Es war eine illustre Runde, die etwa in den Jahren 2011 bis 2017 alle paar Monate in einem Sitzungszimmer im Bundeshaus zusammenkam. Ranghohe Vertreter von Armee, Zoll, Bundesanwaltschaft und Polizei waren beispielsweise dabei. Am Tisch sassen immer auch mehrere Sicherheitspolitiker aus allen Bundesratsparteien.
Die Sache war nicht geheim, aber man hängte sie nicht an die grosse Glocke. Ziel sei gewesen, erinnern sich Teilnehmer, die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden in der Schweiz zu verbessern. Insbesondere im Kampf gegen Terror und organisierte Kriminalität.
Als Initiant dieses «runden Tisches» zum Thema «Sicherheit Schweiz» galt der Solothurner Roland Borer, von 1991 bis 2015 Nationalrat der SVP und bekannter Sicherheits- und Sozialpolitiker. Dass Borer der «Tätschmeister» war, erkannten manche auch daran, dass er jeweils die Apéros zahlte.
Ebenso dabei war ein Aussenstehender, den manche als «Sekretär von Borer» in Erinnerung haben. Nennen wir ihn Fritz. Er sei als «eine Art Moderator» der Treffen aufgetreten, sagt ein Teilnehmer.
Stets dabei war aber auch der langjährige Beschaffungschef des Auslandgeheimdienstes, Paul Zinniker. Er war von 2010 bis 2019 Vizechef des Nachrichtendienstes des Bundes, NDB. Die Nummer 2 also hinter dem damaligen Geheimdienstchef Markus Seiler.
Was die normalen Teilnehmer des runden Tisches allerdings nicht wussten: Zwischen Fritz und Zinniker gab es eine Verbindung. Zinniker sass nicht nur als NDB-Kader, sondern gewissermassen auch als Führungsoffizier am Tisch: Fritz war damals in Tat und Wahrheit ein «Agent» von Zinniker.
Denn Gespräche mit Teilnehmern zeigen, dass Fritz der Mann sein muss, von dem in einem erst kürzlich bekannt gewordenen «Geheimvertrag» des NDB die Rede ist. Der NDB habe einst «unter dubiosen Umständen einen Privatspion angeheuert», schrieb die NZZ im August 2024, ohne aber Hauptakteure und Hintergründe zu identifizieren oder auszuleuchten.
In zum Teil geschwärzten Dokumenten, die der NDB jetzt auch CH Media zugänglich machte, wird der Inhalt des dubiosen, vor Aufsicht und Bundesrat geheim gehaltenen Vertrags umrissen. Demnach zahlte der NDB vom Mai 2010 bis April 2018 im «Mandatsverhältnis» den «Berater», der so geheim war, dass intern möglicherweise nur NDB-Vize Zinniker von ihm wusste.
«Auftrag» des Mannes war gemäss einer Aktennotiz, die im August 2022 der neue NDB-Chef Christian Dussey an Verteidigungsministerin Viola Amherd schicken liess:
40'000 Franken pro Jahr, total 280'000 Franken, habe der NDB für den «Berater» bezahlt. Das Geld wurde als «Quellenentschädigungen mit einem Decknamen abgerechnet» und auf «verdeckten Zahlungswegen» überwiesen.
Was sollte die «Geheimoperation» im Bundeshaus? Die Direktbetroffenen schweigen. Fritz antwortete nicht auf Anfragen, wohl auch infolge Geheimhaltungsklausel. Der frühere SVP-Nationalrat Borer schweigt auch. Einzig Paul Zinniker, seit 2019 vorzeitig in Rente, reagierte.
Er sei seit fünf Jahren nicht mehr für den NDB tätig und kenne die aktuellen Aktenlagen nicht, so der ehemalige NDB-Vize. Und: «Da ich auch nach meiner Pensionierung an das Amtsgeheimnis (insbesondere Quellen- und Methodenschutz) gebunden bin, darf und will ich aus Respekt gegenüber Beteiligten keine Auskunft über die operativen Fakten geben.»
