Schweiz
Energie

Bundesrat Rösti zweifelt an sicherer Stromversorgung ohne AKW

Bundesrat Albert Roesti spricht mit SRF Journalistin Livia Middendorp an einem Sommergespraech, am Dienstag 8. Juli 2025, auf dem Le Moleson. (KEYSTONE/Peter Schneider)
Albert Rösti beim Mediengespräch am Dienstag auf dem kalten und nebligen Moléson.Bild: keystone

Bundesrat Rösti «liebäugelt» mit einem neuen Atomkraftwerk

Energieminister Albert Rösti macht sich Sorgen um die Stromversorgung der Schweiz. An einem Mediengespräch liess er durchblicken, dass es ohne neues AKW kaum gehen dürfte.
09.07.2025, 16:2709.07.2025, 16:27
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Der Moléson in Freiburg bezeichnet sich als schönster Aussichtspunkt der Westschweiz. Diese Eigenwerbung keine Übertreibung: Bei Prachtwetter überblickt man von Genf bis in den Jura fast den gesamten französischsprachigen Landesteil. Als Bundesrat Albert Rösti am Dienstag die Bundeshausmedien auf den Berg führte, sah man … gar nichts.

Auf dem kurzen Marsch von der Bergstation der Seilbahn bis zum Gipfel herrschen dichter Nebel und Temperaturen im einstelligen Bereich. Ein Steilpass für den SVP-Bundesrat, in dem Grüne und Öko-Aktivisten einen verkappten Klimaleugner wittern? Keineswegs. Die brütende Hitze von letzter Woche sei «nicht normal», betonte Rösti auf dem Weg zum Gipfel.

Bundesrat Albert Roesti spricht mit Medienschaffenden an einem Sommergespraech, am Dienstag 8. Juli 2025, auf dem Le Moleson. (KEYSTONE/Peter Schneider)
Im Gipfelrestaurant referiert Rösti unter anderem über seine Ziele in der Energiepolitik.Bild: keystone

Die Regenfälle am Vortag seien dringend nötig gewesen, nicht zuletzt für die Landwirtschaft, meinte der Klimaminister. Etwas später beim Mediengespräch im Gipfelrestaurant – der Nebel hatte sich inzwischen verzogen und den Blick auf das beeindruckende Panorama freigegeben – ging der Vorsteher des Departements UVEK stärker ins Detail.

Energiepolitik vor Klimapolitik

Die vom Bundesrat angestrebte Dekarbonisierung bis 2050 könne nur gelingen, «wenn wir genügend Strom haben», so Rösti. Deshalb komme für ihn «Energiepolitik vor Klimapolitik». Im Klartext: Die Schweiz muss wesentlich mehr Strom produzieren. Das im letzten Jahr mit einem «sehr guten Resultat» angenommene Stromgesetz liefert dafür die Grundlage.

Mit der Umsetzung aber hapert es. «Wir kommen zu langsam vorwärts», monierte Rösti. Beim Solarstrom sehe es gut aus, nicht jedoch bei den Wasserkraft- und Windanlagen, wo «praktisch alles» blockiert sei. Der Bundesrat will deshalb die Bewilligungsverfahren mit zwei Beschleunigungserlassen verkürzen, für die Produktion und den Netzausbau.

Ständerat mit Kettensäge

Der Erstere soll im Herbst vom Parlament verabschiedet werden, hofft der Energieminister. Allerdings hat der Ständerat die Kettensäge angeworfen. Er will das Verbandsbeschwerderecht bei den 16 Wasserkraftprojekten, die am Runden Tisch von Röstis Amtsvorgängerin Simonetta Sommaruga beschlossen wurden, zu Kleinholz verarbeiten.

The Monte Rosa Hut of the Swiss Alpine Club (SAC) on the Gorner Glacier near Zermatt in the canton of Valais, Switzerland, pictured on October 2, 2009. Background: Matterhorn mountain. (KEYSTONE/Marti ...
Unterhalb der spektakulären Monte-Rosa-Hütte soll der Gornerli-Stausee entstehen.Bild: KEYSTONE

Dieser Hauruck-Entscheid reflektiert den Ärger darüber, dass gerade das grösste Projekt – das Gornerli oberhalb von Zermatt – mit Einsprachen bekämpft wird. Der Widerstand beschränkt sich allerdings nicht auf die Umweltverbände. Auch lokale Bergführer fürchten wegen der geplanten 85 Meter hohen Staumauer um die Landschaft und den Tourismus.

Rösti fürchtet Scherbenhaufen

Linksgrüne Kreise drohen mit dem Referendum, und auch Bundesrat Rösti beurteilt die Einschränkung des Beschwerderechts kritisch. Er fürchtet sicher nicht zu Unrecht, dass die Beschleunigungsvorlage in einer Volksabstimmung Schiffbruch erleiden würde, falls sich der Ständerat im Parlament durchsetzt. In diesem Fall wäre der Scherbenhaufen perfekt.

