Für viele ist der «Rafale» der Favorit, das Flugzeug von Dassault, den Franzosen. Weil er als solides und bewährtes Mehrzweckflugzeug gilt, weil er die letzte Ausscheidung leistungsmässig angeblich gewonnen hat, weil die Schweiz vielleicht mit Vorteil bei einem europäischen Nachbarn kauft.
Aber es kann auch ganz anderes kommen. Es kann sein, dass am Schluss der laufenden Ausmarchung für neue Kampfflugzeuge ein US-Jet ganz oben auf der Rangliste erscheint, der Super Hornet von Boeing oder der F-35 von Lockheed. Es kann sein, dass Donald Trump im November als US-Präsident wiedergewählt wird und dass ihm die Schweiz wenig später für sechs Milliarden Jets abkauft. Nichts ist auszuschliessen.
«Keiner weiss heute, was rauskommt. Das weiss man erst Anfang 2021», sagt Peter Winter, Vizedirektor von Armasuisse, Programmleiter der Air2030. Er ist der Mann, der für die Evaluationen von Kampfjets und Luftabwehr verantwortlich zeichnet. Für Ausgaben von rund 8 Milliarden Franken.
Allen steckt noch der Gripen-GAU in den Knochen. Das Verteidigungsdepartement (VBS) unter dem damaligen Armeeminister Ueli Maurer hatte ein nicht fertig entwickeltes Flugzeug zur Evaluation zugelassen. In den Tests erfüllte der Kampfjet mehrere Vorgaben nicht, schloss schlechter ab als seine Konkurrenten Eurofighter und vor allem Rafale. Aber der Bundesrat beschloss Ende 2011, den günstigsten Jet zu kaufen. Das gab Ärger bei der Konkurrenz, Testberichte sickerten durch, und der «Papierflieger» Gripen hob trotz teurer Kampagne der schwedischen Herstellerfirma Saab nicht ab: 2014 setzte das Volk dem Spuk ein Ende, es sagte mit 53,4 Prozent Nein zum Gripen-Fonds-Gesetz, dem Finanzierungsvehikel des 3,1 Milliarden teuren Kampfflugzeugs.
Das totale Chaos. Sechs Jahre später soll alles anders sein. Im Verfahren sind diesmal, macht Milizoberst Winter deutlich, zahlreiche Sicherungen eingebaut, damit es weder von innen noch von aussen beeinflusst werden kann, damit es sauber abläuft.
Nach vier Kriterien läuft die Schweizer Evaluation ab. Die Wirksamkeit wird mit 55 Prozent gewichtet, der Produktesupport (Wartungsfreundlichkeit, Supportautonomie) 25, die Kooperation und die direkte Industriebeteiligung mit je 10 Prozent. Diese vier Kriterien zusammen ergeben aber nur 50 Prozent des Endresultats. Die anderen 50 Prozent macht der Preis aus, also die Beschaffungs- und die vom Hersteller geschätzten Betriebskosten des Jets.
Um Missbräuche zu verhindern, sorgt Armasuisse laut Winter dafür, dass keine der involvierten Personen zu viel weiss: Jeder Fachspezialist sieht nur den Teil der Offerten, der für seine Aufgabenerfüllung notwendig ist. Im Prozess sind bei den Kampfjets und Bodluv je fünf Teams am Werk. Jedes Team ist für eines der fünf Auswahlkriterium zuständig, also: Wirksamkeit, Produktesupport, Kooperation, Gegengeschäfte, Preis.
Jedes der Teams verfügt nur über jenen Teil der Offertangaben der Hersteller, für den es zuständig ist. Niemand habe den Gesamtüberblick, sagt Programmleiter Winter, auch er selbst nicht. Er könnte zwar theoretisch bei den einzelnen Teams nachfragen, aber das würde auffallen. Und wer die Daten vom Datencenter abzurufen versucht, wird vom System registriert, er hinterlässt also Spuren.
Heute kann also laut Armasuisse keiner sagen, welcher Jet im Rennen vorne liegt, welcher die besten Werte hat. Nicht nur das: Weil die Resultate noch nicht einmal team-intern ausgewertet worden seien, könne derzeit auch niemand sagen, wie die Situation in seinem eigenen Bereich konkret aussehe.