Dass es sich um eine verdeckte Operation handelte, glaubt offensichtlich auch der «neue» NDB unter Dussey: «Wichtig schienen Teilnahmen an einem runden Tisch gewesen zu sein», an dem Politiker und Beamte von Bund und Kantonen teilgenommen hätten, steht in der Aktennotiz von 2022.
CH Media sprach mit einer Handvoll Personen, die an den Treffen dabei waren. Dass der «Moderator» des runden Tischs etwas mit dem ebenfalls anwesenden NDB-Vize Zinniker zu tun hatte, wusste demnach niemand. Einer sagt: «Zinniker war einer von mehreren Chefbeamten, die regelmässig kamen». Ein anderer: «Wir hielten die Sache für sinnvoll, es kam damals keiner auf die Idee, dass sie einen doppelten Boden haben könnte.»
Teilnehmer erinnern sich auch, dass sich Fritz auffallend für den NDB ins Zeug legte. Dass dieser mehr Mittel und Kompetenzen brauche. Er habe mehrmals erfolglos vorgebracht, der NDB müsse operativ eine grössere Rolle spielen. Etwa Leitungsrollen bei Anti-Terror-Operationen übernehmen. Zinniker selbst habe sich in der Frage zurückgehalten, erinnern sich Teilnehmer.
Thema bei den Treffen war laut Teilnehmern auch das neue Nachrichtendienstgesetz, dem die Bundesversammlung im September 2015 und ein Jahr später das Volk zustimmte. Es enthielt umstrittene Instrumente wie den Einsatz von Drohnen, Wanzen oder Staatstrojanern. Mit der verdeckten Operation im Bundeshaus könnte der NDB versucht haben, Einfluss auf die Politik zu nehmen.
Davon geht jedenfalls die neue NDB-Führung um Dussey aus. In der Aktennotiz hält sie fest, dass die «Tätigkeiten» des Beraters «gemäss Dokumentationen zumindest teilweise auf politische Einflussnahmen ausgerichtet» schienen. Auf Anfrage wollte sich der NDB aber nicht näher äussern.
Ebenfalls Thema an den Treffen war gemäss Beteiligten die Beschaffung neuer Armee-Drohnen. Sie wurde seit 2011 vorbereitet, die Vertragsunterzeichnung fand 2015 statt. Den Zuschlag erhielt letztlich die israelische Rüstungsfirma Elbit Systems mit der Hermes-Drohne.
Fest steht, dass der «Bundeshaus-Agent» des NDB ziemlich enge private und berufliche Beziehungen zu Israel hatte. Noch heute wird er etwa als Teammitglied eines israelischen Forschungsinstituts im Bereich Terrorabwehr gelistet. Er war und ist aber offenbar auch Ausbildner von Sondereinheiten und Anti-Terror-Experte.
Auch dem ehemaligen NDB-Vize Zinniker wurden gute Beziehungen zum israelischen Auslandgeheimdienst Mossad nachgesagt.
Auf Mossad-Nähe könnte eine Bemerkung gemünzt gewesen sein, die der frühere NDB-Chef Seiler einmal intern zu hören bekam, als er sich nach dem Geheimberater erkundigte. Dieser sei «eine Person, die man besser auf seiner Seite habe, als gegen sich», wurde ihm beschieden. Das steht in der Aktennotiz, die die NDB-Führung 2022 an Amherd schickte.
Fritz hatte offenbar zuvor versucht, beim neuen NDB-Chef Christian Dussey anzudocken. Dieser liess ihn abblitzen und verschickte eine Warnung vor dem «Experten» ans Departement.
Übrigens: Der Runde Tisch habe in Sachen Verbesserung der Sicherheitszusammenarbeit keine Resultate gebracht, sagt ein Teilnehmer. Irgendwann sei die Sache dann eingeschlafen. (aargauerzeitung.ch)
Im Lande der Fichenaffäre hat dieses Schweigen seine Lautstärke.