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So geht es mit Brian nun weiter

ARCHIVBILD ZUM URTEIL DES ZUERCHER OBERGERICHTS IM FALL CARLOS, AM MITTWOCH, 16. JUNI 2021 - Portraitzeichnung des Haeftlings Brian (bekannt als Carlos). Die Anwaelte von Carlos, der mittlerweile auch ...
Brian sitzt seit fünf Jahren in Sicherheits- beziehungsweise Untersuchungshaft.Bild: keystone

So geht es mit Brian nun weiter

Er gilt als der berühmteste Häftling der Schweiz: Brian Keller. Diese Woche überschlugen sich die Ereignisse. Eine Übersicht.
05.11.2022, 10:4505.11.2022, 12:24
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Die Gefängnis-Odyssee des inhaftierten Brian Keller, der als «Carlos» bekannt wurde, nimmt vorerst kein Ende. Am Dienstag ordnete zwar das Obergericht Zürich Brians Haftentlassung an. Doch Brian wird mit hoher Wahrscheinlichkeit vorerst im Gefängnis bleiben müssen: Die Zürcher Staatsanwaltschaft wird für ihn Untersuchungshaft beantragen.

Eine Übersicht.

Brians Bekanntheit im «Fall Carlos»

Im August 2013 porträtierte das Schweizer Fernsehen den inzwischen verstorbenen Jugendanwalt Ueli Gürber in einem Dokfilm. Dieser stellte darin seinen «erfolgreichsten» Fall vor: «Carlos». Dank eines Sondersettings, das monatlich 29'000 Franken kostete, hatte sich der «Dauerdelinquent» in den 13 Monaten Spezialprogramm nichts zu Schulden kommen lassen.

Die hohen Kosten für dieses Sondersetting sorgten allerdings für heftige Diskussionen. Der «Blick» berichtete vom «Sozialwahn», andere Medien zogen nach.

Die Berichterstattung zeigte Wirkung: Noch im selben Monat wurde das Sondersetting abgebrochen, Jugendanwalt Gürber entlassen, der 17-jährige Brian musste für ein halbes Jahr ins Gefängnis – laut Jugendstaatsanwaltschaft zu seinem eigenen Schutz.

Anfang 2014 entschied das Bundesgericht, dass diese Inhaftierung unrechtmässig war und nur aufgrund des öffentlichen Drucks zustande gekommen sei.

Brian kam in ein Sondersetting zurück.

Seit wann sitzt Brian im Gefängnis und warum?

Nachdem Brian 2016 einem Bekannten per Faustschlag den Kiefer gebrochen hatte, wurde er vom Bezirksgericht Zürich zu achtzehn Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.

Hier beginnt Brians Odyssee durch die Gefängnisse der Schweiz.

Kurz vor Ende dieser Haftstrafe kam es zu einem Gerangel mit Beamten in der Sicherheitsanstalt Pöschwies, ein Aufseher erstattete Anzeige und Brian kam erneut in Untersuchungshaft.

Brian befindet sich nun seit über fünf Jahren ununterbrochen in Untersuchungs- beziehungsweise Sicherheitshaft. Ihm werden Angriffe auf Justizvollzugspersonal vorgeworfen.

Brian war teilweise menschenunwürdigen Bedingungen ausgesetzt. 2021 schaltete sich deshalb der UN-Sonderberichterstatter über Folter, Nils Melzer, ein und forderte die sofortige Beendigung von Brians zweijähriger Isolationshaft. Vor einem Jahr verfügte das Bundesgericht schliesslich eine Lockerung und Brian wurde in ein normales Haftregime integriert.

Zürcher Obergericht ordnet Freilassung an

Am 31. Oktober kam es zur grossen Überraschung: Das Obergericht Zürich entschied, dass Brian aus der Sicherheitshaft entlassen werden müsse, da die Fortsetzung unverhältnismässig sei. Es drohe eine sogenannte Überhaft. Die zu erwartende Strafe für ein laufendes Verfahren hat Brian laut Obergericht bereits abgesessen.

