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Schneefall im Mai: So reagierten die Schweizer 1892 darauf

Berichterstattung Schweiz
Schweizer Soldaten kämpfen sich 1892 über den Rawil- und Gemmipass im Wallis. Bild: NZZ

Diese 7 uralten Zeitungsartikel zeigen, was die Schweiz von Schnee im Frühling hält 😡

Der Sonntag bescherte der Schweiz nochmals Schnee – und das im Mai. Es ist nicht das erste Mal, dass die Schweiz so spät im Frühling noch überrascht wird. Gefallen hat das den Schweizern aber noch nie.
06.05.2019, 19:4406.05.2019, 20:03
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Rekord-Schneefall im Mai: In Bern fielen am Sonntag vier, in St.Gallen gar 19 Zentimeter Neuschnee. Solche Wintereinbrüche sind in der Schweiz genau so selten wie unbeliebt. Das zeigt ein Rückblick auf die letzten 130 Jahre:

11. April 2003: «Nächste Woche brauchen wir unbedingt besseres Wetter»

Mit einer dicken Schneedecke und anhaltenden Schneefaellen wurden am Mittwoch, 9. April 2003 die Luzerner ueberrascht. Der Schirm und warme Kleidung mussten wieder hervorgeholt werden. Die Schneefaell ...
2003 wurden die Schweizer von Schnee im April überrascht.Bild: KEYSTONE

2003 schneite es zwar nicht im Mai, dafür im April. Und das sogar in der Stadt Basel. Die Rheinstadt hat selten noch so spät im Frühling Schnee. Vor rund 15 Jahren deutete man den späten Schneefall aber positiv: «Wenn der April Spektakel macht, gibt's Hen und Korn in voller Pracht», meint der Oberbaselbieter Landwirt Peter Degen in der Ausgabe der Basler Zeitung am Folgetag der Schneefälle.

Das Zofinger Tagblatt befragte nach dem neuerlichen Wintereinbruch seine Leser nach Reaktionen. Tennisspieler Mario Puppetti und Vater Richard Bachmann waren gar nicht begeistert:

«Eine wirklich trostlose Sache. Am letzten Dienstag spielte ich noch Tennis, doch am Mittwochmorgen lag der ganze Platz unter einer Schneedecke. Dies habe ich noch nie erlebt. Ich habe natürlich sofort ein Foto gemacht und dieses gleich nach Neuseeland übermittelt.»
Mario Puppetti, Rothrist
«Dieser Wetterumschwung hat mich sehr gestört. Man musste wieder wärmere Kleider hervorholen, weil sich völlig unerwartet wieder winterliches Klima einstellte. Nächste Woche brauchen wir unbedingt besseres Wetter, weil wir mit unseren Kindern etwas unternehmen möchten.»
Richard Bachmann, Zofingen

28. April 1985: «Wenn der April bläst rauh ins Horn...»

Bundesrat Otto Stich, Mitte, nimmt bei Schneegestoeber und Kaelte am 28. April 1985 in Stans, Kanton Nidwalden, an der Landsgemeinde teil. (KEYSTONE/Str)
Bundesrat Otto Stich, Mitte, nimmt am 28. April 1985 bei Schneegestöber in Stans (NW) an der Landsgemeinde teil.Bild: KEYSTONE

Noch etwas später schneite es in der Schweiz im Jahr 1985. Auch damals wurde die Stadt Basel von einer späten Wetterrückkehr überrascht. Die Bauern nahmen es gelassen, die Bienen weniger:

«Gelassenheit herrscht zurzeit noch bei den Bauern, wie Vizedirektor Josef Wüest vom Schweizerischen Bauernverband erklärte. Er hofft, dass auch die Kirschbäume heil davongekommen sind; die kalten Nächte gäben Anlass zur Befürchtung, dass ein Teil der Kirschenernte erfroren ist. Zudem spürten die Bienen wenig Lust auszufliegen und die Blüten zu bestäuben. Trost verheisst die alte Bauernregel: ‹Wenn der April bläst rauh ins Horn, so steht es gut um Heu und Korn.›»
sda-Meldung vom 29. April

1. Juni 1962: 30 Kilometer Stau am Gotthard

Vor über 50 Jahren schneite es sogar mal im Juni. Der Gotthardpass musste geschlossen werden und die SBB waren total überfordert. Die Hoteliers im Urnerland hat's gefreut:

«Der unerwartete Schneefall vom 1. Juni bis in den Talboden von Altdorf hinunter brachte dem Gotthard eine Schneedecke von einem halben Meter. Wegen Lawinengefahr musste der Pass schließlich gegen 17 Uhr für jeden Verkehr geschlossen werden. Die Bundesbahnen waren auf dieses Ereignis nicht vorbereitet und verfügten anfänglich nicht über genügend Wagenmaterial für den Autotransport durch den Tunnel.»

