Fast wäre es eine reine Expertenrunde gewesen in der gestrigen SRF-«Arena». Und das aus gutem Grund. Denn in der Sendung ging es um den Nahost-Konflikt und viele grosse Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt: Wie lange könnte sich der Konflikt noch immer weiter zuspitzen? Ist Frieden überhaupt noch denkbar? Und lassen sich die Völkerrechtsverletzungen Israels entschuldigen?
Darüber diskutierten:
Bei allem Fachwissen aufgrund der Komplexität des Themas dürfen in einer «Arena» natürlich trotzdem nicht die polarisierenden Meinungen Politikerinnen und Politiker fehlen. Diese Lücke füllen an diesem Abend zwei Mitglieder der parlamentarischen aussenpolitischen Kommissionen: FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann und SP-Ständerätin Franziska Roth.
Dass diese beiden trotz ihrer Mandate den Nahost-Konflikt nicht komplett überblicken, wird schon sehr früh klar, als Roth rhetorisch fragt: «Wenn man davon ausgeht, dass Israel den Iran und Palästina vernichten möchte und umgekehrt, warum ist denn dieser grosse Schlag nicht schon längstens gekommen?»
Roth würde diese Frage gerne dazu nutzen, um zu betonen, dass es noch Hoffnung gibt im Nahost-Konflikt. Dass die Kriegsparteien noch Interesse haben an einem Frieden. «Ist der Anschlag nicht deshalb noch nicht gekommen, weil beide Seiten eigentlich wissen, insbesondere Netanjahu, dass es so nur Verlierer gibt?», fragt Roth. Wieder rhetorisch.
Blöd nur, dass mit Islamwissenschaftler Reinhard Schulze jemand in der Runde steht, der diese Frage direkt beantworten kann: «Ich glaube nicht, dass es damit zusammenhängt.»
Es liege viel mehr daran, dass beide Seiten derzeit nicht abschätzen könnten, wie gross der Preis sein würde, den sie für einen Grossanschlag bezahlen würden. Deshalb wagten es weder Israel noch Iran aktuell, einen solchen zu starten. «Es gibt zwei wichtige Unbekannte – die erste: Wir wissen nicht, wie die iranische Armee reagiert», sagt Schulze. Bisher sei es ein Krieg zwischen Israel und den iranischen Revolutionsgarden. Die regulären iranischen Streitkräfte selbst seien im Krieg noch nicht eingeschritten.
«Das Zweite ist: Wir wissen nicht, inwiefern Iran bei einer tatsächlichen Konfrontation den Schutz und die Rückendeckung Russlands suchen wird», sagt Schulze.
Roth nickt. Scheint sich im Kopf zu notieren, dass sie mit den anwesenden Experten nicht in gleicher, vereinfachter Manier argumentieren kann wie in «Arenen», in denen sich ausschliesslich Politikerinnen und Politiker streiten. Den Rest der Sendung bleibt sie darum relativ still. Und wenn sie doch etwas sagt, dann wägt sie jedes Wort genaustens ab.
Eine Strategie, die Hans-Peter Portmann auch gutgetan hätte. Aber er scheint in dieser «Arena» nicht lernen zu wollen. Stattdessen schlägt er mit Parolen, unpassenden Metaphern und heiklen Verallgemeinerungen um sich. Bis zum Schluss.
Das hat vor allem eine Konsequenz: Dass watson an dieser Stelle eine Rangliste mit Portmanns ungeschicktesten Aussagen zusammenstellen kann. Inklusive Bonus: die vernichtenden Antworten der Experten.
Franziska Roth macht klar: «Ich stehe zu 100 Prozent hinter der israelischen Bevölkerung, aber ich stehe nicht zu Netanjahu und zu seiner Art, wie er Verteidigung auslegt.» Sie kritisiert Israels Siedlungspolitik und dass Israel seit dem 7. Oktober das zwingende humanitäre Völkerrecht missachtet. Dabei würde sie die Einhaltung des Völkerrechts von einer Demokratie wie Israel erwarten.
