Kinder schreiben bessere Noten, wenn Handys im Unterricht verboten sind. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie an der London School of Economics. Vor allem schwächere Schüler profitieren gemäss den Forschern überproportional vom Verbot: Ihre Leistung steigerte sich um 14 Prozent. Die anderen Schüler hatten um 6,4 Prozent bessere Noten.
Im Interview sagt Medienpädagoge und Gymnasiallehrer Philippe Wampfler, warum das noch lange nichts heissen muss.
Herr Wampfler, Sie plädieren bei jeder Gelegenheit für das Lernen mit neuen Medien. Nerven Sie die Resultate dieser Studie?
Philippe Wampfler: Ja. Weil man daraus schnell die falschen Schlüsse ziehen könnte: Nämlich, dass es besser ist, Handys aus der Schule zu verbannen. Das ist völlig realitätsfremd. Kinder wachsen heute mit Handys auf. Smarte Geräte gehören zur Realität. Sie aus der Schule auszuschliessen, ist ein Witz. Ab dem Alter von einem Jahr integrieren Kinder Tablets und Handys in ihren Alltag und in der Schule sollen sie totgeschwiegen werden?
Wenn die Kinder dadurch besser in der Schule werden vielleicht schon?
Die neue Studie untersucht Schulen, an denen Handys verboten wurden. Wahrscheinlich sind das nicht gleichzeitig die Schulen, an denen aktiv ein kompetenter pädagogischer Umgang mit neuen Medien angestrebt wurde. Die Studie erläutert dies auch nicht weiter. Zudem sind die nationalen Tests, deren Resultate verglichen wurden, standardisiert und nicht auf digitales Lernen ausgerichtet. Ich wage die Resultate dieser Studie anzuzweifeln.
Trotzdem: Das Handyverbot wirkte sich gemäss der Studie positiv auf die Ungleichheiten der Lernerfolge zwischen schwächeren und stärkeren Schülern aus.
Das kann ich nachvollziehen. Schwächere Schüler stammen oft aus bildungsfernen Schichten, in denen digitale Geräte vermehrt zur Unterhaltung genutzt oder Kinder vor dem Fernseher quasi ruhig gestellt werden. Deshalb stellen sie für diese Schüler später eine grössere Ablenkungsquelle dar. Umso wichtiger ist es, dass sie einen bewussten Umgang damit möglichst früh in der Schule lernen.
«Handys an die Schule!», würden Sie also skandieren?
Vielleicht eher «bewusster Einsatz von Handys an der Schule». Dies von mir aus schon im Kindergarten. Von einem Kind, das weiss, dass es eine Duden-App gibt, zu verlangen, dass es Bücher wälzen soll, macht nicht viel Sinn.
Die Duden-App, ok. Wo bringt das Smartphone sonst noch Vorteile für den Unterricht?
Apps wie Socrative erlauben es der Lehrperson, direkt bei jeder Schülerin oder jedem Schüler zu überprüfen, ob sie eine einfache Frage beantworten können. Auch der demokratische Beamer ist die Zukunft: Nicht nur die Lehrperson kann Digitales zeigen – jeder Bildschirm kann allen vorgeführt werden. Darüber hinaus gibt es Apps für jedes Bildungsanliegen: Mit DragonBox beispielsweise können schon Kinder lernen, mit Variablen zu rechnen und Gleichungen aufzulösen. Sowas geht heute nur noch digital.
Wie sieht es in der Schweiz aus? Sind Smartphones in den Schulen verboten?
Schweizer Schulen sind im internationalen Vergleich recht liberal. An Volksschulen sind Smartphones meist unsichtbar, werden aber als Lernressource genutzt. Schulen, die wiederholt auf Probleme mit Cybermobbing reagieren müssen, tendieren schneller zu einem kompletten Verbot.
Dürfen die Kinder in Ihrem Unterricht jederzeit zum Handy greifen?
Natürlich nicht. Es gibt Unterrichtsphasen, in denen es eingesetzt wird und Phasen, in denen es unberührt bleibt. Ausserdem rege ich Diskussionen über den Medienkonsum an und integriere beispielsweise neue Erzählformen auf YouTube in meinen Unterricht über klassische Literatur.
