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Baby-Jail-Frontsänger zum neuen «Tubel»-Video: «Ab und zu die Egoisten ärgern, das darf schon sein.»

Baby Jail, das sind: Nico Feer (Gitarre, Gesang), Bice Aeberli (Bass, Gesang), Boni Koller (Gesang, Gitarre) und Aad Hollander (Schlagzeug). 
Baby Jail, das sind: Nico Feer (Gitarre, Gesang), Bice Aeberli (Bass, Gesang), Boni Koller (Gesang, Gitarre) und Aad Hollander (Schlagzeug). 
bild: facebook/baby jail
Interview

Baby-Jail-Frontsänger zum neuen «Tubel»-Video: «Ab und zu die Egoisten ärgern, das darf schon sein.»

Der Kultsong «Tubel Trophy» der Schweizer Band Baby Jail feiert nach 23 Jahren seine Wiedergeburt: Er klettert zum zweiten Mal in die Charts und hat ein brandneues Video erhalten – ein Gespräch mit Frontsänger Boni Koller über politische Songs, die Bedrohung aus dem Osten und die Angst, dass Angstmacherei im Wahlkampf fruchtet. 
11.10.2015, 13:1312.10.2015, 13:36
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Die Schweizer Band Baby Jail gibt es schon seit 1985. Nur hiessen sie da noch Bébés Phoques. 1994 löste sich die vierköpfige Truppe auf, um dann, 18 Jahre später, wieder aus dem Grab zu steigen: Das lauteste Cabaret war zurück – und bleibt es bis heute. 

«Es isch emal en Tubel gsiii!»
«Tubel Trophy»-Refrain
Aktion Tubel Trophy
1991 schrieb der Leadsänger Boni Koller den Song «Tubel Trophy» anlässlich der 700-Jahre-Schweiz-Feier. Damals marschierten Neonazis zum ersten Mal mit ihren Kampfstiefeln aufs Rütli – und «Tubel Trophy» direkt in die Top Ten der Charts. Jetzt, 24 Jahre später, tut er es noch einmal: Dabei hilft die «Aktion Tubel Trophy», eine private Initiative auf Facebook, die zum Download des Kultsongs aufruft: Er soll als Zeichen für Toleranz, Humanität und Gelassenheit auf Platz 1 der Charts klettern. Die Einnahmen gehen an die Schweizerische Flüchtlingshilfe.

Der Clip zu ihrem Kultsong «Tubel Trophy» ist das Einzige, was über zwanzig Jahre später vielleicht ein bisschen verstaubt wirkt. Deshalb haben Baby Jail ein brandneues Video dazu gedreht. Und wir haben dem Frontsänger Boni Koller dazu ein paar Fragen gestellt. 

«Tubel Trophy» ist ein Kultsong. Jeder Schweizer kennt ihn. Jetzt habt ihr ein neues Video gedreht, um ihn abermals als politische Botschaft (Toleranz, Humanität, Gelassenheit) herauszuschicken. Was erhofft ihr euch davon?
​Boni Koller: Platz 1 in den Charts mag ein Traumziel bleiben, aber dass der Song einer neuen Generation zu Ohren kommt, kann nicht schaden.

Das neue «Tubel Trophy»-Video

Mit einem Song zu politisieren, das scheint ja im diesjährigen Wahlkampf total in zu sein. Die SVP hat es mit ihren Liedern «Wo e Willy isch, isch ou e Wäg» und «Welcome to SVP» vorgemacht. Fehlt es der politischen Linken manchmal an Überzeugungskraft, an «populistischen» Methoden, um die Wähler von sich zu überzeugen?
Dass unser Lied von der «Aktion Tubel Trophy» ausgewählt wurde, um für Toleranz und Gelassenheit zu werben, hat ursprünglich nichts mit Wahlkampf und den SVP-Werbespots zu tun. Dass wir nun gleichzeitig in den Charts sind, ist aber selbstverständlich ein Thema. Ich denke nicht, dass die Linke ähnlich populistisch wie die SVP auftreten sollte, denn eigentlich sollten ja die besseren Argumente überzeugen. Nur ist es halt leider einfacher, mit Vorurteilen und Ängsten zu punkten als mit komplexen Zusammenhängen.

Aber ihr als Band dürft populistische Botschaften senden?
Baby Jail ist keine linkspopulistische Band. Aber ab und zu die Egoisten ärgern, das darf schon sein. Wir sind ja keine Partei und müssen uns nicht darum sorgen, ob wir wiedergewählt werden.

