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Der Vierfachmord von Rupperswil beschäftigt die Schweiz auch mehr als eine Woche nach der Tat weiter. Die Forensiker Josef Sachs, Frank Urbaniok und Thomas Knecht analysieren den aussergewöhnlichen Fall für watson:
Josef Sachs, Frank Urbaniok und Thomas Knecht sind sich einig: je mehr Zeit nach einem Mord vergeht, desto schwieriger wird es, ihn aufzuklären. Je länger es dauert, desto besser können sich die Täter einrichten. Sie können sich organisieren, ins Ausland absetzen. Auf längere Frist steigen dann die Chancen für eine Aufklärung allerdings wieder. «Oft begehen die Täter Fehler, werden unvorsichtig, undiszipliniert», sagt Sachs. Ein Beispiel dafür ist der Postraub von Zürich im Jahr 1997. Lange nach der Tat wurden die Räuber nachlässig, brachten das Geld in Umlauf und man konnte sie festnehmen.
Die Behörden verfolgen wohl verschiedene Spuren. Sie liessen bereits verlauten, sie wüssten mehr, als sie sagen. Urbaniok ist es ein Anliegen, dass man die Polizei jetzt in Ruhe arbeiten lässt. Er betont, dass die Arbeit für die Polizei extrem schwierig sei – weil die Täter die Opfer allenfalls zufällig ausgesucht haben und es deshalb keinen Bezug gibt. Urbaniok ruft die Bevölkerung deshalb auf, jegliche Beobachtungen der Polizei mitzuteilen. «Wir sollten der Polizei jetzt nicht von aussen die Welt erklären», fügt Urbaniok an.
Für Sachs ist nun wichtig, dass man nach Fällen sucht, in welchen die Täter ähnlich vorgegangen sind: «Mörder, wie die von Rupperswil, verfügen nicht über ein unendliches Repertoire. Sie gehen immer ähnlich vor. Deshalb dürfte die internationale Fahndung über Interpol wichtig sein.» Knecht ergänzt: «Zudem muss das gesamte soziale Umfeld der Getöteten überprüft werden, alle Beziehungsnetze unter die Lupe genommen werden.» Selbstverständlich wird laut Knecht zudem der Tatort weiter untersucht. Die Frage, ob die Tatwaffe ein Haushaltsmesser oder Mörderdolch sei, stehe weiter im Raum.
Am Anfang ging man von einem Familiendrama aus. Seither hat sich die Beurteilung des Falls gewandelt. Vier vollständige Tötungen, eine allfällige Knebelung, die Kaltblütigkeit, mit der die Täter offenbar vorgegangen sind, das gelegte Feuer, die Flucht ohne Spur, die immer noch nicht gefundene Tatwaffe – das alles deutet auf eine gut und lange geplante Tat hin.
Für Urbaniok ist klar, dass die Tat von Rupperwil nicht spontan begangen worden ist. «Wegen der aussergewöhnlichen Brutalität gehe ich davon aus, dass die Täter nicht aus heiterem Himmel heraus handelten», sagt Urbaniok. Er glaubt, die Mörder seien schon früher mit der Polizei oder der Justiz in Kontakt gekommen. Allenfalls im Ausland. Das längere Tatgeschehen sowie die Tatsache, dass die Frau vor ihrer Ermordung zweimal Geld abgehoben hat, deuten für Urbaniok darauf hin, dass die Tat geplant war.
Über das Motiv wird weiter gerätselt: Es gibt gemäss Sachs zwei Szenarien: 1. Die Täter gingen davon aus, dass sie über die getötete Frau zu viel Geld kommen konnten. 2. Jemand aus dem Umfeld der Getöteten hat einen Auftragskiller auf die Familie angesetzt. «Solche Auftragsmörder gibt es in der Schweiz, die machen solche Jobs für fünfstellige Beträge», sagt Sachs.
Knecht, der betont, man könne immer noch nichts ausschliessen, meint aber: «Das Motiv ist sehr wahrscheinlich ein weltliches.» Es handle sich eher um eine Bereicherung als um Rache.
Für Urbaniok gibt es zwei Möglichkeiten: 1. Die Täter hatten keinen leichten Zugang zu Waffen; weil es allenfalls Jugendliche waren, oder aber Raubtäter, die bisher keine Waffen benutzten. 2. Die Messer kamen zum Einsatz, weil die Mörder keinen Lärm verursachen wollten. «Das würde eine extreme Kaltblütigkeit voraussetzen», sagt Urbaniok.
Die Brutalität mit der die Täter vorgegangen sind, die Anzahl der Opfer, das unklare Motiv – und dann die Tatsache, dass es am Anfang keine Spur zu geben schien, die Ermittlungen praktisch bei Null begonnen haben. In der Schweiz werden fast alle Morde aufgeklärt (Anm. d. Red.: Laut Kriminalstatistik waren es 2014 95,4 Prozent), dass man, wie im Fall Rupperswil offenbar total im Dunkeln tappt, kommt selten vor.
Alle drei Forensiker, die tausende Fälle bearbeitet haben, sprechen immer wieder von einer schockierenden Kaltblütigkeit und Brutalität. «Das ist in dieser Form sehr selten», sagt Urbaniok.
Knecht bringt ein weiteres Element ins Spiel: Den Kontrast zwischen der maximalen Brutalität der Tat in einer maximal friedlichen Gemeinde. «Das hat einen zusätzlichen Schockeffekt. Ein Mord wie im Mafia-Milieu in Palermo oder New York in einer ländlichen Gemeinde der Schweiz.»
In den vergangen Tagen kam es zu zahlreichen rätselhaften Todesfällen in der Schweiz: Der Vierfachmord in Rupperswil, das tote Rentnerpaar in Laupen, die männliche Leiche in einer Wohnung in Olten sowie der Tod des Portugiesen im Berner Oberland, der brennend auf der Strasse lag. Das ist ungewöhnlich, ein Zusammenhang aber nicht erkennbar. Bei den Nicht-Rupperwil-Fällen ist keine vergleichbare Brutalität bekannt, zumindest bisher.