Schweiz
Kampfjets

Das SRF veröffentlicht Kriegsszenarien der Luftwaffe – das VBS reagiert

SRF veröffentlicht Kriegsszenarien der Luftwaffe – das VBS ist nicht amüsiert

03.02.2022, 06:2203.02.2022, 12:35
Mehr «Schweiz»

Wie würde der Kampfjet in der Schweiz in einem Ernstfall eingesetzt werden? Und wie würde er dabei abschneiden? Das Schweizer Verteidigungsministerium (VBS) hat dazu fiktive Kriegsmissionen entworfen. Diese mussten von Kampfjet-Herstellern im Auswahlverfahren bewältigt werden. Damit sollten laut internen Dokumenten der Rüstungsbehörde Armasuisse die Waffensysteme und Missionstauglichkeit der Flieger getestet werden.

FILE - An F-35 fighter jet arrives at the Vermont Air National Guard base in South Burlington, Vt., Sept. 19, 2019. The United Arab Emirates on Tuesday, Dec. 14, 2021, suspended talks on a $23 billion ...
Die Hersteller des Kampfjets F-35 mussten im Auswahlverfahren verschiedene Aufgaben lösen.Bild: keystone

In den vertraulichen Dokumenten, die von «SRF Investigativ» aufgedeckt wurden, ist von vier Szenarien die Rede: «Konferenzschutz», «Luftverteidigung», «Luftaufklärung» sowie «Bekämpfung von Bodenzielen». Die Kampfjet-Anbieter wurden im Rahmen des Auswahlverfahrens dazu aufgefordert, die Szenarien technisch zu beschreiben und im Simulator durchzuspielen.

Kriegsszenarien führen ins Ausland

Die letzten zwei Szenarien führen nach Süddeutschland, Österreich und Tschechien. Die Aufgabe: Es soll ein Krieg verhindert werden. Dazu sollen Informationen über die militärischen Ziele gesammelt und ein präventiver Angriff ausgeführt werden.

Mit den Kampfjets will die Armee künftig wieder in der Lage sein, Bodenziele aus der Luft zu bekämpfen und eigene Bodentruppen zu unterstützen. Doch mit den internen Szenarien werde jetzt deutlich, dass auch Präventivschläge denkbar seien, schreiben «SRF Investigativ» Journalistinnen Nina Blaser und Nadine Woodtli.

So müssen die Kampfjets in einem Szenario ins 370 Kilometer entfernte Tschechien fliegen. Hintergrund ist ein unmittelbar bevorstehender Angriff auf die Schweiz, weshalb die Kampfjets zu einem Präventivschlag ausholen und in Tschechien unterirdische Kommandobunker zerstören sollen.

Unterschiedliche Reaktionen auf die Szenarien

Solche Präventivschläge hält Peter Hug, ehemaliger sicherheitspolitischer Berater der SP, laut SRF für «bizarr». Man bekäme nie eine Mehrheit für einen Kampfjet, wenn man offen deklarieren würde, dass man weit ausserhalb der Schweiz Bodenziele bombardieren wolle, so Hug.

Besonders schockiert zeigt sich SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf. Sie hätte immer Angst gehabt, dass es im VBS tatsächlich solche Vorstellungen geben könnte. Sie betont: «Wir haben eine Armee für den Verteidigungsfall, keine Angriffsarmee.»

Nationalraetin Priska Seiler Graf, SP-ZH, aeussert sich bei der Lancierung der Stop F-35 Initiative, am Dienstag, 31. August 2021, in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneider)
Priska Seiler Graf ist schockiert über die ausgearbeiteten Kriegsszenarien.Bild: keystone

Werner Salzmann von der SVP zeigt sich derweil überhaupt nicht überrascht: Solche Szenarien gehörten zum taktischen Verständnis, wozu ein Kampfflugzeug der Schweiz in der Lage sein muss. Sollte tatsächlich ein Angriff auf die Schweiz bevorstehen, sei es der Auftrag der Luftwaffe, dies zum Schutz des Landes und der Bevölkerung zu verhindern.

Im Kriegsfall gebe es keine Neutralität mehr, gibt auch Thierry Burkart, Präsident der FDP, zu bedenken. Dann müsse man alle möglichen Missionen durchführen können, die dem Schutz des Landes dienten.

Roland Beck, Oberst im Generalstab a.D und Militärhistoriker hält es für problematisch, dass diese Dokumente nun an die Öffentlichkeit gelangt sind. Sie würden wohl genau aus der Angst zurückbehalten, dass diese Szenarien falsch verstanden oder missbraucht werden könnten.

Schlussendlich müsse man auf alles vorbereitet sein, erklärt Peter Schneider, Oberst im Generalstab, a.D:

«Von einer Armee erwarten wir, dass sie sich auf Unwahrscheinliches, auf Unmögliches, vorbereitet und nicht auf den Alltag. Den Alltag kennen wir. Für diesen brauchen wir keine Kampfflugzeuge.»

