Die ganze Aviatik steht still. Die ganze Aviatik? Nein! Eine kleine Gruppe unbeugsamer Passagiere hört nicht auf, der Coronavirus-bedingten Flugflaute Widerstand zu leisten. Doch wer wagt sich derzeit überhaupt, ein Flugticket zu kaufen? Das «Wall Street Journal» ging kürzlich dieser Frage nach. Denn trotz dem weltweiten Grounding der meisten Airlines heben weiterhin einige halbleere oder komplett leere Passagierflugzeuge ab.
Die renommierte US-Wirtschaftszeitung verweist auf einen Inland-Flug von New York nach Albuquerque mit gerade mal sieben Passagieren an Bord. Auf einem Flug von New York nach New Mexiko, der Platz für 200 Personen an Bord hätte, seien es neulich sogar nur sechs Passagiere gewesen. Die Airline Jetblue habe den Flug dennoch durchgeführt, nachdem sie erfahren habe, dass es sich um Mediziner handelte, die im «Big Apple» im Kampf gegen die Pandemie mithelfen.
Laut dem «Wall Street Journal» halten die Airlines zum Teil am Flug fest, wenn bedeutende Kunden an Bord seien, aber auch wenn jemand zu einer Beerdigung oder einer Geburt fliegen muss. Manche US-Airlines dürften sich vor dem Imageschaden fürchten, wenn sie in diesen Fällen einen Flug kurzfristig absagen.
Es sind aber nicht bloss moralische Überlegungen, welche die Airlines zum Fliegen zwingen. Im Gegenteil. Denn viele US-Airlines haben im Rahmen des «Cares Act» Bundesgelder erhalten, um in der Coronakrise überleben zu können. Das Geld ist allerdings an eine Bedingung geknüpft: Die Fluggesellschaften müssen ihre bisherigen Destinationen weiterhin anfliegen, solange sie Subventionen erhalten –egal, wie voll die Flieger sind. Das US-Department of Transportation hiess nur einige wenige Ausnahmegesuche gut.
In Europa hingegen sanken die Passagierzahlen allein im April um 98,6 Prozent, wie neuste Zahlen des Branchenverbands ACI Europe zeigen. In diesem Monat reisten nur 2,8 Millionen Menschen per Flugzeug in Europa, gegenüber 205 Millionen im Vorjahresmonat. Am Flughafen Zürich verkehrten so wenige Passagiere wie seit 68 Jahren nicht mehr.
Die Swiss bietet derzeit 3 Prozent ihres ursprünglichen Angebots an. Das sind 28 Flüge pro Woche ab Genf und Zürich nach London, Amsterdam, Berlin, Lissabon, Stockholm, Porto und Athen sowie New York auf der Langstrecke. Wie tief die Auslastung auf diesen Flügen ist, verrät ein Swiss-Sprecher nicht. Nur: «Sie liegt deutlich unter derjenigen, die wir in regulären Zeiten verzeichnen.» Über die Motive der verbliebenen Passagiere könne man keine Auskünfte geben.
Die Erklärung, weshalb die Swiss just diese acht Destinationen aufrecht erhält, bleibt vage. Eine Verpflichtung von der Regierung, welche der Swiss mit Bundesgarantien hilft, gebe es nicht, so wie das in den USA der Fall ist. Die Auswahl der Ziele habe mit den unterschiedlichen Einreisebestimmungen und wirtschaftlichen Überlegungen zu tun. Zudem wolle man die Anbindung der Schweiz an die Welt so gut wie möglich gewährleisten.
Deutlich bedeutender sind inzwischen für die Swiss die Cargo-Flüge geworden. Zu den Zielen, die bis Ende Mai teilweise mehrfach angeflogen werden, gehören Hong Kong, Tokio, Bangkok, Singapur, Johannesburg, Mumbai, Peking, Shanghai, Chicago, Toronto und São Paulo. Insbesondere aus Asien transportiert die Swiss dringend benötigte medizinische Güter in die Schweiz.
Die derzeitigen Flüge helfen zudem, dass die Piloten ihre Lizenz aufrechterhalten können. Denn normalerweise sind drei Starts und drei Landungen im Zeitraum von drei Monaten notwendig, entweder an Bord eines Flugzeuges oder im Flugsimulator. Da das Social Distancing im Simulator aber nicht möglich ist, finden derzeit laut Swiss nur «unmittelbar betriebsnotwendige» Simulator-Trainings statt, wobei die Piloten Schutzmasken tragen. Zudem habe sich die Europäische Agentur für Flugsicherheit dem Thema angenommen. Sie arbeitet an einer Lösung, um die Fristen für die Piloten-Lizenzverlängerung dank einer Ausnahmeregelung auszuweiten.
Reine Trainingsflüge ohne Passagiere führe man derzeit nicht durch, sagt der Swiss-Sprecher. Dies dürfte insofern auch noch nicht nötig sein, da die Kunden-Nachfrage nicht von 0 auf 100 steigen wird. Heisst: Der Swiss bleibt Zeit, um die Piloten gestaffelt wieder einzusetzen.
Ähnlich tönt es bei der Partner-Airline Helvetic Airways des Milliardärs Martin Ebner, dessen Flotte nach wie vor komplett gegroundet ist. Helvetic hat den eigenen Piloten verschiedene Kurse und Prüfungen online bereitgestellt, um die Verlängerung der Fluglizenz zu vereinfachen.
Bei der Billigairline Easyjet Switzerland, der Nummer 1 in Basel und Genf, und der britischen Muttergesellschaft Easyjet finden hingegen gleich mehrere Leerflüge statt. «Um sicherzustellen, dass die Flotte in einem flugtauglichen Zustand bleibt, werden wir bis Ende Mai etwa 350 Wartungsflüge durchführen.» Passagiere sind dabei nicht an Bord, sondern nur Piloten. Die Flüge dauern dem Vernehmen nach rund etwa 15 Minuten. Bei der Swiss heisst es, man prüfe derzeit, ob man ebenfalls Wartungsflüge durchführen werde.