Der Motorradclub Hells Angels hat in der Schweiz das Image eines nicht ganz harmlosen, aber doch liebenswerten Männervereins. Das geht so weit, dass die «Coopzeitung» mit den Höllenengeln sogar Stimmung fürs Weihnachtsgeschäft machte. So interviewte die auflagenstärkste Zeitung des Landes den Präsidenten der Zürcher Hells Angels, Patrick «Hemi» Hermetschweiler, in der Weihnachtsausgabe 2020 und stellte ihm auf vier Seiten Wohlfühlfragen - und niemand empörte sich. Um zu verstehen, warum das ein Problem ist, hilft ein Blick nach Deutschland, wo die Rockerkriminalität stärker im Fokus steht.
Jörg Albrecht ist Auswertungschef in der Inspektion Organisierte Kriminalität des Landeskriminalamts Baden-Württemberg. Bei ihm laufen die polizeilichen Informationen aus dem ganzen Bundesland zusammen, das mit elf Millionen Einwohnern grösser als die Schweiz ist. Albrecht sitzt in einem Büro in Stuttgart. Neben ihm nimmt ein Szenekenner der Polizei Platz, der auf Rockerkriminalität spezialisiert ist und aus Sicherheitsgründen nicht namentlich genannt werden will. Die beiden Kriminalbeamten beantworten die Fragen gemeinsam.
Viele Leute in der Schweiz haben Sympathien für die Hells Angels und glauben, bei diesen Clubs gehe es um Motorräder und Männerfreundschaften. Entspricht das Image der Wahrheit?
Aus unserer Sicht: Nein. Die Hells Angels haben es in den über siebzig Jahren seit ihrer Gründung geschafft, mit geschickter Öffentlichkeitsarbeit einen Mythos aufzubauen, der bei Teilen der Bevölkerung auf Sympathie stösst. Es gibt deshalb bis heute junge Leute, die sich in diese Szene begeben wollen. Unsere Erfahrungen zeigen, dass die Hells Angels oft in kriminelle Aktivitäten verstrickt sind und weltweite Strukturen aufgebaut haben, um kriminelle Ziele zu verfolgen.
Was macht einen Rockerclub aus?
Es ist die bedingungslose Verpflichtung der Mitglieder, sich gegenseitig zu unterstützen - ohne zu hinterfragen, worum es bei einem Konflikt genau geht. Wer nur Motorradfahren und Freunde treffen will, tritt nicht einem Club mit so strengen Regeln bei. Für Drogenhändler zum Beispiel, die von Kunden betrogen werden, ist es aber ungemein praktisch, wenn sie eine Gruppierung im Rücken haben, von der bekannt ist, dass sich ihre Mitglieder um jeden Preis unterstützen. Man kann hier quasi von einem kriminellen Franchising-System sprechen.
Werden Kriminelle zu Mitgliedern oder Mitglieder zu Kriminellen?
Es gibt beides. Wir haben mal einen Rocker gefragt, warum er dem Club beigetreten sei. Er antwortete: «Ich wurde quasi gecastet.» Er war Drogenhändler und hat dafür sehr lange Gefängnisstrafen abgesessen. Die Rocker sind auf ihn zugekommen, weil er ein Netzwerk im Rauschgifthandel hatte. Manchmal werben die Rocker auch gezielt Hooligans als Mitglieder an, weil sie erfahrene Kampfsportler brauchen, um schlagkräftiger zu werden.
Der Mythos der Hells Angels ist also nur die Fassade. Dahinter stecken kriminelle Organisationen.
Das kann man pauschal so nicht sagen, aber es gibt kriminelle Strukturen innerhalb dieses Rockerclubs.
Kennen Sie den Schweizer Anwalt Valentin Landmann?
Ja. Der würde uns jetzt widersprechen.
Er prägt in der Schweiz das positive Image der Hells Angels. In seiner Biografie beschreibt er, wie er bei den Hells Angels männliche Vorbilder fand, die ihm in seiner Kindheit fehlten.
Diese Brüderlichkeit mag auch tatsächlich ein Teil des Clubs sein. Damit ist die eine Seite beleuchtet, aber die grosse andere Seite wird im Dunkeln gelassen.
Finden Sie es gefährlich, wenn solche Erzählungen Mainstream werden?
Ja, wenn man die Geschichte so simplifiziert und sagt, alles andere seien bösartige Behauptungen der Sicherheitsbehörden, dann wird das auf die Dauer gefährlich. Dies ist allerdings eine gängige Vorgehensweise in der organisierten Kriminalität. Die Rocker wollen mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit und auch mit Spendenaktionen suggerieren, sie seien eigentlich ganz normale Bürger in einem ungewöhnlichen Outfit.
In der Schweiz ist die Bundesanwaltschaft vor zehn Jahren mit einem Verfahren gescheitert, in dem sie die Hells Angels Zürich als kriminelle Organisation verdächtigte. Kann es sein, dass die Hells Angels in der Schweiz harmloser sind als jene in Deutschland?