Portmann findet, es ginge nicht, dass nur eine Seite das Völkerrecht einhalten müsse und die andere Seite nicht. «Das ist wie, wenn du in deinem Quartier einen Massenmörder hast. Oder drei, vier.» Irgendwann komme man an den Punkt, an dem man seine Leute schützen wolle. «Vielleicht mit einem Mittel, das nicht ganz rechtsstaatlich ist.» Darum sagt er über Israels Völkerrechtsverletzungen: «Es tut mir leid. Ich habe gewisses Verständnis dafür.»
Urs Saxer, Professor für Völkerrecht, referiert wie an der Uni darüber, dass im Völkerrecht ein Gewaltverbot festgelegt ist. Dieses könne nur durchbrochen werden, wenn sich ein Staat selbst verteidigen müsse, weil er angegriffen worden sei. Doch diese Logik nutzten beide Seiten im Nahost-Konflikt aus, um ihre Angriffe gegeneinander zu legitimieren. Darum hält Saxer fest: «Vergeltung und Rache sind keine legitimen Kriegsziele. Schon gar nicht unter dem Selbstverteidigungsrecht.»
Die grosse Frage, die sich beim Recht auf Selbstverteidigung immer stelle, sei: Ist diese Kriegsführung verhältnismässig? Wie ein Staat diese Verhältnismässigkeit eruieren kann, führt Saxer ausführlich mit Beispielen auf, um letztendlich zu schlussfolgern: «Wir haben ganz viele Regeln, die gelten. Und diese werden teilweise nicht beachtet. Die Israelis machen nicht die richtige Verhältnismässigkeitsprüfung. Davon bin ich überzeugt.»
Und was macht Portmann nach diesem Vortrag des Völkerrechtsprofessors? Er lacht ihm ins Gesicht und sagt: «Ich muss ehrlich sagen: Mir ist das jetzt eindeutig zu einseitig, das Völkerrecht nur zugunsten der palästinensischen Seite – beziehungsweise Hamas- und vielleicht auch noch Hisbollah-Seite – auszulegen, und gegen Israel.»
Hui, dünnes Eis. Wirft Portmann gerade Terroristen und alle Palästinenserinnen und Palästinenser in einen Topf? Klarheit darüber schafft der nächste Platz in der Rangliste.
Portmann findet, man müsse diesen Konflikt von Anfang an betrachten. Vom ersten Tag, an dem es Israel gegeben habe, hätte die arabische Seite Raketen auf Israel abgefeuert. Israel habe lange zugewartet, während sich die Terroristen innerhalb des Gazastreifens hätten formieren können. «Wer diese Bilder gesehen hat, als die ersten Geiseln befreit wurden, hat gesehen: Die Geiseln sind zu den Tunnels herausgekommen und das Volk hat denen ‹Jude, Jude, Jude› nachgerufen. Wir kennen das aus der Nazi-Zeit bei uns.»
Nazi-Vergleiche sind nie eine gute Idee. Aber Moment, Portmann legt noch einen obendrauf: «Diesem Volk ist ein solcher Hass auf die jüdische Bevölkerung indoktriniert worden. Auch bei den Jungen. Ein solcher Hass, dass sie wirklich die ganze Existenz von diesem Land bekämpfen.»
Damit wirft Potrmann tatsächlich alle in einen Topf: Palästinensische Kinder, Hamas-Terroristen, die Hisbollah-Miliz. Manche werden sich nun fragen: Das ist erst der zweite Platz? Die Antwort: Ja, es wird nämlich noch schlimmer.
Zuerst versucht Portmann noch kurz, seine vorher getätigten Aussagen zu entschärfen: «Ich möchte damit nicht völkerrechtliche Vergehen entschuldigen.» Das anschliessende grosse «Aber» ist vorprogrammiert: «Aber Israel steht heute vor der Frage und der Entscheidung: Wollen wir nochmals 75 Jahre lang, dass unser Land und unsere Bevölkerung einem solchen Risiko ausgesetzt ist? Oder: Nehmen wir nun diesen Anlass dazu, dass wir jetzt wirklich Tabula rasa machen und versuchen – mit zivilen Opfern, ja –, diese Terrormilizen zu eliminieren?»