«Zeitweise reichte die Autoschlange bis nach Wassen hinunter. Viele Automobilisten waren genötigt, im Urnerland zu übernachten, so daß am Freitagabend bis nach Flüelen hinunter sozusagen das letzte Hotelbett besetzt war.»
NZZ vom 1. Juni 1962
Gotthard Stau 1954
So könnte die Kolonne ausgesehen haben. Auf dem Foto wird ein alltäglicher Reiseverkehrsstau aus dem Jahre 1954 am Gotthard gezeigt.Bild: Staatsarchiv Uri

Stau vor dem Gotthardpass bis nach Flüelen? Laut Google Maps entspricht das einer Blechlawine von etwa 30 Kilometern. Da war der diesjährige Osterstau ein Kindergeburtstag dagegen.

Die Betreiber des Flughafens Kloten entschieden sich daraufhin «schweren Herzens» dazu, die Start- und Landepisten zu schliessen. Die vier Maschinen, die den Flughafen in den besagten sieben Stunden anfliegen wollten, mussten umdrehen oder weiterfliegen, schrieb die NZZ damals.

29. Mai 1961: Der Rückblick im Rückblick

Winter 1961
Das Wetter spielte zu Beginn der 60er-Jahre in Europa verrückt. Bild: NZZ

Die 60er-Jahre waren verrückt. Nicht nur 1962, sondern auch 1961 bescherte Petrus den Schweizern eine späte Rückkehr des Winters. Damals schneite es in Zürich am 29. Mai zum letzten Mal:

«Der Montagmorgen brachte für Zürich und Umgebung einen schweren Kälteeinbruch. Trotzdem uns nur noch wenige Wochen von der Sommersonnenwende trenne, fiel in der Stadt der Regen mit Schnee vermischt, und an den Hängen des Zürichberges und Uetliberges wirbelte der Schnee zur Erde, als ob es wieder Winter werden wollte.»
NZZ vom 29. Mai 1961

Ein Rückblick von damals zeigt, dass es sich beim späten Schneefall von 1961 nicht um den spätesten Schnee in Zürich handelte:

«Seit der Einführung der regelmässigen Wetterbeobachtungen im Jahre 1864 ist der Schneefall von Montag jedoch nicht der späteste des Jahres. Am 31. Mai 1873 schneite es strichweise etwa bis 500 m ü. M. Für die Kulturen war aber besonders der Schnefall vom 23./24. Mai 1908 recht verheerend. Damals wurde in Zürich eine Schneedecke von 10 cm Höhe gemessen. Auch am 23./24. Mai 1867 ist in der Zürich Schneefall aufgetreten.»
NZZ vom 29. Mai 1961

2. Mai 1945: In Europa ist es «vermutlich» wieder Winter

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Bild: NZZ

Sechs Jahre Krieg fanden im Mai 1945 ihr Ende. Die Schweiz und weitere Teile Westeuropas erlebten zum Ende des Krieges noch eine kurzfristige Rückkehr des Winters. Wegen den Kriegswirren erhielten die Meteorologen in der Schweiz keine Daten mehr aus dem restlichen europäischen Raum und mussten spekulieren:

«Zwei Kaltlufteinbrüche innerhalb von acht Tagen haben das drei Wochen hindurch ungewöhnlich günstig gewesene Witterungsbild von Grund aus umgestaltet und dem April einen höchst unerfreulichen Ausgang, dem Mai einen keineswegs bessern Auftakt gegeben. Vermutlich herrschen auch gegenwärtig im gesamteuropäischen Raum derartige Zirkulationsverhältnisse.»
NZZ, 2. Mai 1945

Sechs Tage später kapitulierte Nazi-Deutschland vor den Alliierten, der 2. Weltkrieg war zumindest auf europäischem Boden zu Ende.

28. Juli 1926: Die strammen Rekruten von 26 schleppen Kanonen durch den Schnee

Zugegeben, am 28. Juli gab es keinen Schnee bis ins Flachland. Doch wir Schweizer sind ja auch gerne in den Alpen unterwegs und dort hat es überraschend geschneit. Die strammen Rekruten der Gebirgsartillerie im Wallis dürften wenig Begeisterung gezeigt haben. Sie mussten ihre Kanonen durch den frischen Schnee über den Gemmi sowie den Rawilpass zurück nach Sitten schleppen:

