Herr Rösti, die SVP hat am Wochenende erneut verloren. Nicht nur in den Städten gab es Niederlagen, sondern auch in der Agglo und in Landgemeinden wie Rafz oder Eglisau. Befindet sich die Partei in einer flächendeckenden Krise?
Albert Rösti: Nein, das ist gar nicht der Fall, wenn die Partei auf sehr hohem Niveau gewisse Verluste einfährt. Klar ist aber: Es ist uns zu wenig gelungen, die Leute zu überzeugen, dass es die SVP braucht, etwa bei der Sicherung von Arbeitsplätzen von über 50-Jährigen, die von der Zuwanderung bedroht sind. Hier hat bei unseren Wählern eher eine Demobilisierung stattgefunden.
Wie erklären Sie sich die Stimmverluste konkret?
Bereits bei den Wahlen im Kanton Bern Ende März zeigte die tiefe Stimmbeteiligung: Unsere Wähler laufen nicht zu anderen Parteien über, sie bleiben einfach zuhause. Ich denke, das hat viel mit der Resignation über nicht umgesetzte Volksentscheide zu tun, etwa bei der Masseneinwanderung.
Jetzt machen Sie es sich aber einfach. Früher war es doch Teil des SVP-Erfolgsrezepts, dank der Wut über die «classe politique» Stimmen zu gewinnen. Weshalb ist diese Wut der Resignation gewichen?
Für mich ist es gut nachvollziehbar, dass bei unseren Wählern irgendwann eine gewisse Müdigkeit eingesetzt hat: Schliesslich mussten sie mehrmals mitansehen, dass Entscheide durch eine Mitte-Links-Mehrheit einfach nicht umgesetzt worden sind. So wird der Vierfachmörder von Rupperswil nicht lebenslänglich verwahrt, trotz Ja zur Verwahrungsinitiative. Der «Schläger von Zürich» wird nicht ausgeschafft, trotz Ja zur Ausschaffungsinitiative und die Zuwanderung ist wieder am steigen, trotz der Masseneinwanderungsinitiative. Ein- oder zweimal sagt man sich vielleicht, «jetzt wähle ich umso mehr SVP», aber irgendwann führt diese Missachtung von Volksentscheiden zu Resignation. Das ist äusserst gefährlich, nicht für die SVP, sondern für die direkte Demokratie.
In rund 18 Monaten wird in den eidgenössischen Wahlen ein neues Parlament gewählt. Muss sich die SVP auch auf nationaler Ebene Sorgen machen?
Sorgen bringen nichts, wir müssen jetzt an die Arbeit. Die Mission ist klar: Wir müssen zeigen, dass es die SVP braucht, um Wohlstand und Unabhängigkeit der Schweiz zu bewahren. Derzeit befinden wir uns in einer Phase, in der die Steuereinnahmen fliessen und die Arbeitslosigkeit tief ist. Momentan geht es uns in der Schweiz sehr gut, darum kommen linke Ideen wie etwa der Vaterschaftsurlaub gut an. Damit gefährdet man aber langfristig den Wohlstand.
Angesichts der Misserfolge in Gemeinden und Kantonen: Ziehen die alten Wahlschlager der SVP überhaupt noch – EU, Kriminalität, Asylwesen?
Ich bin zuversichtlich, dass wir den Wähleranteil 2019 werden halten können. Nur damit kann ein Mitte-Links-Parlament verhindert werden, das sich der Umsetzung von Volksentscheiden widersetzt. Gerade die Frage der Migration – sowohl im Asylbereich als auch im Rahmen der Personenfreizügigkeit – bleibt aktuell. Schliesslich ist die Zuwanderung verantwortlich für die Sorgen des Einzelnen um seinen Arbeitsplatz. Letztendlich bedroht die Zuwanderung den ausserordentlichen Wohlstand der Schweiz, unser Lohnniveau und die Arbeitsplätze. Auch das Thema Sicherheit beschäftigt die Menschen: Die Welt ist so unsicher wie lange nicht mehr. Hier braucht es eine starke Armee, um das Sicherheitsbedürfnis zu befriedigen. Aber auch langfristig gesicherte Sozialwerke.
Träfe das alles zu, hätte die SVP auch die kommunalen und kantonalen Wahlen der letzten Zeit gewinnen müssen. Sie hat aber verloren.
Die liberal-konservative Politik der SVP geniesst ungebrochen grosse Unterstützung. Wir müssen es einfach schaffen, unsere Leute an die Urne zu bringen. 2019 muss uns die Mobilisierung besser gelingen als in den vergangen Wahlen.
Wo hat es da bei der SVP gehapert?
Die Leute erwarten, dass man hinhört, auf sie zugeht, ihre Sorgen ernst nimmt. Da ist jede einzelne unserer rund 1000 Sektionen gefordert. Wir müssen auch bei der Methodik einen Zacken zulegen, etwa mit Hausbesuchen und Telefonanrufen bei unseren Sympathisanten. Das oberste Ziel ist es, den Leuten klarzumachen, dass die SVP wie keine andere Partei für Freiheit und Sicherheit eines jeden Einzelnen einsteht.
Liegt das Problem nicht tiefer? Noch Ende März erklärten Sie die Niederlagen in Zürich und Winterthur gegenüber dem Blick mit den vielen Stadtbewohnern, die vom Staat abhängig seien, sahen aber in der Agglomerationen Wählerpotenzial. Jetzt hat die SVP auch da verloren.
Die wichtigste Erklärung für die Ergebnisse sind Resignation und mangelnde Mobilisierung unserer Wähler. Doch das Potenzial in den Agglomeration ist vorhanden: Dort leben jene Leute, welche die Zeche für die Zuwanderung und den ausufernden Sozialstaat bezahlen – oder für Kampf der Linken gegen Sozialdetektive und somit für Sozialhilfebetrüger.
Schauen wir noch kurz in die Romandie: In Genf verlor die SVP deutlich. Vom erhofften «Parmelin-Effekt» nach der Wahl des ersten SVP-Bundesrats aus der Westschweiz ist nirgendwo etwas zu spüren. Enttäuscht?
Unser Wähleranteil in der Romandie bleibt unter demjenigen in der Deutschschweiz zurück. Alleine deshalb bin ich weiterhin davon überzeugt, dass die SVP in der Romandie grosses Wachstumspotenzial hat. Aber dieses Wachstum stellt sich nicht von alleine ein. Dass wir bei den Wahlen im Kanton Genf teilweise mit unvollständig gefüllten Wahllisten angetreten sind, zeigt, dass noch Luft nach oben beseht
Ende März wurden Sie für eine weitere zweijährige Amtszeit als Parteipräsident gewählt. Ihre erste Amtszeit war von vielen Wahl- und Abstimmungsniederlagen geprägt. Sind Sie der richtige Parteipräsident – und was müssen Sie besser machen?
Es war von Anfang an klar, dass ich die SVP in die Wahlen 2019 führe. Meine Wiederwahl war unbestritten. Verbessern kann man sich immer: Ich habe die mangelhafte Mobilisierung angesprochen. Da muss jedes Parteimitglied von der Basis bis zur Spitze mehr tun – davon nehme ich mich nicht aus.