Warum kommt Brian trotzdem nicht frei?

Die Zürcher Staatsanwaltschaft will Brians Entlassung nicht akzeptieren. Nur wenige Tage nach dem Entscheid des Obergerichts beabsichtigt die Staatsanwaltschaft, für Brian Untersuchungshaft anzuordnen. Brian soll wegen eines neuen Verfahrens von der Sicherheitshaft direkt in U-Haft versetzt werden.

Das neue Verfahren soll wieder wegen angeblicher Delikte im Gefängnis eröffnet werden: 33 Fälle insgesamt im Zeitraum zwischen November 2018 und Juni 2022, darunter Sachbeschädigung und schwere Körperverletzung.

Haftgrund: Wiederholungsgefahr.

Die Anwälte des 27-Jährigen sind erschüttert über die jüngste Entwicklung im Fall ihres Mandanten. Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft vereitle die für Montag geplante Entlassung Brians aus dem Gefängnis.

In einer am Donnerstagnachmittag kurzfristig einberufenen Medienkonferenz, erklären Brians Anwälte, dass die Vorfälle ausschliesslich die Zeit betreffen, in der Brian in Einzelhaft sass: «Brian wehrte sich gegen diese unzulässige Form der Isolationshaft, er befand sich in einer Notstandssituation.»

Die Zürcher Staatsanwaltschaft wird voraussichtlich Anfang nächster Woche den Antrag auf Untersuchungshaft stellen. Das Zwangsmassnahmengericht wird dann voraussichtlich Mitte nächster Woche einen Entscheid fällen.

Brians Freilassung hängt von der Zürcher Staatsanwaltschaft ab.

Für Brian stehen die Chancen sehr schlecht. So ergab eine Umfrage von SRF 2018, dass Zwangsmassnahmengerichte von 18 Kantonen 97 Prozent aller Anträge der Staatsanwaltschaft gutgeheissen hatten. Und: Eine Untersuchungshaft kann alle drei Monate verlängert werden. Bis es zu einem rechtskräftigen Urteil kommt, muss Brian also höchstwahrscheinlich in Haft bleiben.

Doch selbst wenn das Zwangsmassnahmengericht nächste Woche für eine Überraschung sorgt und den Antrag auf U-Haft abweist, könnte die Staatsanwaltschaft ihr Begehren an die nächsten Instanzen weiterziehen und somit bewirken, dass Brian in Haft bleibt.

Fazit: Brians Freilassung hängt von der Zürcher Staatsanwaltschaft ab.

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120 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Haarspalter
05.11.2022 11:17registriert Oktober 2020
Ich habe den Artikel nun mal nicht gelesen.

Wieso?

Das Schicksal von Brian geht uns anderen eigentlich nichts an.

Er ist eine tragische und unfreiwillig „öffentliche“ Person, und hat somit ebenso Anspruch auf Intimität und Persönlichkeitsschutz wie eine nicht-öffentliche Person.

Es gibt genug andere „Promis“, welche gerne öffentliches Gesprächsthema sind.
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Maya Eldorado
05.11.2022 12:19registriert Januar 2014
Ehrlich gesagt: Ich bin ein friedliebender Mensch.
Wenn ich aber so behandelt würde wie Brian, würde ich auch massiv ausrasten - aus angst.
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Chrisga
05.11.2022 12:24registriert Mai 2020
Letztlich steht im Schweizer Strafrecht die Resozialisierung im Vordergrund. Nur absolut aussichtslose Fälle dürfen verwahrt werden und das ist B. K. nicht. Weiter Einsperren bringt im Hinblick auf Resozialisierung nichts, es ist klar kontraproduktiv. Ich bin kein Psychologe, aber ich möchte, dass er die Anstalt verlässt und so lange mit Coaches (zu Beginn 7/24) das normale Leben draussen und ohne Gewalt trainiert, bis dass sein Gehirn neu konditioniert ist. Das kostet den Staat weniger als weitere Jahre in Haft!
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