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Rechtsmediziner schlagen Alarm: Jedes zweite Tötungsdelikt in der Schweiz bleibt unentdeckt 

Rechtsmediziner schlagen Alarm: Jedes zweite Tötungsdelikt in der Schweiz bleibt unentdeckt 

12.11.2015, 09:1412.11.2015, 09:37
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Rechtsmediziner vermuten, dass in der Schweiz jedes zweite Tötungsdelikt unentdeckt bleibt. Sie empfehlen eine gründlichere Leichenschau durch die Ärzte und eine Revision des Artikels über aussergewöhnliche Todesfälle in der Strafprozessordnung.

Roland Hausmann, Chefarzt des Instituts für Rechtsmedizin am Kantonsspital St.Gallen, Christian Jackowski, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Bern und der Zürcher Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch stützen sich für ihre These auf Untersuchungen in Deutschland, wie sie in der Fachzeitschrift «Kriminalistik» schreiben.

Konservative Schätzung

Untersuchungen an Verstorbenen, die gemäss Totenschein eines natürlichen Todes starben, brachten dort Erstaunliches zutage: Jährlich sei in Deutschland mit 11'000 bis 22'000 nicht-natürlichen Todesfällen zu rechnen, die bei der ärztlichen Leichenschau nicht als solche erkannt würden.

Darunter sind 1200 bis 2400 unerkannt gebliebene Tötungsdelikte. Das sind etwa gleich viele, wie in Deutschland jährlich aufgedeckt werden. Daraus ergibt sich eine Dunkelziffer von 50 Prozent. Das Ganze sei eine konservative Schätzung, sagte Roland Hausmann der Nachrichtenagentur SDA.

Wie werden Irrtümer entdeckt? Wichtig sind laut Hausmann die Krematoriums-Leichenschauen, die in Deutschland üblich sind. Auch Sektionen zu Forschungszwecken, sogenannte Verwaltungs-Sektionen, nachträglich aufgetauchte Verdachte oder Tätergeständnisse führen manchmal zur Klärung von Irrtümern.

Keine Zahlen für die Schweiz

Für die Schweiz existieren keine Zahlen. Unter anderem, weil hier weder Krematoriums-Leichenschauen noch Verwaltungs-Sektionen gemacht werden. Hausmann, Jackowski und Jositsch schätzen jedoch, dass in der Schweiz sogar «mehr als nur jedes zweite Tötungsdelikt nicht erkannt wird».

Die Autoren liefern dazu Fallbeispiele, in denen «Kommissar Zufall» mitwirkte. So wurde 2004 in Bern bei einem 27-jährigen Mann zuerst ein natürlicher Tod nach einem epileptischen Anfall angenommen. Ein kleines Einschussloch am Hinterkopf interpretierte der Arzt irrtümlich als Quetschwunde.

Zufällig wusste der Arzt, dass die Wohnung, in der die Leiche gefunden wurde, nicht verschlossen war. Dies führte zu einer Meldung als aussergewöhnlicher Todesfall und zu einer sogenannten Legalinspektion. Erst danach wurde ein Tötungsdelikt erkannt.

Schwer erkennbares Gift

St.Galler Rechtsmediziner untersuchten 2013 die Leiche eines Schulabwarts, dessen Tod nach einem akuten Herzversagen aussah. Erst als die Polizei feststellte, dass die Ehefrau am Fundort der Leiche ein Mobiltelefon mit verdächtigen Fotos entwendet hatte, wurde die Leiche obduziert.

Im Magen und im Blut des Abwarts fanden sich Spuren von hoch giftigem Aconitin, wie es im Blauen Eisenhut vorkommt. Teile dieser Pflanze wurden auch am Leichenfundort entdeckt. Ob der Verstorbene durch Dritte vergiftet worden war, liess sich allerdings nicht beweisen.

Die Beispiele zeigen laut Hausmann, wie leicht bei der äusserlichen Leichenschau Delikte übersehen werden können. Auch ein Tod durch Ersticken oder elektrischen Strom ähnelt oft einem natürlichen Geschehen und ist schwer erkennbar.

Als Schlussfolgerung schreiben Hausmann, Jackowski und Jositsch in ihrem Beitrag, dass die Leichenschau, aber auch die äusserliche Legalinspektion «unsichere Methoden zur Abklärung der Todesart darstellen». Sichere Erkenntnisse könne meist nur eine Obduktion bringen.

Mehr Obduktionen möglich

Das St.Galler Institut für Rechtsmedizin führt jährlich etwa 250 Sektionen durch. Laut Hausmann wären deutlich mehr möglich. Mehr Obduktionen wären laut dem Chefarzt der wichtigste Schritt, um die Anzahl der unentdeckten Tötungsdelikte zu verringern.

Daneben empfehlen die Rechtsmediziner eine Überprüfung des Artikels 253 der Strafprozessordnung (StPO). Dieser erlaubt es den Staatsanwälten, eine Leiche zur Bestattung freizugeben, wenn nach einer Legalinspektion «keine Hinweise auf eine Straftat» bestehen. Hier schlagen die Rechtsmediziner eine strengere Regelung vor.

Nach Ansicht der St.Galler Staatsanwaltschaft ist eine sorgfältige Leichenschau entscheidend für die Erkennung von Tötungsdelikten. Dazu brauche es keine Änderung der STPO. «Wichtig ist dagegen eine sorgfältige Ausbildung von Ärzten, welche die Leichenschau durchführen», sagt Roman Dobler von der Staatsanwaltschaft. (whr/sda)

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