Seit vergangenen August arbeiten Sie als «Head of Wind Development» bei Axpo. Was ist das für ein Job?
Das ist eine frisch geschaffene Stelle: Es ist eine neue Stossrichtung von Axpo, Windprojekte in der Schweiz umzusetzen. Meine Aufgabe ist es, die ganze Schweiz zu screenen, um geeignete Standorte zu finden. Dann suche ich das Gespräch mit den lokalen Behörden und natürlich der Bevölkerung, um alle ins Boot zu holen.
Die ganze Schweiz?
Die Rechnung geht so: Das Bundesamt für Energie weist ein Windpotenzial von 29 Terawattstunden aus. Die Branche rechnet mit neun, die tatsächlich auch zu bauen sind. Von diesen wiederum befinden sich zwei bereits in verschiedenen Phasen der Projektierung, 0,2 sind in Betrieb. Bleiben also sieben Terawattstunden. Das ist sehr viel. Es entspräche knapp zehn Prozent des jährlichen Stromverbrauchs der Schweiz.
Jahrelang hat Axpo Windparks im Ausland gebaut. Und jetzt ist die Schweiz plötzlich ein Windland geworden?
Ja, weil es plötzlich mehr windet! (Lacht.) Nein: Die Wind-Technologie hat unglaubliche Fortschritte gemacht. Bis vor 5 Jahren galt, dass es ungefähr 7 Meter pro Sekunde Wind braucht, um wirtschaftlich Energie zu produzieren. Heute brauchen wir noch 5 Meter pro Sekunde. Generell lässt sich im Bereich Windenergie sagen: Was vor zehn Jahren galt, ist heute wohl kaum mehr gültig.
Aber an der Grundvoraussetzung hat sich ja nichts geändert: Windenergie lässt sich weniger gut kalkulieren als Bandenergie aus einem AKW.
Die Windenergie kann man nicht steuern, aber man kann sie gut voraussagen, und zwar auf Tages- oder gar Stunden-Basis. An den Märkten wird Strom im Viertelstundentakt gehandelt und der Windstrom kann da effizient eingesetzt werden. Wir können sehr gut planen. Wichtig ist, dass man über ein breites Portfolio unter anderem aus Wind, Wasser und Sonne verfügt, um den Bedarf jederzeit abzudecken. Und Wind hat dabei eine Schlüsselrolle im Winter, wenn es weniger Sonne und Niederschlag gibt.
Ihr CEO Christoph Brand hat einmal gesagt, die Schweiz brauche für die Energiewende etwa 800 Windräder. Wie viele will Axpo davon bauen?
So viele wie möglich! Aber man muss die Realitäten kennen: In der gesamten Schweiz stehen aktuell 47 Windräder, Axpo hat eines davon. Wir müssen also Schritt für Schritt nehmen. Aber ja klar, wenn wir die Energieziele 2050 erreichen wollen, bräuchte es zwischen 4 und 6 Terawattstunden Windenergie pro Jahr im Strommix – das entspricht ungefähr 500 bis 1000 Turbinen.
Aber einen «Head of Wind Development» braucht es nicht für ein Windrad. Haben Sie keine Zielvorgaben?
Ich bin jetzt seit ungefähr einem halben Jahr in dieser Funktion. In dieser Zeit ist es uns gelungen, zwei Absichtserklärungen mit Gemeinden zu vereinbaren für jeweils einen Windpark mit zwischen zehn und zwanzig Turbinen. Wir befinden uns da in einem sehr frühen Stadium, die betroffene Bevölkerung wird dazu zeitnah und transparent über die Projekte informiert werden. Wenn wir sie auf die Reise mitnehmen können, könnten wir mit den Projekten in drei bis sieben Jahren ungefähr 100 Gigawattstunden Strom produzieren. Ich wünsche mir einen Ausbau von 50 bis 100 Gigawattstunden pro Jahr.
Windkraftprojekte stossen auf grossen Widerstand: Neue Initiativen oder Referenden wie etwa zum Stromgesetz zeugen davon. Wie gehen Sie damit um?
