«Wenn ich das im Laden sehe, frage ich mich: Wer kauft das noch?»
Kürzlich haben Sie auf Instagram Ihren Znacht geteilt. Auf dem Bild sieht man eine Büchse Sardinen und daneben Milchreis mit Himbeeren.
Noah Bachofen: Das war tatsächlich mein Znacht. Was ich auf Instagram nicht geschrieben habe: Eigentlich hat meine Tochter den Milchreis gegessen – zwei Löffel – und ich den Rest. Es war schon nicht so, dass ich beim Posten gedacht habe: Ah, Sardinen und Milchreis, das passt megagut.
Obwohl das ja Ihr Job ist: Sachen auszuprobieren, die eigentlich nicht zusammenpassen, aber geschmacklich doch ein Feuerwerk geben.
Das gehört dazu. Wenn man eine gewisse Zeit lang kocht, weiss man aus dem Kopf, welche Zutaten zusammenpassen und welche nicht.
Was passt nicht zusammen?
Milchreis und Sardinen, würde ich sagen. (lacht) Man kann fast alles kombinieren. Zudem sind die Geschmäcker verschieden. Es gibt Leute, die sagen, Käse mit Konfi würden sie nie essen. Dabei ist das ein Klassiker, so wie Lyoner mit Mayonnaise. Wobei ich eher kein Fan von Mayonnaise im Sandwich bin. Es gibt Dinge, die einfach vorbei sind.
Zum Beispiel?
Sülzli mit Gemüse und Fleischwürfeli als Füllmaterial. Immer wenn ich das im Laden sehe, frage ich mich: Wer kauft das noch? Generell sind gelierte, glänzende Sachen etwas aus der Mode, so rein von der Ästhetik.
Was ist für Sie ästhetisch beim Essen?
Dinge sollen frisch aussehen, am besten heiss und dampfend – das hat automatisch einen optischen Reiz. Ansonsten: mit Liebe arrangiert. Die überinszenierte Küche der frühen 2000er mit Türmchen und Garnituren ist für mich vorbei. Es darf eine simple Pasta sein – Hauptsache gut gekocht.
Sie sind Food-Influencer, Kochbuchautor, TV-Koch. Wie haben Sie Ihren Verwandten erklärt, was ein Food-Influencer ist?
Eigentlich musste ich es kaum erklären. Meine Grossmutter ist selbst auf Instagram und hat alles mitverfolgt.
Aber wie erklären Sie, was Sie machen?
Ich mache 60-Sekunden-Rezeptvideos und teile sie auf Instagram. Die Leute schauen das, weil es sie unterhält und ihnen als Inspiration dient. Daneben gibt es Restaurant- oder Weinempfehlungen, manchmal auch eine Wanderung – alles Mögliche rund ums Essen.
Sie sind im Glarnerland aufgewachsen. Wie war Ihre Kindheit?
Recht normal, ländlich, ohne die Möglichkeiten der Stadt. Ich habe drei Geschwister, meine Mutter war die meiste Zeit alleinerziehend. Schulisch war ich nicht wahnsinnig stark, darum bin ich Koch geworden.
Gibt es da einen Zusammenhang?
Ja, klar. Ich glaube, ich habe bisher nur einen Koch kennengelernt, der das Gymi gemacht hat. Koch ist ein klassischer, simpler Beruf. Und für einen Jugendlichen nicht unbedingt der attraktivste: Man arbeitet bis abends spät, an Wochenenden, es ist streng und man verdient nicht viel. Sogar, wenn man irgendwann mal ein eigenes Restaurant hat, bedeutet das viel harte Arbeit.
Aber man kann Food-Influencer werden.
Ich würde keinem Lehrling versprechen, dass er später Influencer wird – die Chance ist gering. Allerdings beginnen heute wohl viele eine Kochausbildung mit genau diesem Traum.
Die Kochlehre scheint immer unbeliebter zu werden. Woran liegt das?
Das hat sicher mit der heutigen Generation zu tun. Ausserdem ist es einfacher, sich zu informieren. Als ich mich entschied, Koch zu werden, hatte ich keine Ahnung, worauf ich mich einlasse. Ich hab einfach gern für meine Geschwister gekocht, mal einen Kuchen gebacken und dachte: Das wird ja wohl reichen. Ich hatte Glück, dass mich der Beruf nach zwei bis drei Jahren wirklich faszinierte. Zuerst wollte ich abbrechen.
Aber?
Meine Mutter war alte Schule und hat mich gezwungen, die Lehre abzuschliessen. Koch ist ein Beruf, bei dem es lange dauert, bis man wirklich etwas wert ist. In den ersten zwei Jahren putzt und rüstest du Gemüse, mehr nicht. Nach drei bis fünf Jahren hat man das Handwerk im Griff und kann Leute beeindrucken – dann macht es Spass. Aber durch die Anfangsphase muss man sich durchbeissen. Oder – und das empfehle ich – man steigt später ein, mit 19 oder 20, wenn man weiss, was einen erwartet und mehr Lebenserfahrung hat.
Warum hilft Lebenserfahrung in der Küche?
Zum Beispiel wegen der Hierarchien. Mit 15 Jahren hast du von nichts eine Ahnung. Mit 22 bringst du eher Grundkenntnisse und eine Faszination fürs Essen mit und kannst dich breiter einbringen.
Wird man in der Küche wirklich ständig zusammengestaucht?
Es gibt solche Betriebe noch. Aber die neue Generation der Chefköche ist anders, weil sie einfach nicht mehr genug Bewerbungen bekommen. Du weisst: Wenn du jemanden aus der Gen Z anschreist, ist er nächste Woche weg.