Das VBS nimmt Stellung

Auch in seiner Stellungnahme schreibt das VBS, dass lediglich eines der vier Szenarien – der Luftpolizeidienst – eine Alltagsaufgabe beinhalte. Beim Rest handele es sich «um fiktive und absichtlich anspruchsvolle Szenarien für den Verteidigungsfall.» Weiter heisst es:

«Zweck dieser drei fiktiven Szenarien war es, den Herstellern die Gelegenheit zu geben, die gesamte Leistungsfähigkeit inklusive operationeller Verfahren ihrer Kampfflugzeuge, losgelöst von spezifischen Fachfragen aufzeigen zu können.»

Die fiktiven Szenarien enthielten keine Aussage über die Wahrscheinlichkeit des Eintretens. Entsprechend seien die Szenarien komplett losgelöst von aktuellen sicherheitspolitischen Konstellationen zu betrachten.

Oberst Peter Merz - hier an einer Medienkonferenz zur Beschaffung neuer Kampfflugzeuge - wird im kommenden Sommer neuer Luftwaffen-Chef. Er l�st den in Fr�hpension gehenden Bernhard M�ller ab. (Archiv ...
Der Kommandant der Schweizer Luftwaffe, Peter Merz, nahm in der «Rundschau» Stellung zu den Kriegsszenarien.Bild: sda

So wurden die Orte in den Aufgaben bloss mit gerundeten Koordinaten und ohne Namen angegeben. Dies betont auch Peter Merz, Kommandant der Schweizer Luftwaffe, im Gespräch mit «Rundschau»-Moderator Dominik Meier:

«Dieses Dokument, das sie eigentlich gar nicht besitzen dürften, zeigt die Schweiz auf einer leeren Karte. Sie haben darauf selbst die Ländernamen eingefügt. Wir hätten die Flieger auch auf den Mond fliegen lassen können, das spielte keine Rolle.»

Beim VBS herrscht Missmut über die vom SRF veröffentlichten Dokumente. Das wird in ihrer Stellungnahme deutlich:

«Das VBS wollte vermeiden, dass Szenarien, die zur Erfassung der technischen Potenziale formuliert wurden, mit realen sicherheitspolitischen Aussagen verwechselt würden. Dieser Fehler ist nun jetzt offenbar der ‹Rundschau› unterlaufen. Ihre Fragen zeigen, dass Vertraulichkeit durchaus der richtige Ansatz war, wenn sich nur alle darangehalten hätten.»

(saw)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das Schweizer Kampfflugzeug-Projekt N-20
1 / 7
Das Schweizer Kampfflugzeug-Projekt N-20
Der einzige Prototyp des Schweizer Jagdbombers N-20.10 Aiguillon (deutsch «Stachel») steht heute im Flieger- und Flabmuseum Dübendorf. (bild: wikimedia)
quelle: wikimedia
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Kampfjet-Abstimmung: Ein Überblick im Video
Video: sda
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
332 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Knut Knallmann
03.02.2022 06:49registriert Oktober 2015
Könnte man die ganze Geschichte in „Viel Lärm um nichts“ umformulieren? Scheint mir ganz danach. Manchmal wird von Medienschaffenden so panisch nach Skandalen gesucht, dass sie dort fündig werden, wo eigentlich gar keine sind.
288100
Melden
Zum Kommentar
avatar
Rethinking
03.02.2022 07:06registriert Oktober 2018
Ich schlage der Armee folgenden Deal vor:

Die F-35 kann wie geplant beschafft werden, wenn Mehrkosten voll zu lasten des Armeebudgets gehen. Über die gesamte Einsatzzeit des Fliegers gibt es keine Aufstockung des Budgets für „ungeplante“ Mehrkosten…
14651
Melden
Zum Kommentar
avatar
SadSon
03.02.2022 08:02registriert Juni 2020
Im VBS mauschelt man halt lieber im stillen Kämmerlein um dort ungestört ihren Sandkastenspielen zu frönen.
Statt von Anfang an mit offenen Karten zu spielen und dem Volk nicht hanebüchenen Geschichten aufzutischen, kommt halt nun alles scheibchenweise auf den Tisch.
Nun hat die liebe Viola auch noch den letzten Resten ihrer Glaubwürdigkeit verloren.
Vielleicht sollte sie das nächste mal die internen Evaluationen genauer lesen bevor sie solche Aussagen wie "Ein Angriff auf Berlin ist kein Szenario" macht.
Dass hier auch noch engste Verbündete vor den Kopf gestossen werden ist ja nur ein Detail
8627
Melden
Zum Kommentar
332
Immunität von Ex-SVP-Chef Chiesa soll nicht aufgehoben werden – und jetzt?
Kampagnensujets vor den letzten Wahlen führten zu Strafanzeigen gegen zwei SVP-Politiker wegen Verstosses gegen die Rassismus-Strafnorm angezeigt. In einem ersten Entscheid will die zuständige Kommission den früheren SVP-Präsidenten Marco Chiesa vor Strafverfolgung schützen.

Die Immunität von SVP-Ständerat und Ex-Parteipräsident Marco Chiesa soll nach dem Willen der Rechtskommission des Ständerats nicht aufgehoben werden. Dies teilte die Kommission am Dienstag in einer Medienmitteilung mit. Als Nächstes wird sich auch noch die Immunitätskommission des Nationalrats mit dem Fall befassen.

Zur Story