Trotzdem, die Verführung während dem Unterricht zu chatten, ist gross.
Handys bergen genau die gleiche Ablenkungsgefahr wie Schwatzen oder Briefbotschaften-Verschicken. Lehrer sind sich gewohnt, mit solchen Störfaktoren umzugehen. Den Umgang mit smarten Geräten sind sie sich nur leider etwas weniger gewohnt.
Es sind also die Lehrpersonen, die von der Entwicklung überfordert sind?
Ja. Obwohl eigentlich Konsens in der Medienpädagogik herrscht, dass neue Technologien eine grosse Chance fürs Lernen bedeuten, ist die Unsicherheit sehr gross. Wir erleben gerade, wie sich sogar die Funktion der Konzentration wandelt: Jugendliche lernen mit Smartphones, mehrere Reize miteinander zu kombinieren und sich nicht exklusiv auf einen zu fokussieren. Mancherorts orientiert sich der Unterricht aber stark an einer traditionellen Vorstellung von Konzentration.
Was ist die Konsequenz daraus?
Dass Menschen, die gekonnt multitasken, bei Tests häufig schlechter abschneiden, ohne allerdings weniger gelernt zu haben oder weniger intelligent zu sein: Ihr Hirn hat sich einfach an ein neues mediales Umfeld gewöhnt, das in Zukunft unseren Alltag prägen wird.
Können Sie ein Beispiel nennen, wie sich unser Hirn an die neuen Medien anpasst?
Unser Hirn merkt sich, dass es reines Faktenwissen wie beispielsweise das Höchstalter von Schildkröten nicht speichern muss, weil es jederzeit per Handy abgefragt werden kann. Es speichert also eher die Speicherorte als den Inhalt.
Dann werden wir ja doch blöder.
Im Gegenteil. Wir erwerben neue Kompetenzen, denken dynamischer, stellen schneller Zusammenhänge her und können Haupt- und Nebenreize gleichzeitig verbinden. Es war zudem noch nie so wichtig wie heute, sich sprachlich präzise ausdrücken zu können – davon hängt ab, wie wir von anderen wahrgenommen werden. Kinder und Jugendliche sind sprachlich und auch gestalterisch enorm kreativ und leben und üben das auch digital.
Bringt man dermassen reizverwöhnte Kinder noch dazu, einen langen Text zu lesen oder eine mühsame Arbeit zu schreiben?
Da sehe ich eine Herausforderung. Es besteht die Tendenz, dass Kinder heute weniger Geduld fürs Lernen aufbringen und es als schwierig wahrnehmen, wenn das Feedback für Geleistetes nicht unmittelbar ausfällt. Auf sozialen Medien erhält man für jeden Input sofort einen Like. Lange, mühsame Arbeit lohnt sich erst sehr viel später.
Warum gibt es an der Schule immer noch eine ablehnende Haltung neuen Technologien gegenüber?
In der Bildungswelt bewerten viele Menschen Neuerungen aufgrund ihrer eigenen Schulerfahrungen. Würde diese durch ein neues Modell abgelöst, entwertete sich in ihrer Vorstellung ihre Ausbildung, der sie viel zu verdanken haben. Ganz generell führen digitale Medien durch ihre Geschwindigkeit, die Kameras und die Möglichkeit der verlustfreien Kopie zu einem Kontrollverlust. Lehrpersonen merken beispielsweise, dass findige Schülerinnen und Schüler ihre Prüfungen fotografieren und sie nicht mehr jedes Jahr dieselben Fragen stellen können.
Die Lehrer fürchten also, die Kontrolle zu verlieren?
Ja. Und dieser Kontrollverlust ruft Ängste und Unsicherheiten hervor. Er stellt den Status der heute Erfolgreichen infrage. Nehmen Sie das schon genannte Beispiel Faktenwissen: Mit dem Handy weiss die Klasse schlicht mehr als der Lehrer. Damit muss er umgehen können.