Das letzte Urteil gegen Schmidheiny erfolgte vor gut zwei Wochen: Ein Geschworenengericht von Novara hat den Schweizer Unternehmer und Philanthropen wegen fahrlässiger Tötung von rund 150 ehemaligen Arbeitern und Anwohnern der früheren Eternit-Fabrik in der piemontesischen Kleinstadt Casale Monferrato zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt.
Der Staatsanwalt hatte eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen vorsätzlicher Tötung gefordert. Obwohl er mit seinem Antrag nicht vollumfänglich durchkam, zeigte sich der Ankläger mit dem Urteil zufrieden: «Endlich hat ein Richter der Tragödie von Casale Monferrato einen Namen gegeben. Jetzt wissen wir, dass der Angeklagte, den wir vor Gericht gestellt hatten, verantwortlich ist.» Die Anwälte Schmidheinys haben angekündigt, gegen das Urteil Beschwerde zu führen.
Der Prozess von Novara ist der vorläufig letzte in einer schier endlosen Reihe von Verfahren, die die italienische Justiz in über zwanzig Jahren gegen den inzwischen 75-jährigen Unternehmer angestrengt hat. Begonnen hatte die Lawine im Jahr 2001, als der Staatsanwalt von Turin wegen asbestbedingter Todesfälle von Eternit-Arbeitern im Werk von Casale Monferrato erstmals Ermittlungen einleitete.
Die Fabrik, in der hauptsächlich Asbestzement hergestellt wurde, gehörte von 1973 bis 1986 zu der von Stephan Schmidheiny geleiteten Schweizer Eternit-Gruppe. In dem Verfahren, in welchem dem Unternehmer der Tod von über 2000 Personen zur Last gelegt wurde, wurde er zuerst wegen Verursachung eines Umweltdesasters und im Revisionsprozess wegen vorsätzlicher Tötung zunächst zu 18 Jahren Zuchthaus verurteilt; später wurde er wegen Verjährung vom obersten Gericht Italiens freigesprochen.
Doch die Prozessflut ging weiter, unter Verletzung des auch in Italien geltenden Grundsatzes, wonach niemand für eine bereits beurteilte Tat ein zweites Mal vor Gericht gestellt werden darf. Die Zahl der laufenden Verfahren erhöhte sich sogar noch, weil die Eternit-Gruppe auch an anderen italienischen Standorten, etwa in Neapel, an Eternit-Fabriken beteiligt war.
Die Argumentation der italienischen Justiz ist immer dieselbe: Schmidheiny habe um die Gefahren bei der Verarbeitung von Asbestfasern gewusst, habe aber aus Profitgier die Fabriken nicht geschlossen und damit bewusst den Tod von unzähligen Arbeitern und Anwohnern in Kauf genommen. Als Besitzer oder Mehrheitsaktionär der italienischen Fabriken der Eternit SpA trage er die alleinige Verantwortung für die Tragödie.
Bei den Prozessen gegen den ehemaligen Besitzer der Schweizer Eternit-Gruppe geht es tatsächlich um unendliches Leid: Allein in Casale Monferrato mit seinen 32'000 Einwohnern, wo die grösste der insgesamt vier italienischen Eternit-Fabriken stand, sind schon über 3000 Menschen an den Folgen der Asbestverarbeitung gestorben.
Und obwohl die Fabrik seit fast vierzig Jahren geschlossen ist, sterben in der Kleinstadt heute noch jedes Jahr rund 50 Menschen an Brustfelltumoren, Lungenkrebs oder Asbestose. Dass immer noch so viele Menschen wegen des Asbests sterben, liegt an der langen Latenzzeit: Zwischen dem Einatmen von Asbeststaub und der Erkrankung können vierzig bis fünfzig Jahre verstreichen.
