Christian Frei, Sie haben mit «Sleepless in New York» einen Film über Liebeskummer gemacht. Dabei wird klar, wie unvorstellbar heftig Herz, Hirn und der ganze menschliche Organismus auf eine schmerzhafte Trennung reagieren können.
Menschen bringen sich um aus Liebeskummer, Menschen morden aus Liebeskummer. Wer bei der Polizei arbeitet und hört, es sei irgendwas Schlimmes in einem Haus passiert, muss davon ausgehen, dass es sich um ein Beziehungsdelikt handelt. Also um ein Delikt aus Liebe. Die unglaubliche Macht der Liebe, die ist zuerst da, dann kommt die Kultur und macht etwas daraus. Die Liebe ist das grossartigste Gefühl, das wir kennen - wenn es gut läuft! Und sie wird zur Hölle, wenn es schlecht läuft.
Die Liebe als Schicksal?
Es gibt diese provozierend freche Definition von Liebe: «Love is to overestimating the difference between one woman and the other.» Da ist was Wahres daran! Was geschieht, wenn wir uns verlieben? Ein anderer Mensch wird plötzlich unendlich wichtig und kostbar. Wow! Ein Universum geht auf. Der ist es! Obwohl vielleicht auch tausend kleine Warnlämpchen rot aufleuchten. Das ist übrigens in der Kunst nicht anders. Auch als Künstler verliebt man sich in seine Idee… sein Werk. Man blendet alles aus, was nicht ins Bild passt, fokussiert und konzentriert sich total, bekommt eine libidinöse Lust am Gegenstand, ist getrieben und absolut sicher, das ist das Geilste und Wichtigste der Welt. Das ist doch das gleiche System.
Dann waren Sie auch in Ihre drei Protagonisten verliebt?
Nein, überhaupt nicht, da war ich in einer väterlichen oder brüderlichen Rolle. Ich war ein vorsichtig empathischer Begleiter in einem extremen Ausnahmezustand: Wer verlassen wird, dessen Selbstwertgefühl ist unter Null. Wer will sich so auf der Kinoleinwand verewigen lassen? Dass sie mir überhaupt so sehr vertrauten, ist ein Wunder, aber das ist schliesslich auch mein Handwerk. Und das meines Kameramanns Peter Indergand.
Der ja bei allen Ihren Filmen dabei war.
Er ist unglaublich sensibel und intelligent. Meine Protagonistin Alley, eine Floristin, sagte mir: «He’s like a cat», nicht eine Katze, die lauert und sie anstarrt, sondern eine Hauskatze, deren diskrete Anwesenheit nicht stört, sondern einfach da ist mit der Kamera. Ich begegnete meinen drei Protagonisten mit dem allergrössten Respekt und machte ihnen klar: Ich bin da, weil du mir am Herzen liegst. Und weil ich deinen Schmerz ernst nehme. Ich hatte vorher keine Bilder im Kopf. Ich versuche nicht, die Schönheit des Authentischen zu korrigieren.
Ihnen steht die Anthropologin Helen Fisher zur Seite. Sie beweist, dass Liebesentzug körperlich die gleichen Symptome auslöst wie Drogenentzug. Was ist ihre Annäherung an die Liebe?
Ich finde den anthropologischen Ansatz eine grossartige Ergänzung zur Psychoanalyse. Helen Fisher sagt, die Liebe sei keine Erfindung der Troubadoure oder der Romantik, das sei sehr viel älter und viel zu extrem, viel zu archaisch, um ein kulturelles Konstrukt zu sein. Das älteste Liebesgedicht der Welt ist schliesslich schon 4000 Jahre alt!
Sie nennen New York die Welthaupstadt der Liebeskranken. Das ist ja in den letzten Jahrzehnten auch immer wieder in Filmen und TV-Serien so festgeschrieben worden. Wird «Sleepless in New York» die Single-Stadt erobern?
