Es ist der zweite grosse Prozess im Fifa-Zusammenhang, den sich das Bundesstrafgericht ab nächster Woche vornimmt. Der erste ging gründlich schief: Es war der Prozess um die angeblich gekaufte Fussball-WM 2006 in Deutschland, das «Sommermärchen». Die Bundesanwaltschaft hatte bei der Anklage getrödelt, das Bundesstrafgericht liess die Vorwürfe 2020 kläglich verjähren, der Schweizer Staat zahlte die millionenhohe Zeche.
Diesmal geht es um zwei Millionen Franken, die der ehemalige Fifa-Präsident Joseph Blatter (86) seinem damaligen Vize und Uefa-Boss Michel Platini (66) 2011 angeblich widerrechtlich zukommen liess.
Auch dieser Fall steht unter schlechten Vorzeichen, weil er mit der trüben «Schweizerhof»-Affäre um die nicht protokollierten Geheimtreffen zwischen Bundesanwaltschaft und Weltfussballverband Fifa verhängt und verheddert ist. Die Hauptrollen dort spielen der ehemalige Bundesanwalt Michael Lauber und Fifa-Präsident Gianni Infantino. Auch gegen sie läuft ein Strafverfahren, geführt von zwei ausserordentlichen Bundesanwälten.
Es geht für die Fussballfürsten Infantino, Blatter, Platini also um extrem viel. Um Ruf, Geld und, vorab für Infantino, Karriere im lukrativen Fussball-Geschäft.
Zentral steht heute die Frage im Raum, ob Infantino ab 2015 Kontakte zur Bundesanwaltschaft dazu nutzte, um Platini und Blatter als Fifa-Konkurrenten durch das Strafverfahren um die zwei Millionen aus dem Weg zu räumen. Die Fifa und Infantino weisen das vehement von sich.
Doch die Affäre strotzt vor sonderlichen Auffälligkeiten und Abnormitäten, die ein schiefes Licht auf Akteure im Fussball-Geschäft und auf die Schweizer Justizlandschaft werfen.
Zum Beispiel: Mit Lorenz Erni haben Lauber und Blatter den gleichen Strafverteidiger. Niklaus Oberholzer war Bundesrichter und Chefaufseher über die Bundesanwaltschaft, Vertrauter von Lauber. Jetzt ist er Kanzlei-Partner von Infantino-Anwalt Dave Zollinger. Olivier Thormann, heute Bundesstrafrichter in Bellinzona, war Staatsanwalt beim Bund und eröffnete 2015 unter unklaren Umständen das Blatter-Verfahren.
Lauber verdächtigte ihn später der Kungelei mit der Fifa. Ausgerechnet der heutige Sonderermittler Weder untersuchte den Fall, stellte das Verfahren gegen Thormann aber ein, attestierte ihm handkehrum zu grosse Nähe zur Fifa.
Absonderlich ist das vierte der Geheimtreffen in der «Schweizerhof»-Affäre, an dem 2017 neben Infantino und Lauber auch Rinaldo Arnold (Oberwalliser Staatsanwalt und Infantino-Vertrauter) und André Marty (Laubers Informationschef) teilnahmen. Keiner der vier kann sich angeblich ans Treffen erinnern. Sie wurden mittlerweile von den neuen Sonderermittlern Hans Maurer und Ulrich Weder befragt – ihr forscher Vorgänger Stefan Keller war von einem seltsam zusammengesetzten Gericht in Bellinzona in den Ausstand versetzt worden – allerdings ohne Erfolg: Das grosse Vergessen dauert an.
Dabei könnte sogar ein fünfter Mann am Treffen gewesen sein. In Laubers Agenda war Thormann eingetragen, Staatsanwalt des Bundes, und die Schweizerhof-Rechnung verzeichnete fünf Snacks. Aber Thormann sagt, er sei an jenem Tag in Brüssel gewesen.
Abnormal ist auch das Treffen vom 8. Juli 2015 zwischen Bundesanwalt Laubers Informationschef Marty und Infantino-Freund Arnold. Lauber und Marty sagten zunächst gegenüber der Aufsichtsbehörde der Bundesanwaltschaft, es sei um allgemeine strafrechtliche Fragen gegangen. Arnold sagte später öffentlich, er habe sich um eine Stelle bei Lauber bewerben wollen. Mittlerweile sind gegenüber den Sonderermittlern offenbar auch Lauber und Marty auf die Stellen-Version eingeschwenkt. Obwohl genau diese Version von einer Quelle einst gegenüber CH Media ausdrücklich ausgeschlossen wurde.