Was die italienischen Medien und die Justiz bei ihrer Dämonisierung Schmidheinys – ein Turiner Richter hat den Schweizer Unternehmer mit Adolf Hitler und die Geschäftssitzungen der Eternit-Gruppe mit der Wannsee-Konferenz verglichen – regelmässig unterschlagen: Schmidheiny war weltweit einer der ersten Unternehmer, der aus der Asbestverarbeitung ausgestiegen ist. Zuvor hatte er in den Eternit-Fabriken seiner Holding frühzeitig Dutzende von Millionen Euro für Schutzmassnahmen investiert und auf die nasse Verarbeitung der gefährlichen Faser umgestellt, was das Erkrankungsrisiko drastisch gesenkt hat.
Weil die italienischen Konkurrenzfabriken dies nicht ebenfalls taten, konnte die Eternit SpA bald nicht mehr konkurrenzfähig produzieren und ging 1986 in Konkurs. Die italienischen Gewerkschaften hatten damals gegen die Schliessung der Eternit-Fabriken protestiert – heute beteiligen sie sich als Privatkläger in den Prozessen gegen Schmidheiny.
Dasselbe tut der italienische Staat – und macht dabei keine gute Figur: Italien hatte unter anderem in seinen staatlichen Werften selber im grossen Stil Asbest verarbeitet, und zwar lange über die Schliessung der Eternit-Fabriken hinaus.
Im Jahr 1990 stellte der Europäische Gerichtshof fest, dass Italien gegen die Gefährdung durch Asbest zu wenig unternehme; verboten wurde die Faser erst 1992, also sechs Jahre nach dem Ende der «Schweizer Periode» von Eternit Italia. In der Schweiz wurde Asbest im Jahr 1989 verboten, in Österreich 1990, in Deutschland 1993 und in der gesamten EU 2005.
Asbest ist unter allen Berufskrankheiten der mit Abstand schlimmste Killer: Weltweit sterben laut der UNO-Arbeitsorganisation ILO pro Jahr rund 100'000 Menschen an den Folgen. In Deutschland sind es 1500 Opfer jährlich, in der Schweiz und Österreich 130 bis 150. Die ILO rechnet bis 2050 weltweit mit insgesamt 10 Millionen Toten – und immer noch gibt es Länder, die Asbest abbauen und verarbeiten, allen voran China.
Italien ist in der EU der einzige Staat, der fast dreissig Jahre nach dem Asbestverbot immer noch versucht, das Drama mit dem Strafrecht «aufzuarbeiten». Die meisten Staaten haben einen anderen Weg eingeschlagen.
In der Schweiz, in Deutschland, in Österreich und in vielen weiteren Ländern sind die Asbest-Erkrankungen als Berufskrankheiten anerkannt und geben Anspruch auf entsprechende Renten. Hinzu kommt in einigen Ländern die Möglichkeit, Schadenersatz zivilrechtlich einzuklagen. Auch Schmidheiny hat an weit über 1600 italienische Opfer Dutzende von Millionen Euro Entschädigungen gezahlt – auf freiwilliger Basis. Viele italienische Asbestopfer haben diese Zahlungen aber abgelehnt – weil sie im Strafprozess als Nebenkläger auftreten wollten. (aargauerzeitung.ch)
Dieser lautet, das Schmidheiny & co. interne Studien über die Gefahren zurückgehalten, früher & besser um die Gefahr gewusst & dennoch zu wenig unternommen & zu spät reagiert haben.
Das Schmidheiny als einer der Ersten etwas (ungenügendes) unternommen hat, könnte man gerade auch so interpretieren, dass er als einer der Ersten aufgrund der Öff. vorenth. Insiderwissens die Gefahr erkannt & trotzdem nicht richtig gebannt hat.
Man kann es drehen und wenden wie man will, unschuldig ist Schmidheiny siecher nicht. Aber nicht der Alleinschuldige.
Mir tun einfach die Arbeiter leid, die an diesem Asbest verreckt sind, denn sterben kann man dem nicht sagen.