Die Einwohnergemeinde Thun hat eine genügende Maturitätsnote im Fach Deutsch als Fremdsprache zu Unrecht nicht als ausreichenden Sprachnachweis in einem Einbürgerungsverfahren zugelassen. Nun muss die Gemeinde das Einbürgerungsgesuch einer Studentin mit Wurzeln in Kamerun weiter behandeln.
Es sei «überschiessend und systemwidrig», von einbürgerungswilligen Personen zu verlangen, ihr eidgenössisch anerkanntes Maturitätszeugnis vom Staatssekretariat für Migration (SEM) als zweiter Bundesbehörde validieren zu lassen, damit es für ein Einbürgerungsverfahen als ausreichender Sprachnachweis gelte. Zu diesem Schluss kommt das Bundesgericht in einem Donnerstag veröffentlichten Urteil.
Im konkreten Fall wollte sich eine junge Frau in der Gemeinde Thun einbürgern lassen. Sie war mit acht Jahren im Rahmen eines Familiennachzugs aus Kamerun in die Schweiz gekommen und ist französischer Muttersprache. Die Grundschule absolvierte sie in der «Ecole cantonale de langue française à Bern». In Biel besuchte sie danach das französischsprachige Gymnasium mit Deutsch als Fremdsprache. Unterdessen studiert die junge Frau in Freiburg Biomedizin und im Nebenfach Deutsch.
Als Nachweis ausreichender Sprachkenntnisse reichte die Frau ihr drei Tage altes Maturitätszeugnis mit der genügenden Note 4 in Deutsch bei der Einwohnergemeinde Thun ein. Die Behörde trat auf ihr Einbürgerungsgesuch jedoch nicht ein, weil es das Zeugnis nicht als Sprachnachweis anerkannte.
Nach dem Entscheid des Bundesgerichts muss die Gemeinde das Einbürgerungsverfahren nun fortsetzen. Die Lausanner Richter halten in ihrem Urteil fest, dass die Thuner Behörden ausreichende Sprachkenntnisse in der Verwaltungssprache Deutsch verlangen dürfen, auch wenn die Einbürgerungswillige mit ihrer Muttersprache bereits eine der hiesigen Landessprachen beherrscht. Dies verstosse nicht gegen übergeordnetes Recht.
Nicht vereinbar mit den gesetzlichen Bestimmungen sei hingegen die Auffassung, wenn lediglich die auf der Basis des vom Staatssekretariat für Migration entwickelten Sprachfördersystem «Fide» (Français, Italiano, Deutsch in der Schweiz - lernen, lehren, beurteilen) erlangten Sprachnachweise für eine Einbürgerung anerkannt würden.
Das SEM müsse die Kantone gemäss den rechtlichen Vorgaben bei den Sprachnachweisen unterstützen. Die Praxis, einzelne Nachweise nur unter bestimmten Vorgaben anzuerkennen, erscheine auch sinnvoll, schreibt das Bundesgericht. Das kantonale Recht könne jedoch nicht vorbehaltlos Anerkennungen des SEM voraussetzen, weil dies das Bundesrecht nicht vorschreibe.
Vorliegend komme hinzu, dass sowohl das Sprachfördersystem Fide, als auch die Maturität, sich bei den geforderten Sprachkenntnissen am «Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen des Europarates» orientierten. Dieser ermögliche, die verschiedenen europäischen Sprachzertifikate untereinander vergleichbar zu machen und bilde einen objektiven Massstab für den Erwerb von Sprachkenntnissen.
Im gymnasialen Lehrplan des Kantons Bern wird bis am Ende der Ausbildung in Deutsch als Fremdsprache das Niveau B2.2 angestrebt. Beim System Fide müssen hingegen mündlich das Niveau B1, und schriftlich A2 erreicht werden. Für die Maturität würden also mehr Kenntnisse verlangt und die Beschwerdeführerin habe diese offenbar mit einer genügenden Abschlussnote offensichtlich erlangt. (Urteil 1D_4/2021 vom 8.3.2022) (aeg/sda)
Und da es von Kanton zu Kanton und sogar von Gemeinde zu Gemeinde keine einheitlichen Verfahren gibt, ist der Erhalt der Nationalität eine Lotterie.