Der Vergleich des Tubels mit gewissen Exponenten der SVP in eurem neuen Video ist ziemlich explizit. Bei der Songzeile «Dihei i sinere Beiz, deet händs en zimmli gschnäll vergässe – Und uf sim Platz, da isch scho glii en neue Tubel gsässe» wird Christoph Mörgeli von Toni Brunner ersetzt. Wie kam diese Idee zustande?
​Die Idee mit den SVP-Portraits im Video kam von der Regie her. Dass der Chefideologe schliesslich durch den Parteipräsidenten ersetzt wird, mag etwas plakativ und pubertär erscheinen, aber ich fand es trotzdem recht lustig, als ich es in der Endmontage zum ersten Mal sah.

Christoph Mörgeli und Toni Brunner haben einen wenig schmeichelhaften Auftritt im neuen «Tubel Trophy»-Clip.
Christoph Mörgeli und Toni Brunner haben einen wenig schmeichelhaften Auftritt im neuen «Tubel Trophy»-Clip.
bild: screenshots youtube/tubel trophy, bearbeitung watson

Die traurige Wahrheit ist: Auf einen verschwundenen Tubel folgt immer ein nächster. Ist es nicht irgendwie erfreulich und traurig zugleich, dass ein 24-jähriger Song, der von einem Stammtisch-Tubel handelt, nichts von seiner Aktualität eingebüsst hat?
​Das sind genau die gemischten Gefühle, die ich habe. Einerseits fühle ich mich geehrt, dass unser Lied 24 Jahre später noch immer als relevanter Beitrag zum Thema Fremdenfeindlichkeit gilt, andererseits ist es natürlich himmeltraurig, dass es in so vielen Jahren kein bisschen besser geworden ist.

Was nervt dich am aktuellen Wahlkampf?
Da nervt mich einmal mehr die millionenschwere Kampagne der Sünnelipartei. Dass die Beschwörung einer rückwärtsgewandten Folklore-Schweiz so grosse Zustimmung findet, finde ich völlig absurd. Und eigentlich weiss man doch längst, dass SVP-Politik grundsätzlich an Lösungen gar nicht interessiert ist.

Was erhoffst du dir von den kommenden Wahlen? 
Ich hoffe, dass die Angstmacher-Parolen wenig Erfolg haben. 

Was befürchtest du?
Mit Befürchtungen fange ich gar nicht erst an.

Baby Jail – «Da chönnt ja jede cho»

Ist «Tubel Trophy» der «politischste» Song, den ihr habt?
Was bedeutet schon «politisch», und was ist die Steigerung? Ich denke, das ist Ansichtssache, fast alles kann politisch sein. Aus dem Repertoire von Baby Jail fallen mir auf Anhieb ein paar Lieder ein, die einen mindestens so politischen Kontext haben wie «Tubel Trophy». Da wäre zum Beispiel der Anti-FA-18-Song «Da chönnt ja jede cho» von 1993, der «Albisgüetli-Marsch» vom letzten Album oder unsere Sommerhymne «Hallihallohallu», die ein paar gute Gründe gegen den Besuch eines SVP-Puurezmorge anführt.

Baby Jail – «Hallihallohallu» 

Mir fällt als gebürtige St.Gallerin da natürlich sofort der «Rapperswil»-Song (1988) ein: «D’Sanggaller schtönd scho z’Rapperswil». Ist der eigentlich angelehnt an die osmanische Expansionspolitik; so à la «Hilfe, die Türken stehen vor Wien»? 
Zu den eher politischeren Liedern zählt selbstverständlich auch das von dir genannte «Rapperswil ZH» von 1988. Damals gab es noch die Sowjetunion, und jede militärische oder kulturelle Bedrohung kam nach offizieller Lesart aus dem kommunistischen Osten. Die Idee des Rapperswil-Songs war simpel: die Machtblöcke werden verkleinert auf die Schweiz projiziert, und schon kämpfen die (guten) Zürcher gegen Überfremdung durch die (bösen) St.Galler aus dem Osten.

Die St.Galler nehmen den Song hoffentlich mit Humor?
Es gab bis heute nur sehr wenige St.Gallerinnen und St.Galler, welche die Ironie nicht verstehen wollten und sich ernsthaft beleidigt fühlten. Jüngstes Beispiel war allerdings erst vor wenigen Wochen ein Online-Journalist, der uns nebst der typischen Zürcher Arroganz auch Rassismus und allerlei mehr vorwarf. Der war aber offenbar mit rein gar nichts einverstanden, was ich an Texten je geschrieben habe, das bescherte mir dann auch keine schlaflosen Nächte.

Baby Jail – «Rapperswil ZH» 

Habt ihr bald neue tolle Sachen für uns?
​Wir machen gerade eine Pause, aber im Frühling gibt es wieder Konzerte und ein paar neue Lieder.

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