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«Es bestätigte mir jedoch, dass die Lage sicher ist und wir unserem Kontakt an der Front vertrauen können – zum Glück: Es waren nur wenige Helfer anwesend. Nach unserer Ankunft fasste jeder eine Aufgabe. Ich half mit, in einem Treibhaus ein Lager zu errichten. Andere versuchten, verschiedene Zeltlager für Familien, Männer und Frauen zu schaffen. Es galt, tagsüber Strukturen zu schaffen und das Camp aufzuräumen und nachts die Flüchtlinge zu versorgen. Doch es war schwierig, diese Strukturen aufrechtzuerhalten.
In der Nacht stand ich beim Grenzzaun und versuchte, die Ankömmlinge so gut es ging zu informieren. Viele der ankommenden Menschen waren sehr verängstigt, immer wieder fragten sie: ‹Fingerprint? Fingerprint?› Viele hatten grosse Angst vor ihrem Schicksal in Ungarn. Aus Angst vor einer Registrierung wollten viele direkt weiterreisen, ohne Pause. Wir versuchten, sie zu überzeugen, sich erst mal im Lager auszuruhen und zu verpflegen, statt mit den Schleppern zu gehen.
Die Schlepper standen anfänglich neben uns auf den Gleisen. Nachdem wir unsere Präsenz verstärkten, zogen sie sich in das Maisfeld daneben zurück. Ich bat die Flüchtlinge inständig, nicht mit ihnen zu gehen. Teilweise mit Erfolg, teilweise nicht. Wir informierten die Soldaten. Die Polizei flog irgendwann der Grenze nach und durchleuchtete das Feld. Wie sie am besten weiterreisen sollten, konnten wir den Flüchtlingen ihnen leider nicht sagen.
Die Flüchtlinge waren in unterschiedlicher Verfassung. Viele waren erschöpft. Ich versuchte vor allem denen zu helfen, die an Krücken gingen oder von Mitmenschen getragen wurden. Ein junger Mann hatte Verletzungen am Oberkörper – ich erfuhr von ihm, dass er in Serbien verprügelt worden war. Eine 30-köpfige Familie hingegen erzählte mir, dass sie in Griechenland, Serbien und Mazedonien sehr gut behandelt wurde. Die Schicksale sind so verschieden und individuell wie die Menschen selbst.
Was mir jetzt noch Tränen in die Augen treibt, wenn ich daran denke, sind die beiden Jugendlichen, die in von der Polizei bedroht wurden, als sie versuchten, den 4 Meter hohen Stacheldraht zu überwinden, weil sie die offene Grenze nicht gefunden haben. Sie erzählten mir das mit einer Lockerheit und einer Positivität und waren noch zum Scherzen aufgelegt. Ich hätte sie am liebsten ins Auto gepackt und mitgenommen. Es ist für mich schlicht unfassbar, welch ungeheure Kraft die Flüchtlinge an den Tag legen.
Ein junger Syrer erzählte mir, er wolle nach Deutschland, um dort sein Master-Studium abzuschliessen. Ich wollte ihm eigentlich sagen, dass er dort wohl nicht studieren könne, aber ich wollte ihm nicht den letzten Funken Hoffnung rauben. Als ich ihm sagte, dass ich aus der Schweiz komme, fragte er mit einem Lachen: ‹Musst du auch deinen Fingerabdruck abgeben wenn du in die EU möchtest?›
In dem Einsatz an der Front passierten zirka 18'000 Menschen die Grenze. Während meines gesamten Einsatzes habe ich zwei Flüchtlinge getroffen die in die Schweiz kommen wollen,
Ich machte in der Nacht eine Pause. Etwas entfernt von dem Geschehen, im Dunkeln, als der Adrenalinspiegel etwas sank, konnte ich die Tränen nicht mehr zurückhalten. So etwas geht dir ans Lebendige. Das muss man sich bewusst sein, wenn man an vorderster Front helfen will. Ich habe unzählige Schicksale gehört und gesehen. Entkräfteten Menschen halfen wir die Kinder und Rucksäcke ins Camp zu tragen.