Man muss keine Windgegner überzeugen, sondern die Befürworter und die lokale Bevölkerung auf die Reise mitnehmen. Wir müssen aufzeigen können, wie sie von einem Projekt profitieren kann. Es braucht viel Transparenz und Vertrauen.
Der Ausbau der Alpinsolarkraft lässt abschätzen, wie schleppend das gehen kann. Was ist ein fairer Lohn für eine Gemeinde?
So pauschal kann ich das nicht sagen. Es ist klar, dass es einen Ausgleich braucht, dieser kann jedoch sehr individuell aussehen. Vielleicht gibt es Beteiligungen lokaler KMU, vielleicht beteiligen wir uns an benötigter zusätzlicher Infrastruktur. Jedes Projekt wird individuell angeschaut und von den lokalen Gegebenheiten und Partnern im Dialog mit beeinflusst.
Die Vorbehalte in den Bergen gegen Stromkonzerne sind gross.
Es gibt diese Idee, die Schweizer Berge seien eine Goldgrube für Stromkonzerne. Das ist komplett falsch: Es braucht ein grosses Portfolio, um überhaupt wirtschaftlich zu bleiben. Vergangenes Jahr war ich verantwortlich für den Windpark Mollendruz (ein Projekt der EWZ in der Planungsphase, Anm. d. Red.) – innerhalb eines Jahres hätten wir dessen Kosten zur Hälfte amortisiert. Inzwischen sind die Preise wieder gefallen. Da lohnt sich eine Investition nur, wenn man genug gross ist, um von Portfolioeffekten profitieren und sie auch sicher tragen zu können.
Können Sie die Ängste der Bevölkerung im Zusammenhang mit Windkraft verstehen?
Ich kann nachvollziehen, dass Windkraft Veränderung bedeutet und dass es eine Angst vor Veränderungen gibt. Aber Angst ist ein schlechter Begleiter. Nehmen Sie die beiden Initiativen des Vereins Freie Landschaft Schweiz, welche Windräder im Waldgebiet aus Klimaschutzgründen verhindern wollen: Das ist doch absurd. Ein Windrad bringt uns der Klimaneutralität näher als die Bäume, die dafür gefällt werden müssten. Ausserdem: Windräder sind sehr ästhetisch!
Was ist mit der Sorge um Vögel?
Auch in diesem Bereich spielt der technologische Fortschritt. Heute erkennen Radars einen grossen Vogelzug im Anflug und stoppen die Anlagen. Vögel sind wirklich kein Problem mehr. Bei den Fledermäusen ist es etwas anders, aber auch hierzu stützen wir uns auf aktuelle Forschung. Da gibt es spezielle Konditionen in der Dämmerung mit viel Mücken, die sensibel sind – aber auch dann werden die Rotoren gestoppt. Das ist zudem meist im Juli und August, wenn Windenergie ohnehin eine untergeordnete Rolle spielt.
Seit Anfang Monat ist der sogenannte Windexpress in Kraft, der fortgeschrittene Windprojekte beschleunigen soll. Was erhoffen Sie sich davon?
Für Axpo? Null. Wir haben keine Projekte, welche sich im dafür nötigen Stadium befänden. Ganz generell gesprochen ist der Windexpress ein wichtiges Symbol, weil er die angespannte Versorgungssicherheit verdeutlicht. Ähnliches gilt für die sogenannte Beschleunigungsvorlage. Man gewinnt vielleicht ein, zwei Jahre pro Projekt dadurch, dass man nicht mehrfach dagegen vors Bundesgericht gelangen kann.
Wichtiger ist wohl die Abstimmung über das Stromgesetz, über welches die Schweiz im Juni abstimmt.
Die ganze Branche steht in der Verantwortung. Für mich – und das ist meine persönliche Haltung – wäre alles weniger als 60 Prozent Zustimmung zu diesem Gesetz eine Katastrophe. Im Parlament waren sämtliche Parteien dafür. Wenn eine kleine Gruppe nun derart in die Opposition gehen kann, haben wir wirklich ein Problem. Ich persönlich hoffe auf 70 Prozent Ja-Anteil. Das würde den Erneuerbaren zusätzlichen Schub verleihen. (aargauerzeitung.ch)