Die Abdankung ist nun mehr als zwei Jahre her. An die 2000 Credit-Suisse-Aktionäre pilgerten damals ins Zürcher Hallenstadion, um an der letzten Generalversammlung ihrer einst so stolzen Grossbank teilzunehmen. Für einige von ihnen gab es zum Abschied noch ein Schreibblöckchen mit dem Segellogo und einen Kugelschreiber. Zum Zwangsverkauf an die UBS war ihre Meinung aber nicht gefragt. Dieser war nur ein paar Wochen zuvor per Notrecht durchgedrückt worden.
Auch am Preis gab es nichts mehr zu rütteln. Für 22,48 CS-Papiere erhielten sie eine einzige UBS-Aktie. Mehr hatte ihr Management, das zuvor die Bank in den Abgrund geritten hatte, nicht herausgeholt. Wobei: Sie selbst, oder jedenfalls die Grossaktionäre unter ihnen, hatten zuvor jahrelang tatenlos dem Treiben in der CS-Chefetage zugesehen, bis es zu spät war.
Nun wollen einige von ihnen nicht mehr tatenlos bleiben. Nicht weniger als 5000 ehemalige CS-Aktionäre haben sich zwei Gruppen angeschlossen, die je eine Art Sammelklage beim Zürcher Handelsgericht eingereicht haben. Flankiert werden sie von weiteren, kleineren Gruppen und mehreren Einzelklägern. Sie alle wollen letztlich mehr Geld für ihr eher glückloses Investment in die Credit Suisse. Der Schweizerische Anlegerschutzverein mit Sitz in St.Gallen vertritt rund 2000 Kläger respektive Ex-CS-Aktionäre, das auf juristische Fragen spezialisierte Westschweizer Start-up Legalpass gar über 3000. Das Spektrum sei «sehr breit», heisst es bei beiden Organisationen übereinstimmend. Es gebe Aktionäre mit «nur» wenigen hundert Aktien und solche mit mehreren Millionen – wobei es sich bei letzteren oft um Pensionskassen handelt.
Nun haben sie alle zusammen einen ersten Sieg gegen die UBS erzielt, Arik Röschke vom Anlegerschutzverein spricht von einem «grossen Zwischenerfolg». Denn das Handelsgericht hat im Juni entschieden, zwei unabhängige Gutachter zu beauftragen: Peter Leibfried, Professor an der Universität St.Gallen, sowie den Berater und früheren KPMG-Schweiz-Chef Roger Neininger. Die beiden Experten sollen nun den «Fortführungswert» der Credit Suisse vom 19. März 2023 ermitteln.
Damit das möglich ist, muss die UBS zudem auf Geheiss des Handelsgerichts bis zum 14. Juli zahlreiche, bisher vertrauliche Dokumente herausrücken, namentlich interne und externe Bewertungen der Credit Suisse, welche die UBS sowie die untergegangene Bank selbst seit dem Oktober 2022 haben erstellen lassen. Die UBS hatte sich gegen all die Auflagen gewehrt mit dem Argument, dass die ehemalige Konkurrentin am besagten 19. März 2023 wertlos war. Eine Einschätzung, welche dannzumal auch die Behörden teilten, wie dem Bericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) zu entnehmen ist. So appellierte etwa der ehemalige Chef der Finanzmarktaufsicht, Urban Angehrn, am frühen Morgen des besagten Sonntags an den letzten CS-Präsidenten Axel Lehmann, endlich den Ernst der Lage zu erkennen: «Axel, Klartext: Wir sind at Liq-PONV der Bank», also am Punkt angelangt, an dem die Bank nicht mehr überlebensfähig ist. Und weiter: Der «Wert von der Aktie der CS ist Null».
Eine Ansicht, welche die rebellischen CS-Aktionäre aber nicht teilen. Arik Röschke verweist auf eigene Gutachten, die je nach Bewertungsmethode auf Werte zwischen 2.30 und 9.17 Franken pro Aktie gelangen. «Innerhalb dieser Wertbandbreite sollte sich der Wert der CS zum Übernahmezeitpunkt bewegen.» Das wäre deutlich mehr als die umgerechnet 76 Rappen, welche die Aktionäre mit dem UBS-Aktientausch erhalten haben. Der am 19. März 2023 für die CS-Aktionäre ausgehandelte Betrag von insgesamt 3 Milliarden Franken sei ohne «jegliche Bewertungsgrundlage willkürlich festgelegt worden», ergänzt Röschke.
Nach dem Zwischenerfolg vor dem Handelsgericht könnten sich theoretisch noch mehr Aktionäre der Sammelklage anschliessen. Legalpass nimmt zwar keine mehr auf, der Anlegerschutzverein hingegen schon, wie Röschke betont. «Ehemalige CS-Aktionäre können sich uns jetzt noch anschliessen.» Gratis ist das freilich nicht. Legalpass setzt auf ein degressives Tarifsystem, das bei 15 Rappen beginnt, der Anlegerschutzverein verrechnet 7 Rappen pro Aktie. Zudem bietet letzterer auch eine Option über eine Prozessfinanzierung an, wie Röschke anfügt. Hier müssen klagewillige CS-Aktionäre nichts bezahlen, aber im Gegenzug bei Erfolg einen Teil des Gewinns an den Prozessfinanzierer abtreten.
Je nachdem könnte sich das auszahlen. Denn sollten sich die Parteien im Verlauf des Verfahrens aussergerichtlich auf einen höheren Preis einigen, würden nur jene Aktionäre profitieren, die sich den Klagen angeschlossen haben. Bei einem Gerichtsentscheid hingegen gewinnen alle, wie Legalpass-Partner Philippe Grivat erklärt. Auch die Aktionäre, die den Ursprungspreis widerstandslos akzeptiert hätten. Denn der Artikel 105 des Fusionsgesetzes gelte für alle.
Dass die ehemaligen CS-Aktionäre überhaupt klagen können, verdanken sie dem Bundesamt für Justiz, wie dem PUK-Bericht zu entnehmen ist. Dieses befasste sich am Samstag des Rettungswochenendes, also am 18. März 2023, mit verschiedenen «Aspekten der Notfusion» – und setzte sich dabei «für die Gewährleistung der Rechtsweggarantie des betroffenen Credit-Suisse-Aktionariats bei einer Fusion ein». Denn brisanterweise wollten die massgeblichen Behörden, also das Finanzdepartement, die Finma und die Nationalbank, bei einer Übernahme der CS durch die UBS nicht nur das Recht der Generalversammlung auf Genehmigung der Fusion einschränken, «sondern darüber hinaus auch die Klagemöglichkeiten der Aktionärinnen und Aktionäre nach Artikel 105 Fusionsgesetz per Notrecht» ausschliessen.
Das Amt habe sich zusammen mit dem Rechtsdienst der Eidgenössischen Finanzverwaltung für die Gewährleistung der Rechtsweggarantie gemäss Bundesverfassung eingesetzt, «sodass der Bundesrat schliesslich von einer notrechtlichen Ausserkraftsetzung von Artikel 105 Fusionsgesetz absah». Die Kläger freut es. Die UBS weniger.
Reiche sind einfach unverschämt...