Als wir schliesslich den Heimweg antraten, waren wir erschöpft und dehydriert. Es ist enorm wichtig, dass du bei so einem Einsatz zu dir selbst schaust – aber der Hunger und der Durst gehen leicht vergessen. Du funktionierst einfach. Wir gingen schweren Herzens: Wir wussten, unsere Hilfe wird eigentlich noch immer dringend benötigt. Es hat zu wenig Helfer vor Ort, um eine sinnvolle Struktur aufrecht zu erhalten.
Bei einem Zwischenhalt an einer österreichischen Raststätte fanden wir unzählige Flüchtlinge vor. Mit Bussen wurden sie dorthin gebracht, wo schon Dutzende Autos mit ungarischen Nummernschildern auf sie warteten. Ich half einem irakischen Geografie-Lehrer, einen Tee zu bestellen und fragte ihn, ob er diesen Leuten, die ihn über die Grenzen bringen sollen, vertraue. ‹Ja, das sind gute Leute›, antwortete er. ‹Es kostet nicht so viel.›
Jetzt braucht es unbedingt Helfer. Das ungarische Volk erträgt derzeit das ganze Ausmass der Flüchtlingskrise. Die zivile Hilfe und Koordination ist enorm. Ich habe grossen Respekt vor ihnen. Sie verdienen unsere Solidarität; das heisst in diesem Fall zwei Hände und zwei Füsse vor Ort. Das Ziel der ersten Aktion ist nun erreicht. Wir haben die gespendeten Hilfsgüter dorthin gebracht wo sie gebraucht wurden. Action for Switzerland hat nun ein Netzwerk an forderster Front. Nun geht es in die Planung der nächsten Aktion.»
«Bei unserer Ankunft in Vámosszabadi waren keine anderen Helfer da, unsere Hilfe wurde also dringend benötigt. Unser Kombi voller Medikamente, Baby-Utensilien, Hygieneartikeln, Kleider und Essen war in weniger als zehn Minuten leergeräumt. Die Leute rissen uns die Waren förmlich aus den Händen.
Was als erstes auffiel: Der Ort sah aus wie eine Müllhalde. Überall lag Abfall, umschwärmt von Wespen. Viele Hilfsgüter lagen am Boden und waren schon abgenutzt oder durch den Regen unbrauchbar geworden. In einer grossen Aufräumaktion füllten wir mit weiteren dazugestossenen Helfern die 50 110-Liter-Abfallsäcke, die wir mitgebracht hatten. Dabei haben uns sogar einige der Flüchtlinge geholfen. Das freute die Ordnungskräfte. Ein gutes Verhältnis zu den Polizisten ist extrem wichtig, weil sie den Helfern sonst den Zugang zum Lager verwehren könnten. Das ist an verschiedenen Orten schon vorgekommen. Also steckt man den Polizisten mal ein Pack Zigaretten oder eine Flasche Wasser zu. Sie haben auch praktisch nichts, und wenn sie gereizt sind, fällt es auf uns zurück.
Später kümmerten sich einige von uns darum, Flüchtlinge an den nahe gelegenen Bahnhof zu bringen, wo sie ihre Weiterreise antreten konnten. Beim Lager standen Taxis Schlange, die für den Transport Geld verlangten. Gerüchteweise sollen einige Flüchtlinge bis zu 500 Euro für 15 Kilometer bezahlt haben. Unsägliche Wucherpreise, und das offenbar mit dem Segen der Polizei. Während die Busse, die Neuankömmlinge vorbeibringen, leer zurückfahren, statt weitere Flüchtlinge an den Bahnhof zu fahren.
