Alt Bundesrat Couchepin: «Sagt die FDP Ja zu Europa, erhöhe ich die Parteispende»
Am Samstag trifft sich der Freisinn in Bern zu einer richtungsweisenden Debatte. Stellt sich die FDP hinter das Vertragswerk, das die Beziehung der Schweiz zur EU langfristig stabilisieren will? Oder fürchtet sie sich vor dem Verlust der Eigenständigkeit der Schweiz? Und was ist eigentlich mit der leidigen Frage, ob es für den EU-Deal ein Ständemehr braucht?
Um diese Fragen ist vor der FDP-Delegiertenversammlung ein grosses Seilziehen im Gange. Parteigranden aus verschiedenen Jahrzehnten melden sich zu Wort, um der parteiinternen Debatte noch einen letzten Impuls zu versetzen. Unter ihnen ist auch alt Bundesrat Pascal Couchepin, zwischen 1998 und 2009 Wirtschafts- sowie Innenminister. Er meldet sich mit einem Appell an die FDP-Basis – und einem frivolen Angebot.
Herr Alt Bundesrat, dieses Wochenende fällt die FDP die Entscheidung zu Europa. Wie stehen Sie zu den neuen Verträgen?
Ich befürworte sie ganz klar. Sie schützen uns, sie helfen uns und sie stehen auch im Einklang mit der Tradition der Schweiz.
Wie meinen Sie das? Stichwort fremde Richter: Die Schweiz verliert doch auch ein Stück ihrer Souveränität. 
Natürlich hat ein gegenseitiges Einvernehmen nicht nur Vorteile für die Schweiz. Aber der bilaterale Weg ist für unser Land der beste. Er gibt Stabilität und Rechtssicherheit mit dem wichtigsten Handelspartner der Schweiz. Staatssekretär Alexander Fasel sagte kürzlich in einem Interview gegenüber der «NZZ» über den EU-Deal: «Wir machen dort mit, wo wir dies brauchen und wollen, und bleiben überall dort unabhängig, wo wir nicht mitmachen wollen.» Diese Haltung teile ich zu einhundert Prozent.
Es steht viel auf dem Spiel. Im Bundesrat selbst ist ein Disput darüber entbrannt, ob es für die neuen Verträge ein doppeltes Ja braucht. Wie stehen Sie dazu?
Ich habe das Gutachten des Bundesamts für Justiz studiert und vertraue den Einschätzungen dieser Fachleute, dass es für ein Ständemehr keine verfassungsrechtliche Grundlage gibt. Die einzige ehrliche Begründung für ein Ständemehr ist die Hoffnung der Gegner, mit viel Geld eine Sperrminorität zu errichten. Und das ist gefährlich.
Warum gefährlich?
Man spielt nicht mit der Verfassung! Die Gegner opfern die Verfassung für ihre eigenen taktischen Ziele.
Ihre Partei, die FDP, tut sich schwer in der EU-Frage. Was schätzen Sie, werden sich die Delegierten am Samstag für die neuen Verträge aussprechen?
Ich bin nicht mehr besonders nah am Puls dieser Partei, obwohl ich ihr immer noch treu verbunden bin. Aber wenn alles seinen gewohnten Lauf nimmt, wird sich wohl eine Mehrheit dafür aussprechen, denke ich.
Und wie wird sie sich zum Ständemehr positionieren?
Diese Frage ist noch schwieriger zu beantworten, weil es sich hier auch um strategische Überlegungen handelt. Die FDP täte aber gut daran, über Grundsätzliches abzustimmen.
Sind sie am Samstag vor Ort?
Nein, und ich werde die Debatte auch nicht im Livestream verfolgen. Ich war an so vielen Parteiversammlungen in meinem Leben! Ich werde mich übrigens auch nicht in Gastbeiträgen äussern. Kürzlich hat mir jemand meine gebündelten Artikel vorbeigebracht, die ich seit den Sechzigerjahren in Zeitungen verfasst habe: Es waren 1500 Stück – und alle kostenlos geschrieben (lacht).
Aber sollte die FDP Ja sagen, machen Sie dann eine Flasche Rotwein auf?
Das vielleicht nicht. Aber ich werde im kommenden Wahljahr ganz sicher die Parteispende erhöhen. Das verspreche ich.
So stehen die anderen Alt Bundesräte der FDP zur Europa-Frage
Kaspar Villiger (1989-2003)
Als sich die FDP-Delegierten im Juni zur Versammlung in Hergiswil trafen, kündigten sie einen Überraschungsgast an. Und feierten Kaspar Villiger, den ehemaligen Finanzminister, als Vater der Schuldenbremse. Zu Wort meldete sich dieser dann aber vornehmlich in der Europa-Politik. Villiger lobte das EU-Paket als «tragfähige Lösung», welche die Schweizer Beziehungen zur EU stabilisiere und Rechtssicherheit gewährleiste. Er stärkte damit Aussenminister Ignazio Cassis den Rücken, der «trotz enormer Widerstände» einen vorteilhaften Deal mit der EU ausgehandelt habe.
Hans-Rudolf Merz (2003-2010)
Hans-Rudolf Merz war als Finanzminister beteiligt an den Verhandlungen rund um die Bilateralen II und hat diese auch stets verteidigt. Zum jetzigen EU-Paket ist er aber skeptisch eingestellt. Grund sind die Ausgleichsmassnahmen, welche die EU ergreifen kann, wenn die Schweiz ein weiterentwickeltes EU-Recht ablehnt. «So lange nicht klar ist, wie diese aussehen, kann ich nicht Ja sagen», erklärt Merz. Auch die Frage nach einem Ständemehr beantwortet klar: «Natürlich braucht es das. Ich bin und bleibe ein in der Wolle gefärbter Föderalist.»
Didier Burkhalter (2009-2017)
Der Neuenburger hat die Europapolitik ab 2012 als Aussenminister verantwortet. Er setzte sich für die Fortsetzung des bilateralen Wegs ein und trieb die Gespräche mit Brüssel zunächst energisch voran. Doch das Ja zur Masseneinwandrungsinitiative im Februar 2014 bremste ihn aus. Danach strebte er eine Lösung an, um die Bilateralen und die direkte Demokratie unter einen Hut zu bringen. Er brachte die Verhandlungen mit der EU nicht zum Abschluss. Seit seinem Rücktritt 2017 lebt Burkhalter sehr zurückgezogen. Er äussert sich nicht mehr öffentlich zu Fragen der Partei- und Tagespolitik.
Johann Schneider-Ammann (2010-2018)
Es ist ein aus mehrerlei Hinsicht ein bemerkenswerter Gastkommentar, den die «NZZ» zum Wochenstart veröffentlichte. Johann Schneider-Ammann, ehemaliger Wirtschaftsminister, positioniert sich darin gegen das EU-Vertragspaket. In teils markigen Sätzen: «Keine eigenständige Demokratie und schon gar nicht unser direktdemokratischer, stark föderalistisch und subsidiär aufgebauter Staat» könne der dynamischen Rechtsübernahme der EU zustimmen. «Die eigenen Stärken zu bewahren, erfordert manchmal, sich unbeliebt zu machen. Diesen Mut müssen wir aufbringen», schreibt Schneider-Ammann. (aargauerzeitung.ch)