Das soll noch eine ganze Weile so bleiben. Im November – also nach der Abstimmung über den Kampfjet-Bundesbeschluss – reichen die Hersteller ihre zweite und letzte Offerte ein. «Auch die zweite Offerte wird wieder gesplittet», sagt Winter. Jedes Team erhält daraus den Teil, für den es zuständig ist. Die Umschläge werden unter Aufsicht durch einen externen Notar verteilt. Auch dieser hat keinen Einblick, er prüft, so Winter, den Inhalt der Couverts, aber er sieht keine Einzelheiten, beispielsweise keine Preisangaben.
Ab November werten die Teams die Offerten aus ihrem Bereich aus. Erst Anfang 2021 werden die Resultate zusammengeführt, der Evaluationsbericht wird verfasst. Erst dann zeigt sich, wer das Rennen gemacht hat. «Dann macht mein Team eine Empfehlung zuhanden der Chefin», sagt Winter, «dann werden wir ein Flugzeug und ein Bodluv-System empfehlen.»
War das alles auch schon beim Gripen so, wurden auch damals diese strikten Sicherheitsmassnahmen ergriffen? Winter blickt zum Informationschef von Armasuisse, Kaj-Gunnar Sievert, überlässt diesem die Antwort. Der Fall scheint klar: Beim Gripen waren die Schutzmechanismen weniger stark, aber darüber spricht man heute lieber nicht. «Sie waren nicht schwächer, sondern anders», drückt sich Sievert aus. «Wir haben sicher dazugelernt», sagt Winter schliesslich.
Auf der Hut ist das VBS offensichtlich auch in Sachen Hacker- oder Spionageangriffe. So werden die Unterlagen und Dokumente zu den Beschaffungen im Rahmen von Air2030 nur auf Computern und Servern gespeichert, die nicht ans Internet angeschlossen sind. Es gibt etwa 70 Laptops, auf denen die Fachexperten mit den ihnen zugänglichen Daten arbeiten. Diese Laptops können einzig mit dem Datencenter kommunizieren, das nicht am Internet angehängt ist. Sie können weder ans Internet angeschlossen werden, noch können Daten extern abgespeichert werden: Die Laptops haben keine USB-Anschlüsse oder andere Schnittstellen.
Wer also an die ganzen Datensätze will, müsste schon bei Armasuisse einbrechen und die in einem speziellen Raum zusätzlich gesicherte Computeranlage abtransportieren. Das ist im hoch gesicherten Verwaltungsgebäude am Guisanplatz, in dem sich auch die Bundesanwaltschaft und das Bundesamt für Polizei (Fedpol) befinden, vermutlich nicht so einfach.
«Wir machen alles dafür, dass wir keine Datenleaks haben», sagt Winter.
Die Evaluation von Kampfjets und Luftabwehrsystem ist demnach ein systematischer Prozess, an dessen Ende ein technokratisch bestimmter Sieger aus Box springt. Ob der Bundesrat das Resultat aber übernimmt, oder ob er aus politischen Überlegungen vom vorgeschlagenen Typenentscheid abweicht, ist eine andere Frage.
Und das letzte Wort, betont man im VBS, habe sowieso das Parlament: Weil die Flugzeuge über die Armeebotschaft finanziert werden, müssen National- und Ständerat die nötigen Kredite bewilligen.
Das weiss auch Winter. «Unser Auftrag ist, der Politik gründliche und zuverlässige Entscheidungsgrundlagen zu liefern», sagt er. Diesen Auftrag wolle er «sauber und nachvollziehbar» ausführen.
Ob es aber überhaupt so weit kommt, ist auch wieder eine andere Frage. Im September stimmt die Bevölkerung über den Kampfjet-Kredit ab. Sagt sie nein, geht es zurück auf Feld eins. Wie schon nach dem Gripen-Aus.
deals mit den amerikanern kann ich aber aus wirtschaftsethischen überlegungen überhaupt nicht befürworten!