Gleichzeitig könnte die Debatte über ein neues Atomkraftwerk an Dringlichkeit zulegen. Es erstaunt wenig, dass Röstis «Parteifeindin» Magdalena Martullo-Blocher – eine AKW-Befürworterin – den Beschleunigungserlass ablehnt. Sie hatte letztes Jahr bereits das Stromgesetz bekämpft und die SVP auf ihre Linie gegen den eigenen Bundesrat gebracht.

Option offenhalten

Albert Rösti selbst äusserte sich auf dem Moléson ambivalent zur AKW-Frage. Er kündigte an, dass der Bundesrat nach den Sommerferien die Botschaft zur Blackout-Initiative – sie will das 2017 vom Stimmvolk beschlossene Bauverbot aufheben – veröffentlichen werde. Einen indirekten Gegenvorschlag hatte er schon letztes Jahr im Grundsatz beschlossen.

Denn auch der Energieminister will das Verbot streichen, wie er am Dienstag betonte. «Wenn es das nicht braucht, schreie ich nicht nach einem Kernkraftwerk», so Rösti. Im Interesse einer sicheren Stromversorgung aber müsse man sich langfristig diese Option offenhalten. Man konnte es spüren: Rösti hat grosse Bedenken, ob es ohne ein neues AKW gehen wird.

KI als Stromfresser

Nicht nur der Ausstieg aus den fossilen Energien ist für ihn eine Herausforderung. Hinzu kommt der Boom beim Bau von Rechenzentren aufgrund der rasanten Entwicklung bei der Künstlichen Intelligenz (KI). Diese Serverfarmen könnten gemäss Berechnungen der Hochschule Luzern bis 2030 bereits 15 Prozent der Schweizer Stromproduktion absorbieren.

Das könnte die Ausbauziele bei den erneuerbaren Energien auf den Kopf stellen. Als Warnsignal wird im UVEK auch der kürzliche Stromausfall auf der Iberischen Halbinsel betrachtet. Solche Vorfälle könnten sich wegen der unregelmässigen Produktion von Solar- und Windstrom häufen. Was ein AKW mit seiner Bandenergie attraktiv machen könnte.

AKW im «Leerlauf»?

Die Hindernisse bleiben allerdings hoch. Laut einem letzte Woche veröffentlichten Bericht der Akademie der Wissenschaften wäre ein neues Atomkraftwerk frühestens 2050 am Netz – und dies nur mit staatlicher Unterstützung. Die Strombranche geht in ihren Szenarien von einem identischen Zeithorizont aus. Auch deshalb befürwortet sie das EU-Stromabkommen.

ARCHIV - 15.09.2022, Baden-W�rttemberg, Waldshut-Tiengen: Das Atomkraftwerk Leibstadt im gleichnamigen Ort im Kanton Aargau ist vom deutschen Waldshut-Tiengen aus zu sehen. (zu dpa: �Atomkraftgegner w ...
Ein AKW wie Leibstadt liefert Bandenergie. Doch braucht es die überhaupt?Bild: keystone

Neue Nukleartechnologien wie der Small Modular Reactor (SMR) sorgen vor allem durch Rückschläge für Schlagzeilen. Der Berner Nationalrat und GLP-Präsident Jürg Grossen meinte kürzlich an einer Tagung des Verbands Swisscleantech, dass die Bandenergie wegen des Zubaus beim Solarstrom während acht Monaten gar nicht benötigt werde.

Heftige Debatte programmiert

Damit liesse sich ein AKW niemals rentabel betreiben. Grossen lehnt auch den Gegenvorschlag zur Blackout-Initiative und die Aufhebung des Bauverbots ab. Der Chef der Grünliberalen hat eine eigene Roadmap für die Energieversorgung bis 2050 entwickelt, basierend auf Sonne und Wasser. Eine AKW-Debatte könnte davon ablenken, fürchtet er.

Die Gegenposition an der Swisscleantech-Tagung nahm die St.Galler FDP-Nationalrätin Susanne Vincenz-Stauffacher ein. Sie ist für den Gegenvorschlag, allerdings nicht, weil sie ein neues AKW will. Wenn das Verbot falle, müssten die Befürworter aufzeigen, wie sie es realisieren wollen, meinte die «Öko-Freisinnige», die als neue Parteipräsidentin gehandelt wird.

Es war ein Vorgeschmack auf eine heftige Debatte zur Blackout-Initiative. Im Gespräch mit Bundesrat Rösti am Dienstag war seine Skepsis spürbar, ob die erneuerbaren Energien im benötigten Ausmass verfügbar sein werden. Deshalb «liebäugelt» er mit einem AKW, auch wenn die Aussichten ähnlich diffus sind wie zuvor auf dem Gipfel des Moléson.

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quelle: keystone / ennio leanza
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445 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Magnum
09.07.2025 16:30registriert Februar 2015
Ob Autobahn-Ausbauten oder neue AKWs: Lobbyist Rösti ignoriert weiter Volksentscheide. Und ist darum als Bundesrat eine komplette Fehlbesetzung und ja: untragbar.
50855
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Baffes
09.07.2025 16:36registriert November 2017
Und wir liebäugeln mit einem neuen BR.
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N. Y. P.
09.07.2025 16:35registriert August 2018
Strahlenbert Rösti will ein AKW.

Diese Milliarden würde Ölbert besser in nachhaltige Energien investieren.
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