Eine Aussage, die nur schwer verständlich ist. Portmann hat bereits mehrfach klargemacht, dass er nicht zwischen Terroristen und Zivilbevölkerung unterscheidet. Er schlägt also gerade vor, den gesamten Gazastreifen dem Erdboden gleichzumachen.
Immerhin beschwichtigt Portman nochmals: Er sagt, es stehe ihm nicht zu, zu entscheiden, wer im Recht sei. Beide Seiten hätten Völkerrecht verletzt.
Volksrechtsprofessor Urs Saxer klärt Portmann gerne über seine Fehlschlüsse auf. Der Reihe nach. Erstens: «Wenn die eine Seite das humanitäre Völkerrecht verletzt, dann ist es genau der Witz des Ganzen, dass die andere Seite sich nicht auf diese Verletzung berufen und selbst solche vornehmen kann.» Genau das sei nicht zulässig nach dem humanitären Völkerrecht. Und zwar zum Schutz der Menschlichkeit.
Zweitens: «Das Selbstverteidigungsrecht von Israel ist unbestritten. Es geht darum: Wie wird dieses Selbstverteidigungsrecht ausgeübt? Und in diesem Punkt ist es unverhältnismässig.»
Drittens: «Dass die Hamas das humanitäre Völkerrecht natürlich massiv verletzt, ist auch klar und unbestritten.» Dann zuckt Saxer nur noch mit einem befriedigten Lächeln die Schultern. Fall abgeschlossen.
Auch Islamwissenschaftler Reinhard Schulze kann Portmanns Parolen in wenigen Sätzen auseinandernehmen. Er spricht dabei ganz höflich in der «Man»-Perspektive. Meint damit aber eindeutig Portmann: «Man sollte sich fragen: Warum ist Israel in dieser Situation?»
In Israel selbst sei man schon auf die Antwort auf diese Frage gekommen, so Schulze. Nämlich: «Es ist die Tatsache, dass Israel den Krieg nicht mit einem politischen Projekt begleitet.» Ein politisches, lösungsorientiertes, begleitendes Projekt könnte Völkerrechtsverletzungen verhindern. Denn Völkerrechtsverletzungen würden den politischen Zielen dieses Projekts hinderlich sein.
Portmann will die Situation noch retten, indem er betont, er habe ja schon am Anfang der Sendung gesagt: «Man muss das palästinensische Volk von den Terrormilizen befreien, aus der Geiselhaft rausnehmen.» Schulze kontert umgehend: «Ja, dann müssen Sie damit aber auch in Ihrem Kopf anfangen.» Dann erinnert er Portmann daran, dass dieser noch vor wenigen Minuten die palästinensische Zivilbevölkerung mit Hamas-Terroristen gleichgesetzt hatte.
Doch man müsse und könne differenzieren. Jene, die «Juden, Juden, Juden» gerufen hätten, seien Anhänger der Hamas gewesen. Die Hamas seien 80'000 Menschen von 2,2 Millionen Menschen, die im Gazastreifen wohnten. «Es ist völlig unklar, welche Legitimität dieser Terrorverein in Gaza überhaupt hat», sagt Schulze.
Und dann fügt er mit strengem Professorenblick an: «Ich kann Ihnen versichern, es gibt zahllose Menschen in Gaza, die sich wünschen würden, in freundschaftlichen Verhältnissen mit Israel leben zu können, weil sie in Israel arbeiteten, weil sie mit der israelischen Währung operieren, weil sie von Israel die Wasser- und medizinische Versorgung garantiert bekommen.»
Im besten Fall hat sich Portmann mit dieser «Arena» einfach komplett übernommen, sich aus Nervosität und Unwissenheit äusserst unbedacht ausgedrückt, aber dafür etwas von den Professoren lernen können. Im schlimmsten Fall … Naja, von diesem wollen wir mal lieber nicht ausgehen.
Auch wenn er ein Extrembeispiel ist, passt er damit leider zu gut in die aktuelle Richtung, welche die früher respektable FDP einschlägt.
Eigentlich sollten immer richtige Experten an einer Diskussionsrunde teilnehmen und die "Argumente" von Populisten wie Portmann in der Luft zerreisen.