Das hoffe ich doch sehr! Meine Filme sind dank Netflix in Amerika sehr präsent. Man muss sich als Filmemacher dieser Realität einfach stellen: Ins Arthouse-Kino gehen die Leute nur noch in den grossen Städten, in New York, San Francisco oder L.A. Aber in all den riesigen Suburbs, wo die Wege zu den Kinos weit und die Babysitter teuer sind, schauen die Leute die Arthouse-Filme auf Netflix. Für mich ist das kein Qualitätsverlust, die Sorgfalt meiner Arbeit bleibt ja auch erhalten, ein Kinofilm bleibt ein Kinofilm, auch wenn er auf Netflix läuft.
Was bereitet Ihnen als Filmemacher denn Liebeskummer?
Ich möchte die Disziplin erlernen, Kritiken nicht allzu ernst zu nehmen und am liebsten gar nicht mehr zu lesen. Auch nicht die euphorischen Kritiken! Wim Wenders hat mir einmal gesagt: «Wenn du ihnen glaubst, wenn sie dich hochjubeln, dann musst du ihnen auch glauben, wenn sie dich voll Scheisse finden.» James Nachtwey etwa, der Kriegsfotograf, den ich in «War Photographer» begleite, ist da sehr konsequent: Als er 1994 aus Ruanda zurückkam, wo er den Völkermord dokumentiert hatte, warf man ihm vor, seine Bilder seien «War Pornography». Man hat also seine Kritik am Krieg sexualisiert, hat behauptet, er geile sich daran auf. Das hat ihn schwer traumatisiert. Seither geht er konsequent seinen Weg, ohne jemals Kritiken zu lesen.
Die Einsamkeit ist ein weiteres trauriges Thema Ihres Films.
Die Einsamkeit ist vor allem Nachts quälend. Und da kann ich mich ja nicht mit meinem Team in ihre Schlafzimmer stellen und sagen: «Wir filmen jetzt. Tu so, als seien wir gar nicht da. Du bist jetzt ganz allein.» Deshalb benutzen wir Skype. Da kommen ganz zarte, intime Momente zustande, die kein bisschen arrangiert sind.
Neben Skype sind auch Facebook, Twitter, WhatsApp lauter neue externe Kommunikationsorgane. Fördert das nicht den Zwang, dem ehemaligen Partner zu folgen, ihn zu stalken und sich selbst dabei total fertig zu machen?
Absolut! Früher gab es nur den Briefkasten, vor dem man einmal täglich auf eine Nachricht warten konnte. Danach hatte man Ruhe. Die Display-Generation erlebt den totalen Horror: Sie hoffen rund um die Uhr auf eine Nachricht vom Ex!
Aber es geht noch wesentlich schlimmer, oder?
Ich kenne Leute, die ihr Handy ausschalten, es dann zuunterst in einer Schublade verstecken, damit sie endlich mal schlafen können, nur um nachts vier Mal aufzustehen, das Handy einzuschalten und dann todunglücklich auf dieses obszön leere Display zu starren. Leute, die ihr Handy für die Nacht beim Nachbarn abgeben, nur um diesen dann rauszuklingeln und sich total über das eigene Verhalten zu schämen. Viele entfreunden ihren Ex auf Facebook extra nicht. Rosey sagt das im Film sehr schön: «What in the world did we do before Facebook? I look at his profile probably twice a day. In the first week it was a million times a day.» Loslassen fällt so noch viel, viel schwerer als früher.
In Rosey habe ich mich verliebt. Rosey ist eine ungeheuer berührende Person.
Rosey ist Bourlesque-Tänzerin und lebt in einer wunderbar eigenartigen Welt. Und dann geht sie eines Tages als Meerjungfrau verkleidet an die Meerjungfrauenparade und verliebt sich dort in den Ehrengast, in König Neptun.
Aber nur für ein paar idealisierte Stunden, die sie dann ewig lange verfolgen!
Genau das ist es doch: Das Märchen von der Liebe. Rosey hat nach einem Prinzen gesucht und ihn gefunden, genau so hat sie sich die grosse Liebe vorgestellt. Die perfekte Liebe als Fantasie, als reines Konstrukt im Kopf. Zum Glück ist das jetzt anders. Rosey heiratet im nächsten März einen Fotografen, Ben, und gemeinsam sind sie das bodenständigste Paar, das man sich vorstellen kann. Und wer macht den Blumenschmuck? Alley.