Während grosse Teile der Schweiz in den vergangenen Wochen stillstanden, schufteten sie weiter. Sieben Tage die Woche, oft morgens bis abends. Die Bäuerinnen und Bauern stellten sicher, dass unsere Kühlschränke und Bäuche trotz Lockdown voll blieben. In der Krise schätzte die Schweizer Bevölkerung die Arbeit der hiesigen Landwirtschaft mehr als sonst: Hofläden und Bio-Produkte erlebten einen regelrechten Boom.
Doch während sich der Konsument mit gutem Gewissen ein Freiland-Spiegelei brät und dazu ein Glas Schweizer Apfelsaft einschenkt, sieht die Welt des Produzenten oft weniger idyllisch aus. Zehntausende von Bäuerinnen erhalten für ihre Mitarbeit auf dem Betrieb keine Entlöhnung und sind ungenügend bis gar nicht versichert.
Welch verheerende Konsequenzen das haben kann, erlebte Sarah Schädeli am eigenen Leib. Zusammen mit ihrem Mann betrieb sie während 17 Jahren einen Hof im bernischen Uettligen. Sie brachte drei Kinder auf die Welt, organisierte Caterings und Hochzeitsapéros und arbeitete in der Landwirtschaft mit. «Das war oft sehr schön, aber auch äusserst intensiv», sagt sie heute.
Für ihre Arbeit auf dem Hof erhielt sie jedoch nie einen Franken Lohn. Der Betrieb gehörte ihrem damaligen Mann. Dies bedeutete auch: Schädeli war nicht versichert. Ihr fehlte eine Arbeitslosenversicherung, eine Unfallversicherung, eine berufliche Vorsorge und die Mutterschaftsversicherung.
Rund 70 Prozent der schweizweit 45'000 Bäuerinnen gelten als «nicht erwerbstätig». Das sind rund 30'000 Personen, die von ihrem Partner abhängig sind.
Wie gross diese Abhängigkeit ist, erfuhr Schädeli spätestens, als es in ihrer Beziehung nicht mehr wie gewünscht lief. Ihr wurde klar, dass sie im Scheidungsfall mit leeren Händen dastehen würde. Dennoch entschied sie sich im Jahr 2015 für diesen Schritt. 17 Jahre hatte sich Schädeli rund um die Uhr um Hof und Kinder gekümmert. Nun stand sie plötzlich vor dem Nichts.
Die Entscheidung fällt vielen Frauen schwer. Denn die Trennung zieht nicht selten den Gang zum Sozialamt nach sich.
Bei Schädeli kam es zum Glück nicht ganz so knüppeldick. Dennoch sagt sie: «Unglaublich, dass in einem Sozialstaat wie der Schweiz so etwas möglich ist. Dass Leute, die wertvolle Dienste für das Land leisten, so fallen gelassen werden. Das ist ein grosser Missstand.»
Gegen diesen Missstand kämpft der schweizerische Bäuerinnen und Landfrauenverband (SBLV) an. «Wenn eine Frau in erheblichem Masse auf einem Betrieb mitarbeitet, dann ist es wichtig, dass sie eine angemessene Entschädigung bekommt», sagt Gabi Schürch-Wyss. Sie ist im Verband als Komissionspräsidentin für Familien und Sozialpolitik tätig.
Schürch-Wyss betont, dass nicht nur die finanzielle Situation schwierig ist, wenn man einen Hof zurücklassen will: «Man ist sehr verwurzelt mit dem Betrieb, den Tieren und der Natur.» Sie geht davon aus, dass viele Frauen wegen der finanziellen und emotionalen Komponente lange auf dem Hof ausharren, obschon die Beziehung nicht mehr stimmt.
Nun zeichnen sich erste Verbesserungen ab. Im Februar zeigte der Bundesrat in der Botschaft zur Agrarpoltik 22+ zum ersten Mal konkrete Massnahmen zur Absicherung der Partnerinnen oder Partner. Neu soll der Erwerbsausfall bei Unfall oder Krankheit versichert werden. Auch bei Invalidität und für den Todesfall braucht es in Zukunft eine Versicherung. Ebenfalls sollen die Ehepartner neu ein Vorkaufsrecht für den Hof erhalten.
Werden Bäuerinnen in Zukunft nicht richtig versichert, sollen als Sanktion die Direktzahlungen gekürzt werden.
