Herr Fischlin, Klima-Ikone Greta Thunberg warnt die Staatschefs, am COP26 in Glasgow nur viel «Blabla» zu veranstalten, statt konkrete Massnahmen gegen die Klimakrise zu ergreifen. Welche Erwartungen haben Sie an das Spitzentreffen in Glasgow?
Andreas Fischlin: Derzeit herrscht tatsächlich ein Hype um den Klimagipfel. Die Klimastreik-Bewegung hat in den letzten Jahren eine enorme Dynamik in die bis dahin ziemlich verfahrene Klima-Diskussion gebracht. Die Öffentlichkeit erwartet, dass nach der Covid-Pause eine neue Ära im Klimaschutz beginnt – auf Grundlage des Pariser Abkommens. Die Erwartungen scheinen aber zu hoch. Denn konkrete Beschlüsse für Klimaschutzmassnahmen sind nicht zu erwarten.
Warum nicht?
Es gibt keine gesetzlichen Grundlagen im Pariser Klimaabkommen, um die Schrauben hinsichtlich Klimaschutzzusagen bereits in diesem Jahr anzuziehen. Denn es greift erst 2023 richtig. Bis dahin erfolgt erstmals eine weltweite Bestandsaufnahme (Global Stocktake), ob die jeweiligen Länder ihre in Paris festgelegten Klimaziele erreichen. Oder anders gesagt: Erst dann müssen die Politiker richtig in den Spiegel schauen.
Sommaruga, Parmelin, Maurer: Gleich drei Bundesräte vertreten die Schweiz in Glasgow. Wie interpretieren Sie den Grossaufmarsch?
Das hat es noch nie gegeben. Es ist ein gutes Zeichen und zeigt, dass die Schweiz das Thema ernst nimmt. Punkto Umweltschutz gilt die Schweiz eigentlich auf internationalem Parkett als äusserst glaubwürdiges Land. Das Nein zum revidierten CO2-Gesetz hat dem Bundesrat aber einen Knüppel zwischen die Beine geworfen. Denn die Schweizer Versprechen zur Emissionsreduktion sind auf internationalem Parkett plötzlich infrage gestellt. Die Glaubwürdigkeit der Schweiz steht auf dem Spiel. Da will die Landesregierung Gegensteuer geben. Dies, indem sie sich etwa für konkrete Regeln zur internationalen Klima-Kompensation einsetzt. Dies nicht zuletzt, weil unser Land die Klimaziele bis 2030 wohl nur noch mit Kompensationsprojekten im Ausland erreichen kann.
Sie sind aktuell Vizevorsitzender der Arbeitsgruppe des Weltklimarats IPCC, die sich mit den Folgen des Klimawandels beschäftigt. Zuvor haben Sie während 17 Jahren die Schweizer Wissenschaft an den COP-Gipfeln vertreten. Wie läuft so ein Verhandlungsmarathon ab?
Es laufen viele Pokerspiele, niemand will sich in die Karten schauen lassen. Oft braucht es eine gewisse Zermürbung bei den Gipfelteilnehmenden, um einen Durchbruch zu erzielen. Man verhandelt Tag und Nacht, besonders gegen Ende der Treffen. Ich habe schon Minister neben mir schnarchen sehen. Es braucht schon viel Energie. Mit wissenschaftlichen Argumenten habe ich als Forscher auch schon dabei mithelfen können, Blockaden zu überwinden. So oder so will am Ende niemand mit leeren Händen nachhause fahren.
Welcher Moment ist Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben?
2009 spielten sich am Klimagipfel in Kopenhagen tumultartige Szenen ab. Damals brachen die Verhandlungen mitten in der Nacht in sich zusammen. Zwei Vertreterinnen aus Lateinamerika gingen fast auf den dänischen Premierminister Lars Rasmussen, Präsident des Gipfels, los. Ich appellierte an Ihre Vernunft und konnte mithelfen, die Situation zu beruhigen. Der Präsident wurde darauf von UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon abgesetzt. Die Verhandlungen zogen sich dann bis Samstagnachmittag hin. Trotz Uneinigkeit konnte zumindest der «Copenhagen-Accord» juristisch verankert werden. Nach drei Tagen Nonstop-Verhandlungen taumelte ich danach völlig übernächtigt zu meiner Tochter, die damals in Kopenhagen studierte.
Gehen Sie auch diesmal an die Klimakonferenz?
Wahrscheinlich nehme ich nur per Video-Konferenz teil. Zwei Tage Zug zu fahren, um für ein paar Stunden in Glasgow zu diskutieren, rentiert sich nicht.
Sie könnten einfach nach Glasgow jetten ...
Ich fliege sehr gezielt und nehme meine Verantwortung wahr. Denn aus meiner Sicht haben alle Passagiere die Pflicht, ihre Flüge zu kompensieren. Bei der ganzen Flugscham-Thematik muss man differenzieren: Mit dem Flugzeug übers Wochenende shoppen zu gehen, ist obszön. Langstreckenflüge können aber sinnvoll sein. Die Welt ist vernetzt, das Rad lässt sich nicht mehr zurückdrehen. Wir haben nicht wegen des Flugverkehres eine globale Klimakrise. Flüge machen weltweit nur knapp drei Prozent der Emissionen aus. Der ganz grosse Brocken ist Energie-, insbesondere die Stromversorgung. Auf der ganzen Welt wird Kohle und Öl verbrannt, um Energie zu erzeugen. Das hat einen unglaublich negativen Effekt.
Zum Schluss: Was braucht es, dass man den Klimagipfel in Glasgow als Erfolg werten kann?
Es braucht Fortschritte bei den Detailregelungen. Und dass sich die Länder in einer Resolution nochmals verpflichten, die Pariser Klimaziele umzusetzen.
Und dass irgendein brauchbarer Vorschlag angenommen wird, glaub' ich nicht. Dafür sind wir Schweizer viel zu selbstsüchtig.
Imho
🖖🏻