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Baby stirbt bei OP: Gerichtsverhandlung ohne Urteil abgeschlossen

Baby stirbt bei OP: Gerichtsverhandlung ohne Urteil abgeschlossen

13.11.2025, 13:4013.11.2025, 13:40

Am Kriminalgericht Luzern hat am Donnerstag die Verhandlung gegen zwei Ärzte und eine Ärztin wegen eines möglichen Tötungsdelikts geendet. Die Parteien debattierten den tödlichen Ausgang der Operation eines Babys eineinhalb Tage lang. Das Urteil steht noch nicht fest.

Bei einer Operation eines Leistenbruchs im November 2021 am Kinderspital Luzern verstarb ein zwei Monate altes Baby.

Nun wehrten sich die Beschuldigten gegen den Vorwurf der eventualvorsätzlichen Tötung und der fahrlässigen schweren Körperverletzung. Der Anästhesist, der Kardiologe und die Chirurgin plädierten in der Verhandlung auf Freispruch und Genugtuung.

Die Staatsanwältin forderte hingegen für das Tötungsdelikt eine Freiheitsstrafe von drei Jahren, davon sechs Monate unbedingt. Ebenfalls beantragte sie eine Busse von 10'000 Franken. Die Körperverletzung soll Geldstrafen nach sich ziehen. Der Vertreter der Privatklägerschaft, der Eltern des verstorbenen Säuglings, beantragte Schuldsprüche wegen fahrlässiger Tötung. Dafür seien die Beschuldigten «angemessen zu bestrafen».

Allergieartige Reaktion

Das Vorgehen während der Operation war vor Gericht hochumstritten. Schon kurz nach der Narkoseeinleitung wurde eine Reanimation nötig, die erfolgreich verlief. Dann wurde eine zweite Narkose eingeleitet. Darauf erlitt das Baby einen Herz-Kreislaufkollaps. Ein Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin (IRM) der Universität Zürich machte eine von einem Gendefekt hervorgerufene, allergieartige Reaktion als Todesursache aus.

Die Staatsanwältin und die Privatklägerschaft vertraten die Ansicht, die Beschuldigten hätten die Operation nach der Wiederbelebung abbrechen müssen. Stattdessen wurde sie laut dem Vertreter der Privatklägerschaft «völlig unnötigerweise» fortgesetzt.

«Das Kind wäre nicht gestorben, wenn die Narkose nicht zum zweiten Mal eingeleitet worden wäre», schloss auch die Staatsanwältin.

Dringlichkeit des Eingriffs

Die Verteidigung hielt dagegen, das Baby sei nach der Wiederbelebung stabil gewesen. Der beschuldigte Kardiologe habe die entsprechenden Untersuchungen vorgenommen, welche die gleichen, unbedenklichen Werte wie die Voruntersuchung zwei Tage vor der Operation ergaben.

Ein Kinderanästhesist, der das IRM-Gutachten mitverfasst hatte, sagte dagegen am Mittwoch vor Gericht: Wäre er dabei gewesen, hätte er das Kind nach der Reanimation auf die Intensivstation verlegen wollen.

Die Weiterführung der Operation rechtfertigte die Verteidigung auch mit der Dringlichkeit des Eingriffs. Bei einem Aufschub hätte es zu einer «Inkarzeration» des Leistenbruchs kommen können. Dies könne lebensgefährlich werden, wie die beschuldigte Chirurgin am Gericht erläuterte. Dabei wird Gewebe eingeklemmt, was die Durchblutung des Darms und der Hoden einschränkt.

Berücksichtigung des Gendefekts

Eingehend diskutiert wurde auch der Umgang mit dem Verdacht auf das Williams-Beuren Syndrom (WBS), dem erwähnten Gendefekt. Inwiefern die Beschuldigten diesen Verdacht aus den Akten kannten und berücksichtigten, wurde unterschiedlich dargestellt. Das WBS erhöhe bei Narkose das Risiko auf Herz-Kreislaufschwierigkeiten, sagte die Staatsanwältin.

Der Verdacht auf WBS, ja selbst eine gesicherte Diagnose, hätte jedoch nichts an den Entscheidungen der Beschuldigten geändert, sagten die Verteidiger. Die Operation sei angezeigt gewesen und habe durchgeführt werden müssen. Zudem sei die allergieartige Reaktion auch bei Kenntnis des WBS nicht vorherzusehen gewesen.

«Ein Verschieben der OP hätte nur mit einem Versterben zu späterem Zeitpunkt geendet», sagte der Verteidiger des Anästhesisten.

Urteil wird schriftlich eröffnet

Die drei Beschuldigten beantworteten vor Gericht keine Fragen. Sie begründeten ihr Vorgehen in allgemeinen Stellungnahmen. Dabei drückten sie der Familie des verstorbenen Kindes auch ihr Mitgefühl aus. Sie hätten den «grösstmöglichen Verlust im Leben einer Familie» erlitten, sagte der beschuldigte Anästhesist.

Die Verteidiger stellten die Beweisanträge, die Verfasser eigener Privatgutachten seien noch zu befragen. Das IRM-Gutachten bezeichnete einer von ihnen als «unbrauchbar», es treffe falsche Annahmen und sei von Personen verfasst, denen die Fachkenntnis fehle.

Das Gericht wird darüber in den kommenden Tagen beraten, wie die Gerichtspräsidentin zum Abschluss der Verhandlung am Donnerstagmittag festhielt.

Die Parteien stimmten einer schriftlichen Urteilseröffnung zu, die zu gegebener Zeit erfolgen soll. (sda)

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