Die Stellen-Version wäre für Beschuldigte wie das Ei des Kolumbus. Die Aufsichtsbehörde hatte Lauber und Marty nämlich nicht abgenommen, dass es um allgemeine Justiz-Fragen ging. Sie erachtete es als «plausibel», dass Arnold bei Lauber vorstellig wurde, um, im Sinne von Infantino, Einzelheiten über die kurz zuvor angelaufenen Fifa-Strafverfahren in Erfahrung zu bringen. Infantino habe eine Kandidatur für das Fifa-Präsidium ins Auge gefasst und ein Interesse gehabt, in Erfahrung zu bringen, ob die eröffneten Fifa-Verfahren sich auch gegen Blatter und/oder Platini richteten.
Die patente Stellen-Version könnte auch einen weiteren Verdacht entkräften: Dass Arnold am 8. Juli 2015 die Bundesanwaltschaft auf die Zwei-Millionen-Zahlung an Platini hinwies und so das Verfahren anstiess, in dessen Folge Blatter und Platini von der Fifa gesperrt wurden. Auffallend ist, dass die Bundesanwaltschaft wenig später, am 23. Juli 2015, Auskunft über Bewegungen auf Platinis UBS-Konto anforderte.
Die Fifa stellt sich auf den Standpunkt, dass die Bundesanwaltschaft nachweisbar von selbst auf die strittige Zahlung stiess. Es gebe keine Verbindung zwischen den beiden Fällen. So stellt es auch die Bundesanwaltschaft selbst dar, die aufgrund von Fifa-Unterlagen schon im Frühjahr 2015 auf den Fall gestossen sein will. Andere sagen, das sei gar nicht möglich, weil die Unterlagen damals noch gesiegelt und gar nicht verwertbar waren.
Sicher ist in dieser Affäre nichts. Um zu klären, ob es einer Verbindung zwischen Schweizerhof-Affäre und Blatter-Platini-Verfahren gibt, wollte das Bundesstrafgericht die Verfahrensakten der Sonderermittler einsehen. Diese lehnten das Gesuch vor einigen Wochen überraschend ab. Es sei «nicht erkennbar», antwortete Ermittler Maurer dem Gericht, welchen Einfluss die bisherigen Beweisergebnisse auf das Blatter-Platini-Verfahren haben könnten. Er verwies auf Bundesstrafrichter Thormann, dessen Befragung als Zeuge ja geplant sei. Von ihm dürften wohl «entsprechende Klarstellungen erwartet werden».
Tatsächlich wird Thormann nächste Woche vor Bundesstrafgericht als Zeuge aussagen. Das steht seit Donnerstag fest. Nur: Weil die Sondermittler Thormann neuerdings als Beschuldigten in der «Schweizerhof»-Affäre führen wollen (CH Media berichtete), versuchten die Fifa-Anwälte seine Zeugenaussage in letzter Minute noch zu verhindern. Das Gericht lehnte den Antrag aber ab. So wird sich Thormann, selbst Richter am Bundesstrafgericht, nun in Bellinzona zur Frage äussern müssen, wie er auf den Anfangsverdacht gegen Blatter/Platini kam.
Unklarheiten, Unwahrheiten und Intrigen unter Fussball-Fürsten. Es geht ums grosse Geld, um die Herrschaft über die Goldgrube Weltfussball. Mittendrin die Schweizer Justiz, die eine trübe Rolle spielte.
Das Bundesstrafgericht versucht derzeit unter dem neuen Präsidenten Alberto Fabbri, die Vergangenheit von Mobbing, Intrigen und schiefen Entscheiden hinter sich zu lassen. Seine Vize-Präsidentin Joséphine Contu leitet den Blatter-Platini-Prozess. Das Gericht steht erneut unter internationaler Beobachtung, erneut bekommt es ein vergiftetes Verfahren vorgesetzt. Wie wird es sich diesmal aus der Affäre ziehen? (aargauerzeitung.ch)