Am Mittwoch wurde vor dem Bezirksgericht in Bülach ein irrer Nachbarstreit verhandelt. Die Liste der Involvierten war beachtlich: Regula in der Rolle der Geschädigten, Esther in der Rolle der beschuldigten Person, Katze «Mici» als Corpus Delicti und das Statthalteramt des Bezirks Bülach als Anklägerin. Die Namen der Beteiligten werden in dieser Story aufgrund der Persönlichkeitsrechte anonymisiert*. Einzig die Katze wird beim echten Namen genannt.
Worum ging es beim Prozess? Die heute 59-jährige Esther musste sich strafrechtlich (!) dafür verantworten, die rot getigerte «Mici» gefüttert zu haben. Was der Katze vermutlich gefielt, passte aber der Eigentümerin Regula nicht. Sie klagte ihre Nachbarin an. Der Vorwurf:
Die Anschuldigung wiegte schwer: Es handelt sich dabei um eine strafbare Handlungen gegen das Vermögen, die auf Antrag mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft wird. Die Katzeneigentümerin Regula hatte – zumindest zu Beginn des Nachbarstreits – die stärkeren Argumente und konnte damit die Justiz zunächst überzeugen: Das Statthalteramt verurteilte die Katzenliebhaberin im Dezember 2020 per Strafbefehl zu einer Busse von 700 Franken und verdonnerte sie zur Zahlung der Prozesskosten von 550 Franken.
Wie kam das Statthalteramt dazu? Der sprachlich penibel genau dokumentierte Sachverhalt im Strafbefehl zeigt auf, von welchen Fakten sich die beamtete Juristin leiten liess:
Als wäre das nicht genug, habe Esther «auf diese Weise eine Beziehung zur Katze ‹Mici› aufgebaut, um diese dauerhaft an sich zu binden in der Absicht, das Tier schliesslich definitiv bei sich aufzunehmen und die Geschädigte dauerhaft aus ihrer Position als Eigentümerin zu verdrängen».
Der Katzenliebhaberin Esther passte – wenig überraschend – die Busse nicht. 1250 Franken dafür, dass sich «Mici» bei ihr wohler fühlt? Sie focht den Strafbefehl an, womit es zur gestrigen Gerichtsverhandlung kam.
Dort kamen dann weitere Details heraus. Anwaltschaftlich vertreten argumentierte Esther, dass sie «Mici» erst angefangen habe zu füttern, als die Katze völlig abgemagert und verwahrlost bei ihr aufgetaucht sei. Esther selbst sprach aber nicht von «Mici» (das war der Name, den Regula ihr gegeben hat) – sie nannte die rot getigerte Nachbarskatze «Mautschi». Esther erklärte auch, dass sie die Katze eigentlich nie gewollt habe. Sie hätte bloss Mitleid gehabt.
Auch Regula liess sich anwaltschaftlich vertreten. Ihr Anwalt forderte, dass die Busse gemäss Strafbefehl bleibt. Zudem solle Esther ihr eine Genugtuung von 3000 Franken bezahlen, um erlittenen seelischen Unbill zu kompensieren: «Mici» hätte eine grosse Rolle in Regulas kinderlosem und verwitwetem Leben gespielt. Die 72-jährige Katzeneigentümerin habe «Mici» zudem ans Tierheim zurückgeben müssen, weil die Katze wegen der Fremdfütterung Durchfall bekommen habe.
Esthers Anwalt dementierte zudem die Vorwürfe, wonach die Katze abgemagert und verwahrlost gewesen sei: Dies könne man mit einem Gewichtsprotokoll belegen.
Justizia – verkörpert durch eine Bülacher Einzelrichterin – hörte sich all diese Argumente gestern an. Die Richterin betonte vor der Urteilseröffnung lediglich: Heute gehe es nicht um die Frage, ob fremde Katzen gefüttert werden dürfen. Es gehe darum, ob ein strafrechtlicher Tatbestand erfüllt sei.
Ihr Urteil dazu war ein «Nein» – es kam zum Freispruch. Er wurde damit begründet, dass es keine Beweise für ein «systematisches Füttern und Einsperren» gebe. Es herrsche «Aussage gegen Aussage», womit sich getreu dem Grundsatz des römischen Rechts in dubio pro reo (im Zweifel für die Angeklagten) ein Freispruch aufdränge. Esther durfte als ungebüsste Frau den Gerichtssaal verlassen – «erleichtert», wie sie sagt. Ihre Anwaltskosten von 6700 Franken werden durch die Staatskasse bezahlt.
«Mici» bzw. «Mautschi» (ihr aktueller Name ist nicht dokumentiert) wurde mittlerweile anderswo platziert.
* Namen der Redaktion bekannt
Urteil GC-210025 vom 18. Mai 2022 (zum Zeitpunkt der Story-Publikation nicht rechtskräftig)
Ausser es wird vom Besitzer ausdrücklich erlaubt.
Ist eine Katze auf Spezialfutter angewiesen, haben Fremdfütterungen negative Auswirkungen auf das arme Tier.