Eine Absicherung sei psychologisch wichtig, meint Schürch-Wyss. Es sei eine Anerkennung der Arbeit. Dennoch spricht Schürch-Wyss, die zusammen mit ihrem Partner einen Hof im bernischen Kirchberg betreibt, lediglich von einer «Minimallösung». «Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber das ist sicher noch nicht das Ende. Die Diskussionen müssen weitergehen.»
Das Ziel soll gemäss Schürch-Wyss sein, dass jede Bäuerin, die in einem erheblichen Masse auf dem Hof mitarbeitet, einen Lohn erhält und somit etwa auch eine Mutterschaftsversicherung. Doch gegen verbindliche Regeln gibt es Widerstand.
Noch vor einem Jahr stimmte ein Grossteil der männlich dominierten Landwirtschaftskammer des Schweizerischen Bauernverbands (SBV) gegen obligatorische Versicherungen für Bäuerinnen.
Man sei sich des Problemes bewusst sagte, SBV-Präsident und CVP-Nationalrat Markus Ritter damals. Er forderte deshalb obligatorische Versicherungsberatungen bei Starthilfen und Investitionskrediten. Nicht aber obligatorische Versicherungen.
Als Schädeli dies hörte, platzte ihr der Kragen: «Wenn man Markus Ritter zuhört, dann ist das moderne Sklaverei, wie mit den Bäuerinnen umgegangen werden soll.»
Was waren die Bedenken des Bauernverbandes?
«In erster Linie waren wir kritisch, weil es grundsätzlich heute schon problemlos möglich ist, die Partnerin optimal abzusichern», schreibt der Bauernverband jetzt auf Anfrage. «Die Bäuerinnen müssen das in Eigenverantwortung einfach auch einfordern und mit ihren Partnern klären.»
Der Vorwurf der «modernen Sklaverei» will der Bauernverband nicht gelten lassen. Er entgegnet Frau Schädeli, dass jede Bäuerin es heute schon in der Hand habe, sich optimal abzusichern. «Ist es wirklich Sache des Staates dafür zu sorgen, dass die Frauen diese Angebote auch nutzen, respektive einfordern?» Die Lösungsmodelle seien alle vorhanden und würden bei fachlichen Beratungen auch empfohlen.
Nun liegt der Ball beim Parlament, der das Geschäft voraussichtlich in der Sommersession behandeln wird. Während man bei Schürch-Wyss und Schädeli eine gewisse Skepsis wahrnimmt, ob die Änderungen auch durchgewunken werden, heisst es seitens des SBV: «Wir rechnen damit, dass der aktuelle Vorschlag problemlos eine Mehrheit finden wird.»
Doch selbst wenn das Parlament die Vorschläge des Bundesrates absegnet, bleiben bei Schädeli Zweifel. Sie fragt sich, ob die Sanktionen und die Kontrollen genügen. «Ich kann mir gut vorstellen, dass gewisse Bauern eine Milchbüchli-Rechnung machen und sich sagen, dass sich der Aufwand für die Versicherungen nicht lohnt.»
Bis das neue System greifen soll, vergehen in jedem Fall noch vier Jahre. Ab 2022 ist eine zweijährige Übergangsfrist vorgesehen, in der die Betriebe Zeit haben, die entsprechenden Versicherungen abzuschliessen.
Deshalb rät Schürch-Wyss, dass sich Bäuerinnen, die sich Sorgen um ihr Absicherung machen, bereits heute beraten lassen. Etwa auf der Website des Bäuerinnen und Landfrauenverbands.
Auch Schädeli bietet den Betroffenen mittlerweile Hilfe an. Nach der Scheidung hat sie sich umorientiert, ein Studium in BWL und Wirtschaftspsychologie gemacht und arbeitet jetzt als Beraterin. «Ich will die Frauen dazu ermutigen, für Ihre Sache einzustehen.»
Der Kampf für mehr Anerkennung und Sicherheit für Bäuerinnen ist für Schürch-Wyss und Schädeli noch lange nicht zu Ende. Einfach dürfte ihr Unterfangen nicht werden. Einem obligatorischen Lohn für Bäuerinnen erteilt der Bauernverband schon mal eine Absage. Er schreibt: «Da stellt sich wiederum die Frage, warum die Bäuerinnen so etwas öffentlich verordnen wollen, statt es in den eigenen Beziehung und den jeweiligen Umständen zu klären.»
Nicht nur die Frauen, auch die ArbeiterInnen werden in der Landwirtschaft kurz gehalten. Schauen Sie doch die Arbeitsbedingungen von Erntehelfern an!