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Wie ein Zürcher Stadtpolizist den letzten Posträuber in Miami aufspürte

Domenico S i l a n o, geb. 28. April 1973, ist einer der fuenf Postraeuber vom 1.9.97. Signalement - 175 cm gross, dunkelbraune, vermutlich kurze Haare, ovale Kopfform, grosse Nase, braune Augen, Mutt ...
Gangster mit Stil: Posträuber Domenico Silano auf Fahndungsfotos.Bild: KANTONSPOLIZEI ZUERICH

Wie ein Zürcher Stadtpolizist den letzten flüchtigen Posträuber in Miami aufgespürt hat

Vor 25 Jahren erbeuteten fünf Kleinkriminelle in Zürich 53 Millionen Franken. Der Fahrer der Bande war am längsten auf der Flucht und tauchte in den USA unter. Chronologie einer Verfolgungsjagd.
28.08.2022, 08:3828.08.2022, 11:37
Andreas Maurer / ch media
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Nur drei Minuten dauert der Überfall auf die Fraumünsterpost in Zürich, der als Jahrhundert-Postraub in die Geschichte eingeht. Montag, 1. September 1997, 10.37 Uhr: Ein weisser Kleintransporter, ein Fiat Fiorino, hält vor dem vergitterten Einfahrtstor der Post. Am Steuer sitzt der 24-jährige Italiener Domenico Silano, neben ihm der Chef der Bande, der 32-jährige Libanese Elias Allabdullah. Im Laderaum verstecken sich drei Komplizen unter einer Decke.

Sie haben die Tat minutiös geplant. Ein Postangestellter hat ihnen verraten, dass ein Geldtransporter 70 Millionen Franken abholt. Sie wissen auch, dass einfahrende Fahrzeuge entgegen den Vorschriften nicht kontrolliert werden.

Silano drückt auf den Knopf der Gegensprechanlage. Eine Stimme ertönt: «Ja, hallo, was gibt’s?» Silano: «Telecom, technischer Dienst. Wir kommen wegen einer Reparatur in der Telefonzentrale.» Hinter dem Fahrzeug schliesst sich das äussere Schleusentor. Dann öffnet sich das innere Tor.

Die Täter lassen eine grosse Summe zurück

Silano steuert den Wagen zum Geldtransporter, der vor der Rampe steht, um sieben Holzkisten einzuladen. In jeder befinden sich 10 Millionen Franken, die zur nahen Nationalbank gebracht werden sollen. Mit vier Pistolen und einer Kalaschnikow bedrohen die Gangster die Angestellten. Diese müssen sich auf den Boden legen. Sie stehen Todesängste aus. Sie wissen nicht, dass die auf sie gerichteten Waffen ungeladen oder Attrappen sind. Einige werden noch monatelang unter der Traumatisierung leiden.

Im Fiat Fiorino haben nur fünf Kisten Platz. Die Täter müssen deshalb 20 Millionen zurücklassen. Die erbeutete Summe ist dennoch einzigartig: 53 Millionen Franken.

Die Täter haben sich mit der Hilfe ihres Insiders bei der Post einen Schlüssel für das Bedienungstableau der Schleuse nachmachen lassen. Damit können sie die beiden Ausfahrtstore gleichzeitig öffnen.

Filmreifer Überfall: Kinoprojekt verzögert sich
Der Postraub kommt demnächst ins Kino. Das heisst es schon seit Jahren. 2013 kündigte die Zürcher Produktionsfirma Turnus Film AG eine Gaunerkomödie mit einem Budget von drei Millionen Franken an. Dani Levy wurde als Autor und Regisseur verpflichtet. Als Kinostart wurde Herbst 2014 genannt. Doch daraus wurde nichts.

Das Projekt ist aber noch nicht gestorben. Inzwischen fungiert Levy nur noch als Drehbuchautor. Die Regie soll nun Michael Steiner übernehmen. Als Kinostart ist aktuell das Jahr 2024 geplant. Der Titel lautet «Das Geld und das Glück». Viel mehr steht aber nicht fest. Steiner teilt mit: «Da ist leider noch nix spruchreif. Immer noch in Entwicklung.» Als Grund für die vielen Verzögerungen nennt er andere Projekte seinerseits und die Verfügbarkeit von Levy.

Im Fernsehen ist der Postraub allerdings bereits zu sehen. SRF hat vor zwei Jahren unter der Regie von Wendy Pillonel ein Dokudrama gedreht, das nun zum 25. Jahrestag der Tat wieder im Programm ist.

