohnt zwar noch in der Stadt Zürich, aber nicht mehr im Parterre. Und ihre Wohnungs- und Haustür sind massiv. Massiver als die vorherigen. Ihre Fensterläden muss Simone darum nicht mehr obsessiv mit Draht doppelt versiegeln, bevor sie in die Ferien geht. Und das Kupferkreuz liegt längst im Keller bei den alten Sachen.
Immerhin sind es bisher nie gewalttätige Diebe gewesen. Aber es ist tragisch und hinterlässt beim Opfer viel Angst und Unsicherheit.
Alles kein grosser Geldwert hingegen an ideeller Bedeutung enorm. Ich werde gleich wieder wütend und traurig darüber, dass Banden sich einfach vorstellen, es sei ok, sich bei anderen zu bedienen.
Seit über 10 Jahren hat sich der Einbruch nicht wiederholt, ich bin umgezogen.