Nachdem ungarische Helfer Verhandlungen mit der Polizei vor Ort geführt haben, durften wir dann auch Flüchtlinge aus dem Lager chauffieren, was wir einen Grossteil des Abends auch taten. Unterwegs hatte ich ein zeitweise ein mulmiges Gefühl, von der Polizei angehalten und als Schlepper verdächtigt zu werden. Zum Glück habe ich von niemandem gehört, der wegen des Transports Probleme bekam. Viele der Flüchtlinge verstanden nicht, dass wir das kostenlos taten und fragten uns, wie viel die Fahrt denn kosten würde. Sie schienen es sich gewohnt, für alles bezahlen zu müssen. Denn tatsächlich wollen viele aus der Situation Profit schlagen: Am Bahnhof hatten Leute Essensstände aufgestellt. Gegen Abend nahmen einige der österreichischen Helfer Flüchtlinge direkt vom Lager an die österreichische Grenze und sogar nach Wien mit.
Wir waren 20 Helfer für mehrere hundert Flüchtlinge. Hilfe wird dringend benötigt, egal in welcher Form. Ob als Geld- oder Sachspende oder am wichtigsten als Helfer vor Ort. Freiwillige, die bei der Abgabe der Hilfsgüter helfen, Essen organisieren oder die Flüchtlinge mit Informationen versorgen, sind unsäglich wichtig.»
«Ja, das Bild von Aylan bewegte auch uns. Es war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, ein herzzerreissender Ausdruck von Unschuld und Hilflosigkeit. Und endlich der Abschied von der Zuschauerrolle.
Innerhalb von 3 Tagen konnten wir Dank immenser Solidarität unserer Freunde und verschiedener Firmen genügend Güter sammeln, um mit einem VW Bus und einem PW mit grossem Anhänger Richtung Ungarn aufzubrechen. Da das Team von ‹Action from Switzerland› ebenfalls mit einem Bus an diesem Tag aufbrach, entschlossen wir uns, gemeinsam im Konvoi zu fahren. Was folgte, waren 72 Stunden, die uns tief im Herzen berührten.
Während der Fahrt versuchten wir alle möglichen Informationsquellen anzuzapfen, damit wir entscheiden konnten, wo unsere Hilfe am dringendsten gebraucht wird. Verständlicherweise deckten sich die Berichte nicht, da sich die Lage in Ungarn stündlich veränderte. Wir verspürten den klaren Impuls, uns selber vor Ort ein Bild von der Situation in Röszke zu machen, wo wir am letzten Samstag morgen eintrafen.
Ja, wir erlebten innert kürzester Zeit unzählige extreme Momente, die hier nicht bildlich aufgeführt werden müssen. Und ja, wir waren mit äusserst schwer verständlichen Situationen konfrontiert. Und genau in diesem Moment wurde uns einmal mehr vor Augen geführt, worum es eigentlich geht: es geht jetzt einzig und alleine darum, was wir jetzt ganz konkret beitragen können, dass sich genau diese Situation verbessert und nicht darum, einen Schuldigen zu finden oder die komplexe Situation intellektuell nachvollziehen zu können. Es folgte ein Marathon von unspektakulären kleinen Handlungen:
Nein, es macht keinen Sinn, dass Menschen auf der Flucht sein müssen. Nein, es macht keinen Sinn, dass unschuldige Menschen hinter Gittern gehalten werden. Wir sind uns einig, sehr viele Dinge machen keinen Sinn und hinterlassen ein Gefühl der Hilflosigkeit.
Aber wir können etwas tun. Jeder kann etwas ganz Konkretes dazu beitragen, dass sich die Situation verbessert.
Wir sind einfach nur 3 Menschen, die ihrem Herzen gefolgt sind. Warum? Weil wir eines Tages vielleicht ebenfalls auf der anderen Seite der Gitter stehen werden und uns sehnlichst wünschen werden, menschlich behandelt zu werden? Oder einfach darum, weil es selbstverständlich ist und nicht hinterfragt werden muss.»