Wie war das bei Ihnen?
Ich habe an einem strengen Ort gelernt. Mit 16 habe ich sieben, acht, neun Tage am Stück gearbeitet – eine solche Belastung ist man sich aus der Schule nicht gewohnt. Der Chef hat mich spüren lassen, dass ich ihm nicht helfe und eher nerve. Ab dem zweiten, dritten Lehrjahr, als ich die Basics konnte, wurde ich eine Bereicherung und wurde weniger zusammengestaucht. Aber am Anfang habe ich fast jede Woche geweint; meine Oberstiftin weinte täglich. Das war damals «normal». Heute würde ich meine Tochter aus so einem Betrieb abziehen.
Woher kommt dieser Umgangston?
Es war eine Überforderung der Betriebe, die von ganz oben nach ganz unten weitergegeben wurde. Früher gab es riesige A-la-carte-Karten. Wegen der günstigen Preise standen in der Küche drei Leute zwölf Stunden ohne Pause. Heute reduziert man die Karten und gestaltet Konzepte so, dass man gut kochen kann, die Angestellten es gut haben – und niemand dauernd am Anschlag ist.
Wann waren Sie im «Magdalena» – dem Zwei-Sterne-Restaurant in Rickenbach, in dem Sie lange als Sous-Chef gearbeitet haben – glücklicher: wenn die Gäste zufrieden waren oder wenn das Team zufrieden war?
Offen gestanden: wenn die Mitarbeitenden zufrieden waren. Gästezufriedenheit bekommt man weniger mit. Man fragt zwar am Tisch, aber die meisten sagen eh «super». Die Stimmung in der Küche spürt man hingegen den ganzen Tag. Wenn Fehler passieren, schläfst du schlecht und denkst: War das mein Fehler, hätte ich was sagen müssen … Wenn hingegen ein einzelner Gast die Sauce etwas versalzen fand, …
… spuckt man ihm ins Dessert?
Das ist so ein Mythos! Kein Koch würde jemals etwas versauen, das er selbst gekocht hat.
Im «Magdalena» waren Sie ganz oben, standen in allen Gourmetführern. Welche Eigenschaften braucht man, um sich in der Spitzengastronomie wohlzufühlen?
Vor allem Leidenschaft für die Gourmetküche. Ohne echte Liebe ergibt es keinen Sinn, weil der Alltag extrem fordernd ist. In einem Restaurant mit zwei Sternen muss alles perfekt sitzen. Diesen Druck spürt man jede Minute.
Wie sind Sie damit umgegangen?
Nicht gut. Als ich im «Magdalena» anfing, kannte ich die Sterneszene kaum, also habe ich mich hineingefuchst – auch an freien Tagen. Das ist ungesund. «Als Erster kommen, als Letzter gehen» – das klingt cool, bis man im Burnout landet.
Sie auch?
Mehr oder weniger. Mir ging es immer schlechter. Im Alltag habe ich es zunächst weggedrückt, in den Ferien wurde ich dann krank – mal mit Fieber, mal «nur» total erschöpft. Die Ärzte haben nichts gefunden. Irgendwann sagte meine Frau: «Du bist völlig überarbeitet, du solltest eine Therapie machen.» Für die Therapeutin war die Diagnose schnell klar: Erschöpfungsdepression/Burnout. Sie sagte, ich müsse entweder einen Ausgleich schaffen oder den Job wechseln.
Wie sind Sie aus dem Loch gekommen?
Mein Problem war, dass ich mir nicht vorstellen konnte, aus dem «Magdalena» wegzugehen. Das war mein Baby, meine Identität. Ich fragte mich: Wer bin ich, wenn ich nicht mehr Sous-Chef im Zwei-Sterne-Haus bin? Glücklicherweise habe ich durch Social Media eine neue Identifikation gefunden. Das öffnete mir die Tür in die Selbstständigkeit. Und mittlerweile identifiziere ich mich nicht nur über den Job, sondern auch als Vater und als Mensch. Ich höre früher auf meinen Körper und rede auch darüber, wenn ich wieder eine Panikattacke habe.
Wie äussern sich diese Panikattacken?
Bei mir ist es das Gefühl, keine Luft zu bekommen, Schweissausbrüche, Schwindel, Herzrasen. Ausgelöst werden die Attacken durch Stress und Überarbeitung, aber sie treten dann oftmals in Situationen auf, in denen ich mich wohlfühle, etwa, wenn ich mit Freunden in einem Restaurant bin. Ich weiss mittlerweile: Wenn ich dann meinem Umfeld sage «Ich habe gerade eine Panikattacke», löst sich der Knoten. Heute erkenne ich Überlastung früher und plane Pausen.
Wie möchten Sie einst beschrieben werden?
Als lebensbejahend, positiv, lustig – und als jemand, der Kulinarik auflockert und zugänglich macht. Starre Regeln haben mich schon in der Lehre genervt – ausser es gibt einen guten Grund.
Kommen wir noch einmal auf Ihre Tochter zurück. Was isst die am liebsten?
Sie ist wählerisch und probiert sehr wenig Neues. Was immer geht: Polenta, Nudeln und Reis. Kürzlich habe ich Pommes frites gemacht und obendrauf ein bisschen Rösti getan, weil ich dachte, dann würde sie mal Rösti versuchen. Sie ist schier ausgerastet. Manchmal sage ich zum Spass, dass sie die erste Drei-Sterne-Köchin der Schweiz wird. Aber das sage ich nur, solange sie das nicht versteht, weil ich natürlich nicht will, dass sie irgendwelchen Druck spürt.