Nein. Die Strukturen sind dieselben und ineinander verwoben. Ein Beispiel: Wir haben im vergangenen Jahr einen deutschen Staatsangehörigen an der Schweizer Grenze festgenommen, der Mitglied der Zürcher Hells Angels ist. Er wurde wegen Rauschgifthandels zu siebeneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Am gleichen Grenzübergang wurde im vergangenen Jahr auch ein Mitglied der Hells Angels Frankfurt mit 60 Kilogramm Haschisch im Kofferraum erwischt. Wir vermuten, dass die Drogen ebenfalls aus Zürich stammen, konnten das aber nicht beweisen. Da haben wir die gleiche Schwierigkeit wie die Schweizer Bundesanwaltschaft: Zwischen unserer Einschätzung und unserem Nachweis klafft eine Lücke.
Weshalb sind diese Ermittlungen so schwierig?
Es gibt generell keinerlei Aussagebereitschaft. Nicht nur in den Clubs. Auch Zeugen geben häufig keine Auskunft. Da wirkt das Drohpotenzial der Hells Angels.
Wie stufen Sie das Zürcher Charter der Hells Angels ein?
Es ist eines der herausragenden Charters in ganz Europa und spielt international eine bedeutende Rolle. In unseren Ermittlungen finden wir immer wieder Mosaiksteinchen, die Richtung Zürich zeigen. Unser Verfahren gegen das Mitglied der Hells Angels Zürich hat auch gezeigt: Ihr Präsident ist als Mediator europaweit unterwegs, um interne Konflikte zu lösen.
Das klingt eigentlich positiv: Er löst Konflikte.
Die Frage ist: Worum geht es bei diesen Konflikten? Einen Mediator braucht es, wenn der Präsident und der Vizepräsident einer Ortsgruppe ein Problem nicht lösen können und diese sonst auseinanderbrechen würde. Wenn das passiert, gibt es viele unzufriedene Personen. Diese können neue Vereine gründen, zur Konkurrenz übertreten oder sich den Sicherheitsbehörden offenbaren. All dies wollen die Hells Angels vermeiden, um ihre Geschäfte nicht zu gefährden.
Welches sind die Geschäfte der Zürcher Hells Angels?
In unseren Ermittlungen haben wir einen Teil davon gesehen. Der Rauschgifthandel und die Prostitution gehören dazu. (Anmerkung der Redaktion: «No comment», sagt der Zürcher-Hells-Angels-Präsident Hermetschweiler auf Anfrage zu allen Vorwürfen.)
Die Hells Angels pflegen in Interviews zu sagen, in jeder Organisation könne es kriminelle Mitglieder haben, man könne deshalb aber noch nicht von einer kriminellen Organisation sprechen.
Das durchschnittliche Mitglied der Hells Angels ist sicher krimineller als das durchschnittliche Mitglied der Bevölkerung. Aber ja: Es ist schwierig, den Nachweis zu erbringen, dass es sich um kriminelle Organisationen handelt.
Wie arbeiten Sie mit der Schweizer Polizei zusammen?
Die Schweizer Polizei ist sehr gut ausgebildet und sehr gut aufgestellt. Unsere Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Polizei, Fedpol, und den Kantonspolizeien ist eng und funktioniert sehr gut. Die Ermittler, die schon länger dabei sind, kennen wir alle persönlich. Unsere Einschätzungen decken sich grundsätzlich. Lange Zeit war es ruhig, weil die Hells Angels alles dominierten. Jetzt häufen sich die Konflikte mit den Bandidos, weil diese auch ein Stück vom Kuchen haben wollen.
Die Rockerkriminalität wird in der Schweiz oft schulterzuckend hingenommen mit dem Argument, solche Motorradclubs seien vor allem eine Gefahr für andere Clubs, aber nicht für die Allgemeinheit.
Wenn Rockerclubs in der Öffentlichkeit aufeinander schiessen wie kürzlich in Genf, dann ist das eine Gefahr für die Öffentlichkeit. Die Strukturen dahinter, die organisierte Kriminalität, sind ebenfalls ein Problem für die Gesellschaft.
In Deutschland werden gefährliche Ortsgruppen von Rockern verboten. Derzeit sind 23 Vereinsverbote in Kraft. Was bewirkt diese Massnahme?
Wir sind uns bewusst, dass die einzelnen Straftäter damit nicht von der Strasse verschwinden. Wir erschweren den Rockern damit aber, ihren Geschäften nachzugehen. Mit einem Verbot wird das Vereinsvermögen eingezogen und den Personen wird verboten, Nachfolgeorganisationen zu gründen. Mitglieder von Rockerclubs verlieren zudem die Berechtigung, eine Waffe tragen zu dürfen. Wenn sie trotzdem eine bei sich haben, können wir sie büssen und bei Wiederholungen Gefängnisstrafen beantragen.
In der Schweiz gilt, dass Ideologien grundsätzlich nicht verboten werden. Ausnahmen sind nur Terrororganisationen wie der IS und Al Kaida. Können Sie diese Zurückhaltung nachvollziehen?
Jedes Land hat seine eigene Rechtstradition. Ein Angehöriger eines Rockerclubs sollte aus unserer Sicht aber keinen Zugang zu legalen Waffen haben. Und wir glauben nicht, dass sich Angehörige von Rockerclubs in der Schweiz und in Deutschland grundlegend unterscheiden.
(aargauerzeitung.ch)
Machen Geschäfte mit Waffen Drogen und Prostitution.
Bis hin zu Mord.
Ich las ein interessantes Buch. Echt krass:
"Bad Boy Uli, Höllenritt"
Ein deutscher Hells Angel packt aus
(Gibts noch zu kaufen)
Wie es ihm heute geht, weiss ich nicht.
Er war Vize-Präsident eines grossen Charters.