Um 10.39 Uhr geht der Notruf bei der Stadtpolizei Zürich ein. Um 10.41 Uhr treffen die ersten Streifenwagen am Tatort ein. Der weisse Fiat Fiorino ist bereits verschwunden.

Die erste Spur, welche die Ermittler finden, ist ein Plastiksack mit Kabelbindern und Fotos der Sicherheitseinrichtungen, der aus dem Fiat gefallen ist. Auf einer Aufnahme stellen die Ermittler einen Fingerabdruck von Bandenchef Allabdullah sicher.

Ermittlerpech: Die Polizei sucht das falsche Auto

Die Fahndung beginnt allerdings mit mehreren Flops. Ein Sicherheitschef der Telecom, der den Überfall aus einem Fenster beobachtet, beschreibt das Tatfahrzeug als Fiat Ducato statt Fiorino. Die Polizei fahndet deshalb nach dem falschen Autotyp. Zudem sind die Aufnahmen der Videokameras der Post kaum brauchbar: Die frisch installierten Kameras sind falsch positioniert. Obwohl die Täter unmaskiert waren, ist keiner auf den Bildern identi­fizierbar.

Die Bande hat jedoch nur die erste Phase der Flucht vorbereitet. Für die Zeit danach fehlt ihr ein Plan. Die Täter trennen sich und wollen irgendwo im Ausland untertauchen. 19 Millionen Franken verstecken sie im Kleiderschrank einer Freundin, wo die Polizei schon fünf Tage nach dem Überfall eine Hausdurchsuchung macht. Den Tätern wird zum Verhängnis, dass sie zu viele Leute in ihren Plan eingeweiht haben.

Alle Posträuber werden bald geschnappt – ausser einer

Bei der Polizei gehen viele Hinweise ein und es gelingt ihr, innert kurzer Zeit alle Bandenmitglieder zu verhaften – bis auf einen: Domenico Silano. Im Gegensatz zu seinen Kollegen kann er sich eloquent ausdrücken und sich eine neue Identität aufbauen.

Die Gemeinsamkeit der Bandenmitglieder: Alle sind Secondos und haben es in ihrer Migrationsgeschichte nicht geschafft, ihre Träume zu verwirklichen. So wurden sie zu Kleinkriminellen. Die meisten sind wortkarge Typen. Silano ist anders. Als Einziger hat er ein gewisses schauspielerisches Talent. So schafft er es unerkannt bis in die USA, wo er als «Alberto Sipone» in Miami ein neues Leben beginnt.

Er unterschätzt dabei aber die Einsamkeit eines Neuanfangs. Er kennt niemanden und niemand kennt ihn. Er bleibt deshalb mit seiner Freundin in der Schweiz in Kontakt, obwohl er wissen muss, dass die Zürcher Polizei sich für sie interessiert. Ein Ermittler baut über Monate eine Beziehung zu ihr auf. Sie beteuert zwar, nichts mehr mit Silano zu tun zu haben und nichts über sein Versteck zu wissen. Der Polizist zweifelt daran, widerspricht ihr aber nie, um ihr Vertrauen zu gewinnen.

Eine spezielle Rolle spielt dabei die Mutter von Silanos Freundin. Sie hat Mühe damit, dass ihre Tochter mit einem Posträuber liiert ist, und meldet der Sonderkommission eine merkwürdige Handyabrechnung ihrer Tochter. Darin sind Kosten für SMS in die USA aufgeführt.

Die Polizei bittet die Mutter darauf um psychologische Mithilfe. Sie soll ihre Tochter überzeugen, dass es am besten sei, sich der Polizei anzuvertrauen. Die Aktion zeigt Wirkung. Bei ihrem nächsten Kontakt mit dem Zürcher Polizisten erzählt Silanos Freundin alles. Ja, sie habe ihre Ferien bei ihm in Miami verbracht. An die Adresse könne sie sich zwar nicht erinnern, da sie von einem Komplizen zu ihm gebracht worden sei. Sie liefert aber eine grobe Beschreibung: Silano wohne in einem dreistöckigen Mehrfamilienhaus mit einem grünen Zaun und einem Pool im Innenhof. Fünf Fussminuten entfernt befinde sich ein Einkaufszentrum mit einem Palmengarten und einem Modegeschäft, das nur weisse Kleider verkaufe. Und etwa zehn Fussminuten entfernt liege die Villa des kurz zuvor ermordeten italienischen Modedesigners Gianni Versace.

