Man vergleicht den Jurakonflikt gerne mit anderen separatistischen Bewegungen in Europa – jenem der Katalanen und Basken in Spanien oder der Katholiken in Nordirland. Und dann verweist man fast ein wenig stolz darauf, dass der Kampf um die Loslösung des Juras vom Kanton Bern bloss ein Todesopfer forderte: Ein Separatist kam bei einem versuchten Anschlag ums Leben. Und dass die Auseinandersetzung trotz gewalttätiger Proteste, Aktionen mit Sachbeschädigungen und des Diebstahls des Unspunnensteins weitgehend demokratisch gelöst werden konnte.
Glaubt man den Aussagen des Bundesrats und den Kantonsregierungen in Bern und Delémont, wird am Sonntag der Jurakonflikt endgültig beigelegt. Ein Konflikt, der auf den Wiener Kongress 1815 zurückgeht, als der Jura Teil der Schweiz wurde und das alte Fürstbistum Basel als Kompensation für den Verlust der Waadt und von Teilen des Aargaus Bern zugeschlagen wurde. In beiden Kantonen wird über den Wechsel des Städtchens Moutier in den Jura abgestimmt, der in einem Konkordat geregelt ist. Und über eine Anpassung der jurassischen Kantonsverfassung.
Sagen die Stimmenden beider Stände Ja, «setzen die beiden Kantone allen territorialen Streitigkeiten zwischen ihnen ein endgültiges Ende. Sie verpflichten sich, ihre Gebietsgrenzen im Geiste des Bundesfriedens zu achten». So steht es in Artikel 35 des Konkordats. Und auch der Bundesrat schreibt: «Sobald die Frage der kantonalen Zugehörigkeit von Moutier entschieden ist, gilt die Jurafrage als endgültig geklärt.» Dass einer der beiden Kantone Nein sagt und Moutier doch bei Bern bleibt, ist sehr unwahrscheinlich. Nur ein paar unbeugsame Berntreue leisten noch Widerstand. Es ist ein Urnengang von historischer Bedeutung.
Bloss merkt die Bevölkerung nicht viel davon. Der Abstimmungskampf ist lau, sowohl in Bern wie im Jura. Kein Vergleich zu 2021, als die Bevölkerung des Städtchens Moutier sich bei der Wiederholung der annullierten Abstimmung von 2017 für den Wechsel entschied. Die Leute seien müde nach dem jahrzehntelangen Konflikt, sagen Beobachterinnen und Politiker. Für viele sei es ein Konflikt aus der Vergangenheit. Ein Zeichen der neuen Normalität: Die Wahl von Elisabeth Baume-Schneider in den Bundesrat – der Jura ist in der Eidgenossenschaft angekommen.
Das verbreitete Desinteresse an der Abstimmung sei bedauerlich, sagt Manfred Bühler, berntreuer Nationalrat aus dem Berner Jura. Seine Partei, die Berner SVP, lehnt den Kantonswechsel Moutiers nach wie vor ab. Sie ist die einzige namhafte Organisation, die Nein sagt. Im Jura sind bloss einzelne kritische Stimmen zu hören – sie befürchten, die Stadt Moutier, nicht eben mit Reichtum gesegnet, werde die ohnehin klamme Kasse des Kantons über Gebühr belasten.
SVP-Nationalrat Bühler aber sagt Nein, weil er den Versprechen nicht traut. «Es ist nicht das Ende des Jurakonflikts», sagt er. «Die Separatisten werden immer etwas finden, um den Kampf fortzuführen.» Er nennt etwa das Örtchen Belprahon neben Moutier: 2017 stimmten hier 121 Personen für den Verbleib bei Bern, 114 wollten in den Jura wechseln. Inzwischen haben die Kräfteverhältnisse gewechselt, der Gemeinderat ist mehrheitlich projurassisch: «Der Kantonswechsel oder die Fusion mit Moutier wird sicher wieder auf den Tisch kommen», sagt Bühler.
Und wie sieht es auf der Gegenseite beim Mouvement Autonomiste Jurassien (MAJ) aus? Es kämpft für ein Ja zum Kantonswechsel. Und man hat sich offensichtlich auf die Formulierung geeinigt, die Jurafrage sei mit der Abstimmung von Sonntag «auf institutioneller Ebene abgeschlossen», wie dessen Generalsekretär Pierre-André Comte sagt. Dass der Traum eines wiedervereinigten Juras damit ausgeträumt sei, verneint der 68-jährige Separatist: «Man kann den Menschen nicht verbieten, zu träumen, genauso wenig, wie man die Geschichte anhalten kann.» Zudem sei es in einer Demokratie «immer erlaubt, Diskussionen aufzugreifen». Das MAJ werde sich jedenfalls nicht auflösen.
Vielleicht ist es ja so, wie der berntreue Manfred Bühler sagt: «In der Bevölkerung sorgt die Jurafrage nicht mehr für viel Aufsehen, sie bewegt vor allem noch politisch interessierte Kreise.» In der Politik fällt es manchen offenbar schwer, sich von einem Problem zu verabschieden, das über Jahrzehnte die Debatten dominierte. Der verletzte Stolz einiger Berntreuer ist noch lange nicht verheilt.
Auf der anderen Seite glimmt die Hoffnung auf einen geeinten Jura weiter, obwohl der Expansionsartikel am Sonntag aus der jurassischen Verfassung gestrichen werden soll. Für diese Hoffnung steht der seit 2005 verschwundene Unspunnenstein: Dieser werde erst an die Steinstösser zurückgegeben, wenn der Jura «wiedervereint» sei, sagte der Anführer der separatistischen Béliers 2022. (aargauerzeitung.ch)
Henusode.