Da fühlte sich Ueli Maurer offensichtlich provoziert: Nachdem sich SP-Justizminister Beat Jans diese Woche in einem Gastbeitrag in der «NZZ» deutlich für den Abschluss eines neuen Vertragspakets mit der EU ausgesprochen hatte, griff der SVP-alt-Bundesrat selbst zur Feder. Ebenfalls in der «NZZ» warf er Jans eine «fast bösartige Verzerrung der Fakten» vor. Ueli Maurer ist alarmiert: Er befürchtet, dass der Wind in der Landesregierung gedreht habe. Der Bundesrat sei nun bereit, sämtliche EU-Forderungen, die bisher immer bestritten waren, zu übernehmen. Auf dem Spiel stehe die Unabhängigkeit der Schweiz, so Maurer.
Nur: Welchen EU-Forderungen die Schweiz wirklich bereit ist nachzugeben, steht gar noch nicht fest. Die seit März laufenden Verhandlungen mit Brüssel sind weit davon entfernt, abgeschlossen zu sein. Besonders im heiklen Bereich der Personenfreizügigkeit gibt es noch viel zu tun. Und hier hat nicht nur die EU Forderungen, sondern auch die Schweiz.
Eine davon lautet, einen Schutzmechanismus gegen eine übermässige Zuwanderung zu finden. Konkret: Die Schweiz will Massnahmen zur Einschränkung der Personenfreizügigkeit ergreifen können, wenn es zu negativen Effekten kommt. Es ist der inoffizielle Gegenvorschlag des Bundesrates zur 10-Millionen-Initiative der SVP, die beinahe gleichzeitig mit einem neuen EU-Paket zur Abstimmung kommen dürfte.
Im bestehenden Freizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der EU gibt es bereits eine solche Schutzklausel. Aber sie ist nur sehr vage formuliert und vor allem: Die Schweiz darf nur mit Zustimmung der EU Massnahmen ergreifen, was die Klausel faktisch wertlos macht.
In den Verhandlungen sucht die Schweizer Seite nun nach einem Weg, die Schutzklausel zu verschärfen. Dabei orientieren sich die Berner Verhandler offenbar an Regelungen, die die EU bereits mit anderen Drittstaaten getroffen hat. Zum Beispiel mit den Ländern des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR), die in ihrem Vertrag mit der EU aus dem Jahr 1992 ebenfalls eine Freizügigkeitsschutzklausel kennen. Sie ist präziser formuliert als jene der Schweiz.
Noch besser wäre aber der Schutzmechanismus im Assoziierungsabkommen zwischen der EU und den sogenannten «Mikrostaaten» Andorra und San Marino, welches vor einigen Monaten in Brüssel unterzeichnet wurde.
In Artikel 97 heisst es dort, dass im Fall von ernsthaften wirtschaftlichen, sozialen oder ökologischen Problemen in einer Branche oder in einer bestimmten Region eine Vertragspartei «einseitige» Schutzmassnahmen ergreifen könne. Die Betonung liegt aus Schweizer Sicht auf einseitig. So etwas hätte man auch gerne.
Der anderen Seite stünde es zwar frei, auf die Massnahmen mit eigenen Gegenmassnahmen zu reagieren. Diese müssen aber proportional sein und sich strikt darauf begrenzen, das entstandene Ungleichgewicht wieder abzubauen, worüber ein gemeinsames Schiedsgericht wachen würde.
Zweitens hat die EU-Kommission Andorra auch zugestanden, Quoten für den Zuzug von EU-Arbeitnehmern festzulegen. Konkret darf Andorra das Wachstum der Netto-Zuwanderung bezogen auf den vorangegangenen 5-Jahres-Schnitt auf bis zu 7 Prozent beschränken. Es handelt sich um eine Regel, die zwar Zuwanderung zulässt, aber deren Wachstum in einem gewissen Rahmen belässt.
Ob die Schweiz in den Verhandlungen solche Einwanderungsquoten anstrebt, ist ungewiss. Klar ist: Es dürfte schwierig werden. Die territorialen Gegebenheiten der Mikrostaaten wie Andorra mit seinen knapp 80'000 Einwohnern sind einzigartig und rechtfertigen eine Sonderlösung. Die Schweiz dagegen spielt von der Grösse und der Einwohnerzahl her in der Liga mittlerer EU-Staaten wie Belgien oder Österreich.
Zudem: Schon im Nachgang zur Masseneinwanderungsinitiative von 2014 biss die Schweiz während rund eineinhalb Jahren mit ihrer angestrebten Quotenlösung auf Granit.
Dass der Bundesrat mit irgendetwas aus den Verhandlungen zurückkommen muss, wenn er das neue EU-Paket gegen die SVP-Initiative verteidigen will, dürfte aber auch in Brüssel nicht unbemerkt geblieben sein. (aargauerzeitung.ch)
Bevor wir also hier was drosseln wollen, sollten wir doch eher sehen, dass wir weniger ausländische Arbeitskräfte brauchen.