«Eine prächtige Leistung vollbrachte die in Sitten soeben zu Ende gegangene Gebirgsartillerie-Rekrutenschule. In sechs Etappen legte sie die Route Sitten-Leukerbad-Gemmi-Randersteg-Frutigen-Adelboden-Sabnenmoos-Gent-Rawil-Sitten zurück. Besonders schwierig gestaltete sich der Geschütztransport über den schneebedeckten Gemmi- und den Rawilpass.»
Schweizer Illustrierte vom 28. Juli 1926
Berichterstattung Schweiz
So sah das damals in der Schweizer Illustrierten aus.Bild: schweizer illustrierte

Ein Weg vom Rawilpass zurück nach Sitten ist auf Google Maps heute nicht einmal mehr eingezeichnet. Insgesamt bestritten die Rekruten laut Google Maps Höhenunterschiede von 3000 Metern. Sie transportierten also quasi eine Artilleriebatterie aufs Schweizer Schilthorn und wieder runter.

Ebenfalls überrascht wurde ein Postautofahrer auf dem Weg zum Hospiz auf dem Grimsel. Ein NZZ-Journalist, der mit ebendiesem Postauto unterwegs war, bewunderte den Einsatz des Beamten:

«Die Schutzscheibe war trotz Wischer fast nicht klar zu halten. Der Postbeamte sass bei aller Unbill zeitweise auf dem Kühler, um dem Kernel von aussen her die Scheibe zu reinigen. Ein Lob gebührt den Kraftwagenführern und dem begleitenden Beamten, die bei Aufopferung aller Kräfte alles taten, um ihrer mühsamen Verantwortung gerecht zu werden.»
NZZ vom 29. Juli 1926

7. Mai 1892: Man rette die Kartoffeln!

Berichterstattung Schweiz
Bild: NZZ

Wie sich ein Mai-Wintereinbruch im 19. Jahrhundert auf die Schweiz auswirkte? So:

«Bis zur Stunde wehten noch keine Lüfte, wie man sie für den Monat Mai erwartet. Täglich hatten wir seit Anfang dieses Monats Schnee oder Reif am Morgen. Es ist gut, dass die Kartoffeln und Bohnen noch nicht ihre Köpfe streckten, sonst wäre ihnen bei dieser Witterung übel mitgespielt worden.

In den Ziegeleien, welche schon seit einigen Wochen im Betriebe sind, mussten von 2 Uhr Morgens an extra Feuer unterhalten werden, damit die frisch erstellte Ware nicht zu Grunde gehe. Auch auf den Heudielen sieht es der Jahreszeit gemäss armselig aus, indem an den meisten Orten die Vorräte zur Neige gehen und darum wurde auch vielerorts schon mit der Grünfütterung, zum Theil wenigstens, begonnen.

Man hat auch so wieder früher zweiten Schnitt Gras, was bei uns, wo der Kleebau mit dem Getreidebau naturgemäss zurückgehen musste, wichtig ist. Wenn der kalte Nordost bald vom Föhn zurückgetrieben wird und der Schnee wenigstens in den unteren Regionen der St. Galler und Balmerberge schmiltz, so kann sich noch Alles zum Guten wenden, aber auch hier heisst es: ‹Wer wartet, der blanget.› (Sinngemäss: Wer wartet, der bangt, Anm. d. Red.)»

Der Mai bringt Neuschnee

Video: srf

So viel Schnee leigt am 5. Mai 2019 in der Schweiz:

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So viel Schnee leigt am 5. Mai 2019 in der Schweiz
Historische Schneemenge im Mai: In Bern liegen am 5. Mai 2019 4 Zentimeter Schnee.
quelle: keystone / alessandro della valle
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9 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Joe Smith
06.05.2019 20:13registriert November 2017
Zum 28. Juli 1926: Wandert die Watson-Redaktion tatsächlich im Hochgebirge nach Google Maps? Geheimtip: Es gibt auch die offiziellen Karten von Swisstopo. Auf diesen findet man sogar diesen Weg.
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Joe Smith
06.05.2019 20:19registriert November 2017
Zum 7. Mai 1892, letzte Zeile: «Blange» heisst nicht bangen, sondern sowas wie «sehnsüchtig auf etwas warten». (Anm. d. Komm.)
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«Energiewende ja, aber nicht so!»: Naturfreunde gegen das Stromgesetz
Ein Naturkomitee mit illustren Namen bekämpft das Stromgesetz. Und malt den Teufel an die Wand: Bei einem Ja würden Landschaften durch Solarparks und Windräder zerstört.

Für die Befürworter ist das neue Stromgesetz ein ausgewogener Kompromiss. Im Parlament wurde die auch Mantelerlass genannte Monstervorlage mit grossem Mehr verabschiedet. Anfangs sah es so aus, als ob es kein Referendum geben würde. Dann bildete sich ein «Naturkomitee» und schaffte es, die nötigen Unterschriften aufzutreiben.

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