Internationale Polizeiarbeit dank persönlicher Kontakte

Die Zürcher Ermittler haben Glück. Ein Mitglied der Sonderkommission, ein Kriminalbeamter der Zürcher Stadtpolizei, kennt sich in Miami aus. Er hat aus Eigeninitiative einen dreimonatigen Stage bei einer nationalen Sondereinheit in Miami absolviert. Der Zürcher Stadtpolizist meldet sich bei seinen Ex-Kollegen in Miami, denen es in Kürze gelingt, das beschriebene Einkaufszentrum zu lokalisieren.

Die Sondereinheit in Miami bietet spontan zehn Fahndungsteams und zwei Polizeihelikopter auf, die sie den Zürcher Ermittlern zur Verfügung stellt. Die Helikopter fliegen das Quartier ab und suchen nach dreistöckigen Gebäuden mit Pool. Die Teams am Boden umstellen die Liegenschaften und durchsuchen sie. Doch Silano bleibt tagelang unauffindbar.

Zürcher Ermittler gehen in Miami von Tür zu Tür

Erwischt wird er schliesslich durch Zufall. Der Zürcher Stadtpolizist, der sich in Miami weiterbilden liess, ist mit einem Kollegen in die USA geflogen, gemeinsam gehen sie mit Silanos Fahndungsfotos von Tür zu Tür. In einem Haus, das eigentlich nicht zur Beschreibung passt, treffen sie in einem Korridor auf einen Mann, der den Typen auf dem Foto erkennt. Dieser wohne in einem unscheinbaren Nebengebäude in einer Einzimmerwohnung.

Minuten später umstellt die Sondereinheit von Miami das Gebäude. Ein Helikopter kreist in der Luft. Dabei erkennt die Polizei, dass sich im Innenhof vor der Einzimmerwohnung tatsächlich ein Pool befindet. Über Megafon wird Silano aufgefordert, die Wohnung zu verlassen und die Waffe auf den Boden zu legen. Er öffnet die Türe und wird vom Zürcher Stadtpolizisten festgenommen. Silano glaubt, es handle sich um einen US-Cop, und sagt: «Good job, man.» Er sagt aus, er sei erleichtert, dass das Versteckspiel nach drei Monaten nun zu Ende gegangen ist.

Domenico Silano, einer der Taeter im Zuercher Jahrhundert-Postraub, wird am Mittwoch, 7.Juni 2000 ins Zuercher Obergericht gefuehrt. Sieben Maenner, die am Fraumuenster Postraub beteiligt waren, muess ...
Domenico Silano auf dem Weg zum Zürcher Obergericht.Bild: KEYSTONE

Etwas mehr als ein Jahr später wird Silano in die Schweiz ausgeliefert. Der Zürcher Stadtpolizist, eine Polizistin und der Staatsanwalt Rolf Jäger bringen ihn auf einem Linienflug nach Zürich. Jäger ist der Mann, der die Posträuber vor Gericht anklagt. Die Täter kommen mit relativ kurzen Freiheitsstrafen davon. Silano wird zu vier Jahren und neun Monaten verurteilt.

Von den 53 Millionen Franken findet die Polizei nur die Hälfte. 8 Millionen wurden nach Italien transferiert und dürften der Mafia in die Hände gefallen sein. Den Rest vermuten die Zürcher Ermittler im Libanon, wo ein Rechtshilfeverfahren jedoch versandet.

Silano inszeniert sich nach der Haftentlassung als Gangster mit Stil. Er präsentiert sich im Anzug, mit nach hinten gegelten Haaren, und schreibt mit Hilfe eines Journalisten ein Buch, in dem er sich geläutert gibt. Kurz darauf wird er jedoch wieder verurteilt, weil er einen Überfall auf Geldkuriere der UBS geplant hat. Er erhält daher einen Landesverweis. Heute wohnt der 49-Jährige wieder bei seiner Mamma in Italien. (bzbasel.ch)

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quelle: keystone / walter bieri
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33 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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namib
28.08.2022 17:39registriert März 2018
Das Highlight war die Mazda-Werbung in den Zeitungen kurz nach dem Postraub😊
Wie ein Zürcher Stadtpolizist den letzten flüchtigen Posträuber in Miami aufgespürt hat\nDas Highlight war die Mazda-Werbung in den Zeitungen kurz nach dem Postraub😊
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Hierundjetzt
28.08.2022 09:02registriert Mai 2015
Und was ist jetzt mit dem Insider? Wurde der jemals erwischt?
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Bits_and_More
28.08.2022 11:22registriert Oktober 2016
Es gibt dazu eine gute SRF Doku.
Spannend ist ja, dass kein Täter glücklich wurde. Da hat man zwar zig Millionen, aber muss sich in einer Einzimmerwohnung in Miami über Monate verstecken.
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